Nachfolge in Schleswig-Holstein

Next Generation

Für rund 620.000 kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland mit über vier Millionen Beschäftigten steht laut KfW-Mittelstandspanel zwischen 2016 und 2018 die Übergabe an. 45 Prozent der Senior-Unternehmer finden jedoch keinen passenden Nachfolger, heißt es im DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2016. Drei Nachfolger aus Schleswig-Holstein haben auf verschiedenen Wegen den Einstieg gemeistert.
Norbert Erichsen, heute Geschäftsführer der Flensburger Fahrzeugbau-Gesellschaft (FFG), kaufte das Unternehmen 2002 als Mitarbeiter aus der Nürnberger Diehl-Gruppe heraus. Zu dem Zeitpunkt war er schon 14 Jahre dabei. Auch der Nachfolger der KeraMiede Fliesenhandel OHG aus Schwentinental, Henning Miede, kannte den Betrieb von der Pike auf. Seine Eltern haben das Geschäft, das auf Fliesen aus Spanien, Italien und Portugal spezialisiert ist, aufgebaut. Er selbst half schon in der Schulzeit auf Minijobbasis aus. 2016 übernahm der 31-Jährige das Geschäft mit heute drei Mitarbeitern. Einer Umfrage der IHK Schleswig-Holstein zufolge, die sich an Unternehmer über 55 Jahre richtete, ist die Familienübernahme mit knapp 60 Prozent immer noch die häufigste Form. Auf Mitarbeiterübernahmen entfallen lediglich 15, auf betriebsfremde Übernahmen neun Prozent.
Zu diesen neun Prozent gehört Juliane Hagenström, die 2014 die Stockelsdorfer Buchhandlung Bücherliebe erwarb. Die gelernte Buchhändlerin und studierte Bibliothekarin entschied sich erst mit 50 Jahren für die Selbstständigkeit. Als externe Nachfolgerin musste Hagenström die Lage erst einmal sondieren und fand heraus, dass Stockelsdorf bei jungen Familien sehr beliebt ist. Es gebe viele Schulen, Neubaugebiete, junge Familien, neue Kindergärten. Im direkten Umfeld eines großen Parkplatzes sind heute alle Läden belegt. Dass die Buchhandlung sich 24 Jahre gehalten hatte, überzeugte sie besonders. Hagenström jobbte drei Monate im Geschäft, um die inneren Abläufe kennenzulernen. "Parallel nutzte ich alles, was die IHK für Existenzgründer anbietet."
Finanzierung
Die Fliesenhändler Miede führten bereits fünf Jahre vor der Übergabe erste Gespräche mit dem Steuerberater. "Wir haben uns intensiv mit allen Möglichkeiten und steuerlichen Vor- und Nachteilen auseinandergesetzt", so Henning Miede. Dann entschieden sie sich für eine Schenkung von 60 Prozent der Anteile, die Übergabe der restlichen Anteile ist mittelfristig geplant. Im Gegensatz dazu dauerte die Übernahme der FFG nur ein halbes Jahr und auch die Buchhandlung war binnen drei Monaten gekauft. Übernehme ein Mitarbeiter ein Unternehmen, gebe es eigentlich nur ein Problem, und das sei die Finanzierung, sagt Erichsen. Er überzeugte drei Finanzgesellschafter, sich zu je 25 Prozent zu beteiligen. Die Flensburger Sparkasse finanzierte die Übernahme des heute 800 Mitarbeiter starken Betriebs. Flensburgs ehemaliger Oberbürgermeister Hermann Stell sei bei der Suche nach einer Bank eine große Hilfe gewesen, erzählt Erichsen. Die laufende Finanzierung habe er jedoch unterschätzt, denn die 1902 gegründete Diehl-Gruppe erhielt von den Banken viel günstigere Konditionen. "Wir haben klein angefangen, die Grundstücke zunächst nur gepachtet. Das würde ich auch jedem raten. Immobilien binden zu viel Kapital, und gerade in der Anfangszeit ist die Liquidität das A und O."
Übergabemodell
Buchhändlerin Hagenström finanzierte den Kauf durch ein privates Darlehen ihrer Familie, da ihre Hausbank ihr keinen Gründerkredit beschaffen wollte. "Ich wollte ja kein Millionenprojekt starten. Andere kriegen das, um sich einen teureren Geländewagen zu finanzieren. Aber mir saß ein junger Mann gegenüber, der der Meinung war, dass heute nur noch E-Books gelesen werden - obwohl sie 2014 nur einen Marktanteil von 4,3 Prozent hatten." Ein schwieriges Thema war auch der Kaufpreis. Laut DIHK-Report fordern 44 Prozent der Alt-Inhaber zu viel. „In meiner Ausbildung habe ich zwar auch noch gelernt, dass man den guten Namen und Kundenstamm mitverkauft“, erinnert sich Hagenström. Aber die Zeiten seien vorbei, nicht nur im Buchhandel. Heute gehe es nur um Umsatz und Bestand.
FFG-Chef Erichsen hält eine Mitarbeiterübergabe für das "womöglich beste Übergabemodell". Man kenne das Unternehmen, den Markt, die Strategie und Perspektive - und wisse, was die Mitarbeiter können. Wichtig sei aber, authentisch zu bleiben: "Wenn ich früher um sieben gekommen bin, sollte ich nicht plötzlich anfangen, um acht zu kommen." Bei Familienübergaben sieht er die Gefahr, jemandem etwas aufzudrängen, für das er womöglich nicht geeignet sei. "Heute geht es um Fähigkeiten. Und die konnte ein ehemaliger Mitarbeiter bereits beweisen." Zum guten Geschäftsführer fehlten dann vielleicht noch 20 Prozent.
"Wir haben ihn nie in eine Richtung gedrängt", sagt Hennings Mutter Karin Miede. "Es bringt ja nichts zu sagen ‚Du übernimmst die Firma‘, wenn jemand zum Beispiel Balletttänzer werden möchte." Auf dem Gymnasium wählte Henning Miede Mathematik und Elektrotechnik, merkte aber bald, dass die Arbeit im Familienbetrieb ihm viel mehr zusagt. So studierte er Betriebswirtschaft an der Kieler Wirtschaftsakademie. Der Vorteil einer Familienübergabe sei das Vertrauensverhältnis: "Beide Seiten wissen genau, worauf sie sich einlassen. Keiner versucht, den bestmöglichen Preis rauszuholen." Seit der Übergabe habe ihm seine Mutter freie Hand gelassen. Das fiel der 64-Jährigen nicht schwer. Natürlich mache ihr Sohn viele Dinge anders. "Aber die macht er besser." So habe er das Unternehmen ins digitale Zeitalter geführt. Für das Image sei die Übernahme sehr positiv gewesen. Viele langjährige Kunden hätten sich dazu klar geäußert. "Ich finde es sehr schade, dass immer mehr Familienbetriebe verschwinden", sagt sie. FFG-Chef Erichsen bedauert, dass immer mehr Übernahmen durch Mehrheitsbeteiligungen von außen stattfinden. "Wenn der Mittelstand nicht mehr vor Ort verwurzelt ist, geht das zulasten der Gesellschaft."
Buchhändlerin Hagenström denkt, dass eine Übernahme aus einem Vertrauensverhältnis heraus vieles vereinfacht, bereute ihren Weg aber nie. Zur Eröffnung wurde sie mit Blumen und selbst gekochter Marmelade überrascht. "Viele Stockelsdorfer waren froh, dass der Buchhandel hierbleibt. Jeden Morgen weiß ich: Wenn ich in den Laden gehe, sehe ich nette Leute."
Andrea Scheffler
Veröffentlicht am 4. Juli 2017