Lebensmitteleinzelhandel

So werden wir einkaufen

Wie ändert sich das Einkaufsverhalten? Was machen die Branchenriesen? Und was kann der lokale Einzelhändler machen, um sich im Markt zu behaupten? Kaum eine Branche beschäftigt sich im Moment so stark mit der Zukunft wie der Lebensmitteleinzelhandel.
Seit der Onlinehändler Amazon auch Lebensmittel liefert, scheint die Branche in Aufruhr. Oder ist die Aufregung doch eher oberflächlich? Mitte Oktober gab Rewe-Group-Chef Lionel Souque dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ ein Interview, das mehr Fragen aufwarf als beantworte. Darin sagte Souque, dass Rewe keine Chance gegen Amazon im Onlinehandel habe. Dabei erreicht die Kette bereits jetzt 40 Prozent der Haushalte in Deutschland mit ihrem Lieferdienst. Auch in Kiel und Lübeck gibt es diesen Service. Darüber hinaus könnte Rewe seine aktuellen Pluspunkte auch online ausspielen. Aber anstatt lokale Erzeuger primär über die Rewe-Plattform anzubinden, stehen noch immer die Filialen im Vordergrund. Welche Rolle Filialen in der Zukunft spielen, ist allerdings noch nicht sicher. Man findet dort zwar immer mehr elektronische Preisschilder, aber damit hat der Branchenriese die Chancen der Digitalisierung bei Weitem noch nicht umfassend genutzt.
Auch bei den Discountern ist die Digitalisierung noch nicht vollends angekommen. Vor mehr als zwei Jahren startete Lidl seine E-Commerce-Website. Dort konnten Kunden fertige Vorratsboxen kaufen. Abgedeckt wurde ein Großteil des Filialsortiments an Lebensmitteln - ausschließlich Artikel mit langer Haltbarkeit sowie einige Non-Food-Artikel von Katzenstreu bis Spülmittel. Seitdem experimentiert das Unternehmen offenbar mit unterschiedlichen Strategien - mal mehr Artikel, mal kostenloser Versand, mal als zentrales Outlet für die Aktionsware. Insgesamt schafft der Discounter damit einen Umsatz von knapp einer Milliarde Euro. Dem gegenüber stehen knapp 40 Milliarden Umsatz aus dem Filialgeschäft. Lidl Express, eine Art Abholstation für Onlinebestellungen, wurde im Frühjahr eingestellt. Aktuell arbeitet Lidl an neuen Konzepten. Die Kochbox - ein Lieferabo mit frischen Zutaten - wird online wohl weiterhin eine große Rolle spielen.
Erlebniseinkaufen
Neben Lidl gibt es viele neue Start-ups, die sich auf Kochboxen spezialisiert haben. HelloFresh gehört dazu. Das System ist einfach: Der Konsument wählt online zwischen unterschiedlichen Gerichten und bekommt alles, was er dafür braucht, nach Hause geliefert. Dieser Trend wird auch von stationären Einzelhändlern aufgegriffen. So bietet Edeka-Kaufmann Heiner Kötter aus Neunkirchen-Seelscheid in Nordrhein-Westfalen in seinem Geschäft den Kunden fertige Boxen an. Der Kunde muss also nicht mehr überlegen, was er kocht. Er kommt einfach in den Laden und sucht sich ein Rezept und die passende Tüte aus, die zwischen sieben und 14 Euro kostet. Besonderer Clou: Durch die abgestimmten Rezepte bleiben keine Reste übrig - so müssen keine Lebensmittel gelagert oder weggeworfen werden.
Dass der stationäre Lebensmitteleinzelhandel noch lange nicht am Ende ist, beweisen auch die neuesten Informationen von Aldi. Das Unternehmen plant nach eigenen Angaben das "größte Investitionsprogramm der Firmengeschichte". Insgesamt will der Discounter bis 2019 in Deutschland rund 3,5 Milliarden Euro investieren, so ein Aldi-Sprecher. Der Löwenanteil des Geldes soll in die Modernisierung des fast 1.900 Läden umfassenden Filialnetzes fließen. "Wir geben mehr Gas, weil wir sehen, dass die Modernisierung der Läden und die Erweiterung des Sortiments bei den Kunden gut ankommt", sagt der Sprecher. Aldi Nord hatte bereits im Sommer ein milliardenschweres Investitionsprogramm angekündigt. Das Unternehmen nimmt hierfür weltweit 5,2 Milliarden Euro in die Hand. Wie genau sich die Filialen verändern werden, bleibt abzuwarten. Ein Trend wird sicher sein, Einkaufen zu einem Erlebnis zu machen. Dazu werden auch Bistrobereiche eingerichtet, die zum Verweilen einladen. Wer hätte das gedacht bei einem Händler, der mit Paletten in einer Halle gestartet ist.
Letzte Meile
Neben Erlebnisfilialen wird es in Zukunft auch weitere Konzepte geben. Der Online-Lebensmittelhandel ist derzeit auf der Suche nach neuen Distributionswegen. Gerade die „letzte Meile“ bereitet vielen Händlern Kopfzerbrechen. Das niederländische Start-up Picnic hat diese Nische erkannt und ist quasi ein Milchmann mit Supermarktsortiment. Mit seinem speziellen Lieferkonzept, eigener Mannschaft und eigens entwickelten schmalen Fahrzeugen versucht es seinen Marktanteil zu steigern. Die Herausforderung dabei bleibt, die Touren auszulasten, um die Kosten zu begrenzen. Das genau ist der Vorteil von Amazon Fresh. Das Unternehmen erhöht die Auslastung durch die Kombination von Food- und Non- Food-Produkten. Wer heute bestehen will, muss seinen Kunden etwas bieten. Oder - besser noch - etwas abnehmen. Das Einkaufen so angenehm wie möglich machen.
Die DHL-Tochter Allyouneed Fresh hat das verstanden. Hier können die Verbraucher ihre Online-Einkaufliste bequem die ganze Woche über ergänzen. Um das noch zu erleichtern, setzt der Online-Supermarkt auch auf Chatbots und Sprachdienste wie Amazon Alexa. Der Verbraucher kann also einfach in seiner Küche stehen und sagen: "Alexa, setze Milch auf meine Einkaufsliste." Um den Rest braucht er sich nicht mehr zu kümmern. Bei all den neuen Wegen, wie Verbraucher ihre Einkaufskörbe füllen, bleibt die Wunschware gleich: Ökologisch soll es sein. Für Marktforscher ist Bio "der erfolgreichste Trend überhaupt". Fast zehn Milliarden Euro gaben die Deutschen im vergangenen Jahr für ungespritztes Obst und Biofleisch aus. Nach einer aktuellen Studie der Gesellschaft für Konsumforschung hat sich der Bioanteil beim Lebensmittel- und Getränkeeinkauf in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt - von knapp drei auf fast sechs Prozent. Oft geht mit dem Verbraucherwunsch nach ökologischer Produktion auch der Wunsch nach Regionalität einher. Gerade hier können kleinere Läden mit kurzen Lieferwegen punkten - wenn sie es ihren Kunden transparent kommunizieren.
Kathrin Ivens
Veröffentlicht am 4. Dezember 2017

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