Nachhaltiges Bauen

Ein zweites Leben für Baustoffe

Die Baubranche gehört zu den großen Treibhausgasverursachern. Viele Unternehmen entscheiden sich daher für klimaschonende Alternativen. Betriebe aus Schleswig-Holstein machen vor, wie Nachhaltiges Bauen gelingt.
Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sind zentrale Themen der Bauwirtschaft: Arne Stecher vom Zementhersteller Holcim GmbH betonte kürzlich, dass vor allem der CO2-Fußabdruck der entscheidende Faktor sein werde, wenn es um den Beitrag der Bauwirtschaft zur Energiewende gehe. Stecher ist bei dem international tätigen Hersteller zuständig für die Dekarbonisierung und sprach bei der Veranstaltung „Nachhaltiges Bauen“ der Netzwerkagentur Erneuerbare Energien Schleswig-Holstein (EE.SH). In Lägerdorf bei Itzehoe will Holcim das CO2, das beim Zementproduktionsprozess entsteht, auffangen und aufbereiten. So wird es als Rohstoff für chemische Prozesse zur Verfügung stehen – vom Grundstoff E-Methanol bis zu E-Fuels.
Um CO2 auch direkt beim Bau zu reduzieren, geht DeFries, eine Eigenmarke der Schröder Bauzentrum GmbH, Garding & Co. KG, bei Baustoffen einen möglichst klimaneutralen Weg. Mit historischen Wandfliesen, Ziegeln, Steinen, Holz, Dachpfannen und Klinkern macht das Unternehmen an der Westküste Bauprojekte zu einzigartigen, nachhaltigen Objekten. Das Bauen mit historischen Materialien bewähre sich, sagt Vertriebsleiter Jörg Lass. „Unsere Baustoffe haben Geschichte und einen anderen Charakter als ein industrielles Produkt. Farbspiele, Oberflächen oder Formen stammen aus alter Handarbeit. Diese natürliche Optik erhält man nur mit Produkten, die ein zweites Leben bekommen.“ Architekten, Bauherren, Investoren und Bauunternehmer vertrauen DeFries, weil sie „ansprechend und gleichzeitig klimaneutral bauen wollen. Das ist unsere größte Motivation, die auf offene Ohren und Augen trifft“, sagt Lass.
Materialien wie antike Dachpfannen oder Ziegel kauft DeFries bei Abbruchunternehmen in der Region und in Europa ein, doch der Großteil wird selbst abgebaut. „Wir werden das Bergen der Baustoffe in Zukunft noch stärker favorisieren, weil wir uns dann nur auf Materialien aus der Region fokussieren können – ein weiterer Schritt hin zur Nachhaltigkeit.“ Spezialität des Unternehmens sind die Ziegel. Sie werden exakt kontrolliert: Stimmt der optische Gesamteindruck und lässt sich der Ziegel vom Mörtel trennen, wird er zur Aufbereitung und Sortierung in die Manufaktur gebracht. Dort werden werden die Ziegel von Hand separat gereinigt, von Mörtelresten befreit und aufgearbeitet. Das Keramisch-Technologische Baustofflaboratorium Hamburg bewertet die Ziegel sehr positiv: Die recycelten Vormauerziegel gelten als nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Ziegeln. „Wir haben hier ein riesiges Potenzial für die Baubranche in Bezug auf Klimaschutz. Zwar bewegen wir uns in einem Nischengeschäft, das aber Lösungen für die ganze Branche anbieten kann“, betont Jörg Lass. Die Ziegel haben keine homogenen Eigenschaften und entsprechen keiner DIN-Norm. „Die Maßtoleranzen liegen dementsprechend höher als bei Neuprodukten“, sagt Lass.
„Bei alten Steinen sind Abplatzungen normal und diesen Charakter möchte der Bauherr haben. Kein steriles Mauerwerk, sondern ein lebendiges.“ Gemeinsam mit der Fachhochschule Westküste hat DeFries wissenschaftlich untersucht, wie viel CO2 durch den Einsatz recycelter Ziegel eingespart werden kann. Sören Baumgarten, Student im Bereich Green Building Systems, belegte mit seinem Professor Dr. Oliver Opel die Nachhaltigkeit der DeFries-Ziegel: Beim Bau eines Einfamilienhauses mit 22 Tonnen Steinen können zum Beispiel rund 7,5 Tonnen CO2 gespart werden. Zum Vergleich: Mit 7,5 Tonnen könnte man 232-mal mit der Bahn von Hamburg nach Kiel fahren.
Projekte wie das Lighthouse Hotel & Spa in Büsum von 2019 machen Jörg Lass Mut, nachhaltiges Bauen in vielen Branchen bekannt zu machen. 700 Quadratmeter historische Ziegel verarbeitete DeFries im Hotel, schnitt Steine und Winkel zu, verbaute sie in der Lobby, in der Bibliothek, im Restaurant „Osteria bei Peci“ und im Treppenhaus. Charakterwände, die Behaglichkeit schaffen – für Lass auch ein Grund, sich in Zukunft weiter zu spezialisieren. „Um massentauglicher und in der Region noch präsenter zu werden, wollen wir zukünftig mehr Steine aus eigenen Abbrüchen einlagern und die Aufbereitung unserer Ziegel ausbauen. Dafür brauchen wir nicht nur mehr Maschinentechnik, sondern auch mehr Mitarbeitende, die mit uns für unsere Kunden außergewöhnliche Bauvorhaben realisieren wollen.“   
Julia Romanowski
August 2023