Interview: Claus Ruhe Madsen

"Wir können aus der Krise auch als Profiteure herausgehen"

Claus Ruhe Madsen ist seit Juni neuer Wirtschaftsminister im echten Norden. Zuvor war er Oberbürgermeister Rostocks und von 2013 bis 2019 Präsident der IHK zu Rostock. Im Interview mit der Wirtschaft skizziert Madsen seine Pläne für das Wirtschaftsland Schleswig-Holstein und erzählt, womit jedes Unternehmen sein Ministerium unablässig befeuern sollte.
Die explodierenden Energiekosten – gerade auch für Strom – sind existenzbedrohend für viele Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe. Wie kann die Landesregierung hier aktiv werden, um konkret zu helfen?
Wir können in erster Linie beim Bund Aufmerksamkeit erzeugen und Beispiele nennen. Dazu habe ich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck angeschrieben, weil wir gerade den Mittelstand im Entlastungspaket nicht ausreichend berücksichtigt sehen. Das Land selbst hat eine 500-Millionen-Darlehensprogramm aufgelegt, aber vor allem der Bund ist nun gefordert, die anstehenden Härten für Gesellschaft und Wirtschaft abzufedern. Grundsätzlich ist aber jede und jeder gefragt, seine eigene Betroffenheit aus seiner Branche ganz konkret bei uns zu melden. Wir haben bei Corona gemerkt, dass viele Beispiele ein Gesamtbild gezeichnet haben. Zunächst wurde dort nur auf die großen, weltweit agierenden Konzerne geschaut, und später merkte man dann, dass auch die Bäckerei oder die kleine Wäscherei vor derselben Herausforderung stehen. Letztlich stehen wir aber beim Thema Energie vor einer eher langfristigen und strukturellen Herausforderung für die nächsten zwei Jahre – mit deutlich höheren Markpreisen, als wir sie gewohnt sind. Überbrückungen über zwei Monate werden da kaum helfen. Daher blicke ich mit großer Sorge auf die Möglichkeit, dass viele Unternehmerinnen und Unternehmer in die Knie gedrückt werden.
Wir haben bei Corona gemerkt, dass viele Beispiele ein Gesamtbild gezeichnet haben. Zunächst wurde dort nur auf die großen weltweit agierenden Konzerne geschaut und später merkte man dann, dass auch die Bäckerei oder die kleine Wäscherei vor derselben Herausforderung steht. Letztlich stehen wir aber beim Thema Energie vor einer eher langfristigen und strukturellen Herausforderung für die nächsten zwei Jahre mit deutlich höheren Marktpreisen, als wir sie gewohnt sind. Überbrückungen über zwei Monate werden da kaum helfen. Daher blicke ich mit großer Sorge auf die Möglichkeit, dass viele Unternehmerinnen und Unternehmer in die Knie gedrückt werden.
Die Verfügbarkeit von Grünstrom ist großer Faktor für Schleswig-Holsteins Attraktivität. Gleichzeitig sorgen die vielen Windkraftanlagen, die ans Netz angeschlossen werden müssen, aber dafür, dass die Netzentgelte für die Verteilnetze hier bei uns die höchsten in ganz Deutschland sind. Sehen Sie eine Möglichkeit, diese Kosten endlich auf Bundesebene umzuschlagen?
Interessanter Weise ist es ja gerade der jetzige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der genau dies früher als Landesminister in Schleswig-Holstein vom Bunde verlangt hat, und jetzt dazu in der Lage wäre, dies auch umzusetzen. Ich gehe davon aus, dass er sich dafür nun auch einsetzt. Die Landesregierung hat ihn auch erneut darauf hingewiesen, dass es nicht sein kann, dass ein Land, das herausragend zur Energiewende beiträgt, dafür abgestraft wird. Ich glaube auch, dass er viel Verständnis dafür hat und da deshalb auch etwas passiert.
Im Koalitionsvertrag steht, dass Schleswig-Holstein das mittelstandsfreundlichste Land und ein klimaneutrales Industrieland werden soll. Wie will die Landesregierung diese Ziele erreichen?
Für mich als ehemaligen Unternehmer ist ganz klar: Der wichtigste Ansatz, um das mittelstandfreundlichste Land zu werden, ist Bürokratieabbau. Das ist mir ganz persönlich wirklich ein Anliegen. Es muss uns gelingen, bei den Prozessen, die das Land betreffen, ein Ohr bei den Unternehmen zu haben. Und daher mein Appell an alle IHK-Mitglieder: Reichen Sie mir Ihre Beispiele an sinnloser Bürokratie ein, und ich schaue, was ich tun kann. Dafür lohnt es sich, sich einzusetzen, egal ob es um Land, Bund oder EU geht. Natürlich brauchen wir Regeln und Normen, aber es darf nicht überhandnehmen.
Was die Klimaneutralität angeht, glaube ich, dass wir zuallererst froh sein können, wie weit wir als Energieland bereits gekommen sind. Wir sollten die großen Herausforderungen, vor denen wir jetzt stehen, auch als Momentum betrachten und wir können aus der Krise auch als Profiteure herausgehen. Wir sehen schon jetzt, dass erste Unternehmen sich gezielt dort ansiedeln, wo grüne Energie vorhanden ist und ein grünes Industrieland entsteht. Und wir als Landesregierung müssen natürlich dort, wo wir können, die Firmen bei der Umstellung auf erneuerbare Energien unterstützen.
Der Koalitionsvertrag verspricht auch eine „neue Ehrlichkeit“ bei DIN-, Bau,- Schall und Brandschutzvorschriften. Was kann man sich darunter genau vorstellen?
Immer häufiger beobachten wir, dass verschiedene Normen und Vorschriften sich überlappen und sich teils auch gegenseitig ausschließen. Und wir müssen uns ehrlich machen, diese Entwicklung nicht ausufern zu lassen. Ein Bauunternehmer auf Sylt berichtete mir kürzlich, dass er im selben Brief die Auflage erhalten hatte, nicht zu viel Fläche zu versiegeln und gleichzeitig breitere Straßen für Löschfahrzeuge vorzuhalten. Wir müssen zu klaren, stringenten Normen kommen, die nicht noch zusätzliche Hürden aufbauen.
Ein Kernthema der IHK-Arbeit ist die berufliche Bildung. Das Schleswig-Holsteinische Institut für Berufliche Bildung (SHIBB) ist in der neuen Landesregierung nicht mehr in Ihrem Wirtschaftsministerium angesiedelt. Wie können Sie verhindern, dass die Berufsschulplanung durch das Bildungsministerium von nun an vor allem von der Schulseite aus betrachtet wird und die Wirtschaftssicht nicht mitgedacht wird? Und wie gelingt es mehr junge Leute von der dualen Ausbildung zu überzeugen?
Als ehemaliger IHK-Präsident der IHK Rostock hätte ich mir natürlich dieses Thema sehr gewünscht. Aber jetzt gilt es, zusammen mit der Bildungsministerin nach vorne zu blicken. Denn klar ist, es muss nicht jeder studieren oder einen Doktor machen. Wir brauchen mehr Bewusstsein in der Bevölkerung für die Vorteile der dualen Ausbildung. Und ja, dafür brauchen wir auch gut ausgestattete Berufsschulen. Man sieht Universitäten mit schönem Campus, einer tollen Mensa und einem Audimax und dann teilweise Berufsschulen, die das so noch nicht ausstrahlen. Genau dort gilt es anzusetzen. Und gleichzeitig müssen wir gemeinsam mit den IHKs und den Unternehmen in die Schulen gehen und die jungen Leute dort aufklären und abholen. Ich bin auch Arbeitsminister und sehe es im Land an jeder Ecke: Die jungen Fachkräfte fehlen an jeder Ecke. Wir müssen den jungen Leuten eine exzellente Ausbildung bieten und gleichzeitig die Rahmenbedingungen für sie schaffen, hier im Land einen guten Job zu finden.
Ist der von Ihnen angesprochene Fachkräftemangel auch eine große Herausforderung für das Tourismusland Schleswig-Holstein?
Absolut. Unser Tourismus steht vor einigen Herausforderungen. Zunächst hatten wir uns an viele Touristen gewöhnt und dann kam Corona und in einigen Gegenden des Landes hat man dann gemerkt, wie es eigentlich ist, wenn keine Touristen da sind. Vieles an Infrastruktur wäre in einigen Orten gar nicht da, wenn es nicht den Tourismus gebe. Wenn sich jemand beschwert, dass er im Sommer zu lange beim Bäcker ansteht, dann kann ich demjenigen nur sagen, dass es ohne die Touristen diesen Bäcker gar nicht gebe. Auf der anderen Seite sehen wir gerade in der Tourismusbranche, wie etwa Restaurants tageweise schließen müssen, weil kein Personal vorhanden ist. Das ist eine riesige Herausforderung, diese Menschen zurückzugewinnen.
Und auch hier wieder mein Appell an die Unternehmen. Wir müssen Menschen dabei unterstützen wieder in Arbeit zu finden: beispielsweise viele erwerbslose Frauen, langzeitarbeitslose Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund. Da gibt es Eingliederungsprogramme und Unterstützung, aber auch den guten Willen, selbst einen Unterschied zu machen und unterstützen zu können, einen Menschen zu begleiten und eines Tages eine glückliche Mitarbeiterin zu haben. Seit 15 Jahren sprechen wir auch bei der IHK vom Fachkräftemangel – mittlerweile müssen wir vom Arbeitskräftemangel sprechen. Wir müssen dringend mehr Menschen in Arbeit bringen. Und das gilt nicht nur für den Tourismus.
Sie sind nicht nur Arbeits- und Wirtschaftsminister, sondern auch Verkehrsminister. Welches sind hier Ihre drängendsten Projekte?
Was das Mobilitätsversprechen der Landesregierung angeht, werden wir weitere Pilotprojekte für Ruftaxis und Rufbusse ins Leben rufen, aber zentral wird natürlich auch der Schienenausbau sein. Und da muss ich auch in Richtung Bund schielen: Bis 2031 fehlen eine Milliarde Euro an Regionalisierungsmitteln für den geplanten Ausbau. Auch im Hinblick auf die Diskussionen um ein Nachfolgeprodukt für das Neun-Euro-Ticket braucht es dieses Geld dringend, um einen leistungsfähigen ÖPNV zu ermöglichen.
Und wenn man auf die Straßen blickt, dann erscheint Schleswig-Holstein manchmal wie das Land der plötzlich endenden Autobahnen. Das habe ich nie verstanden, allerdings sehe ich auch bei der A20, dass es hier seit 13 Jahren nicht gelingt, sie weiterzuführen. Deshalb fällt es mir schwer, das zu versprechen, was viele vor mit versprochen haben. Aber ich kann versprechen, dass wir uns um den Weiterbau kümmern werden. Sobald für einen Teilabschnitt die Baugenehmigung vorliegt, sollten wir sofort bauen. Wir sollten nicht mehr warten, ob wir hinten oder vorne anfangen: Wir fangen dort an, wo es geht.
Wenn ich dann in Richtung Fehmarn und die Fehmarnbelt-Querung blicke, sehe ich eine wahnsinnige Chance für unser Land. Ich habe das Gefühl, dass man in Hamburg, vor allem aber in Dänemark schon längst dieses Potenzial des Tunnels erkannt hat. Ich war vor Kurzem in Lolland auf der Baustelle dieses riesigen Projektes und dort entsteht unter anderem eine vor Jahren geplante Berufsschule, in der auf einem Campus zusammen mit einer Universität genau solche Berufe gelehrt werden, die für infrastrukturelle Großprojekte benötigt werden. Und bei uns wird immer noch diskutiert und man bekommt den Eindruck, manch einer glaubt, der Tunnel käme gar nicht. Diese Diskussionen müssen jetzt aufhören und wir müssen uns darauf konzentrieren, welchen Nutzen wir aus dem Projekt ziehen können.
Beim Ausbau der Bundesstraße 5 kommen wir gut voran, aber auch bei der Marschbahn stockt es. Und dann gibt es noch das große Thema Fahrradinfrastruktur: Wir haben bereits touristische Radwege, aber ich glaube, wir brauchen auch echte Fahrradschnellstrecken für den Berufspendelverkehr. Es wird immer Menschen geben, die auf das Auto oder den Lieferwagen angewiesen sind, aber wir brauchen die Fahrrad- und Schieneninfrastruktur und einen günstigeren ÖPNV gerade auch für diese Menschen, damit auf den Straßen noch Platz ist.
Der Koalitionsvertrag spricht sich auch für die Fortführung des Runden Tisches Innenstadt aus. Wie möchte die Landesregierung darüber hinaus die Innenstadtentwicklung fördern?
Die Innenstadtentwicklung liegt in der Zuständigkeit des Innenministeriums, aber als ehemaliger langjähriger Handelsausschussvorsitzender beim DIHK in Berlin ist mir das Thema natürlich nicht neu. Hier sollten wir dringend auf die Expertise der IHKs und deren Handelsausschüsse setzen, denn dort werden die Diskurse in unterschiedlichen Städten seit Jahren geführt und ich kann nur an die Unternehmerinnen und Unternehmer appellieren: Bringen Sie sich bei Ihrer IHK ein. Wichtig wird sein, die Innenstadt von morgen zu entwickeln und sich nicht an Konzepten aus der Vergangenheit festzuklammern.
Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass jemand nur deshalb in die Innenstadt fährt, weil er dort eine Jeans zwei Euro günstiger als im Internet kaufen kann. Wir müssen durch Angebote an Familien und Kinder, aber auch an Senioren die Verweildauer in der Innenstadt erhöhen und zwischendurch ein kulturelles Highlight einstreuen. Es muss einen Mehrwert in der Innenstadt geben und Erlebnisse geschaffen werden. Mir ist bewusst, dass das abgedroschen klingt, aber es muss uns einfach gelingen. Also: Alle Akteure müssen an einen Tisch und dazu gehören auch die Kommunen. Den eines ist klar: Leerstand ist wie Karies. Er ist schmerzhaft und wenn er einmal da ist, geht er auch nicht mehr von allein weg, sondern verbreitet sich.
Die Landesregierung möchte den bis 2035 laufenden Landesentwicklungsplan jetzt bereits wieder überarbeiten. Ist es sinnvoll, einen solchen strategischen Ansatz direkt wieder über Bord zu werfen?
Wir haben durch Corona eine neue Dynamik beobachtet und müssen uns geänderten Rahmenbedingungen anpassen. Beispielsweise mussten Konzerte lange Zeit abgesagt werden und seit dem sie wieder möglich sind, sind sie erstaunlicher Weise nicht immer ausverkauft. Es gibt also ein verändertes Verhalten der Menschen und darauf sollten wir auch reagieren, um Menschen neu zu gewinnen.
Schleswig-Holstein ist das gründungsstärkste Flächenland Deutschlands. Wie kann dieser Platz gehalten werden?
Durch innovative Köpfe, die auch sichtbar gemacht werden. Und hier ist Schleswig-Holstein bisher durch gute Wettbewerbe, sinnvolle Clusterbildung, starke Ausgründungen aus den Universitäten und hilfreiche Finanzierungsmodelle tatsächlich klug unterwegs gewesen. Überhaupt muss Schleswig-Holstein seine Führungspositionen in Deutschland noch sichtbarer machen. Wir sind viel besser, als uns teilweise nachgesagt wird. Da denke ich an die hohe Gründungsquote, aber auch an den ersten Platz, was den Glasfaserausbau angeht, oder natürlich die Erneuerbaren Energien. Jetzt kommt noch die Batteriefabrik in Heide hinzu und ich gehe davon aus, dass in diesem Bereich jetzt auch viele Start-Ups entstehen. Letztlich ist auch das Silicon Valley auf diese Weise mitten im Pinienwald entstanden.
Und was sowohl die Gründungen als auch die riesige Aufgabe der tausendfachen Unternehmensübergaben angeht, die in den kommenden Jahren im Land anstehen, müssen wir als Gesellschaft bei den jungen Leuten die Lust auf das Unternehmertum wecken. Als IHK-Präsident war ich früher oft an Schulen und habe über Berufsmöglichkeiten gesprochen. Am Ende habe ich immer gefragt, was die jungen Leute den werden möchten und von mehr als 2.000 Schülerinnen und Schülern hat nicht eine einzige gesagt: Unternehmerin oder Unternehmer. Da sind wir alle gefragt, das Unternehmertum in die Köpfe zu bekommen
Interview: Jan Philipp Witt