SH: Potenziale entdecken und nutzen

Schleswig-Holstein - ein Entwicklungsland

Schleswig-Holstein ist ein Entwicklungsland. Der Begriff ist negativ besetzt, denn er klingt nach Rückstand und ungenutzten Potenzialen. So ist es teilweise auch. Schleswig-Holstein hat mit 29 Prozent den geringsten Anteil an elektrifizierten Bahnstrecken aller Bundesländer. Dem Land fehlt eine leistungsfähige Ost-West-Verbindung im Autobahnnetz.
Es gibt kaum Güterverkehrszentren, in denen man Waren von einem Verkehrsträger auf einen anderen umladen könnte. Verkehre, die nach Süden wollen, stauen sich vor dem Nadelöhr Hamburg, das gilt für die Straße ebenso wie für die Schiene. Häfen entlang der Unterelbe verschlicken und verlieren damit Potenzial.
Entwickeln heißt, positiv gewendet, auch „forschen“ und „Innovationen schaffen“. Schleswig-Holstein produziert einen hohen Anteil Strom aus erneuerbaren Energien. Hier werden Windparks und Speichertechnologien entwickelt. Die Bahn könnte also mit Strom, der hier produziert wird, angetrieben werden. Batterien, die hier entwickelt werden, könnten diesen Strom für unterschiedliche Anwendungen speichern. Von hier aus wird die Transformation von Lkw auf Wasserstoffantriebe vorangetrieben. Lkw können damit umweltfreundlich fahren, gerade auf langen Strecken. In Kiel wird an einer Fähre geforscht, die autonom über die Förde fahren kann. Die Erkenntnisse daraus sollen für die Binnenschifffahrt weiterentwickelt werden.
Im eigentlichen Wortsinn heißt „entwickeln“, etwas, das verwickelt ist, zu lösen. Die Situation in Schleswig-Holstein ist verwickelt, denn das Land ist stark unterwegs mit Innovationen, die Nachhaltigkeit befördern. Gleichzeitig aber hinkt unsere Infrastruktur hinterher. Innovationen in der Batterietechnik bleiben zurück, wenn es keine guten Verkehrswege gibt, um sie an einen Einsatzort südlich der Elbe zu bringen. Es ist vergeblich, LKW auf Wasserstoffantriebe umzurüsten, wenn es keine leistungsfähigen Straßen gibt, auf denen sie ihre Vorteile zeigen können. Autonome Binnenschiffe braucht man nicht, wenn die Häfen, die sie bedienen sollen, wegen des Schlicks unerreichbar sind. Das Land braucht dafür Lösungen.
Lösungen bieten zum Beispiel die Entwicklungsachsen aus dem Landesentwicklungsplan für Schleswig-Holstein. Entwickeln bedeutet auch „planen“. Durch die Unterelberegion führen drei dieser Achsen, entlang der A 23, der A 7 und der geplanten A 20. Auch wenn die Achsen durch Autobahnen definiert sind, gehören die entsprechenden Bahnlinien und die Schifffahrt mit dazu. Es geht um Korridore und um Verknüpfungen, nicht um einzelne Verkehrsträger. Wichtig sind Entwicklungen mit Weitsicht, nicht unbegrenztes Wachstum.
In diesem Sinne bedeutet entwickeln, diese Korridore zu „fördern“. Zum Beispiel sollen gerade an den Landesentwicklungsachsen überregionale Standorte für Gewerbegebiete festgelegt werden. Dort werden Unternehmen mit hoher Wertschöpfung angesiedelt und neue Arbeitsplätze geschaffen. Für diese Unternehmen muss das Verkehrsnetz weiterentwickelt werden. Konkret bedeutet das, die Marschbahn zu elektrifizieren und auszubauen, nach Brunsbüttel und Sylt. Es braucht ein drittes und viertes Gleis zwischen Pinneberg und Elmshorn. Die A 20 mit fester Elbquerung ist nötig als zusätzliche Achse, die vier der fünf weiteren Landesentwicklungsachsen in Schleswig-Holstein miteinander verbindet. Die Häfen in Itzehoe und Uetersen bieten jeder für sich Möglichkeiten, mehr Transporte auf das Schiff zu verlagern, vielleicht einmal auf autonom fahrenden Schiffen, sofern die Wassertiefe ausreicht.
Ein Entwicklungsland, das ist ein Land, in dem Potenziale ungenutzt bleiben. Oder es ist ein Land, in dem geforscht, Innovationen geschaffen, Lösungen geplant und die Region gefördert werden. Es liegt an uns, wie wir das verstehen wollen.
Anm. d. Red.: Dieser Beitrag erschien zuerst in der Wirtschaftsbeilage des A. Beig-Verlags im März 2023.