Föhr: Unternehmer Bodo Janssen im Interview

„Es fängt damit an, die Beziehung zu den Menschen zu verbessern“

„Wir wollen einen anderen Chef als Bodo Janssen“ – das kam bei einer Mitarbeiterbefragung heraus. Der Leiter der Hotelkette Upstalsboom läutete daraufhin einen radikalen Wandel ein und gilt mittlerweile als Vorzeigeunternehmer. Im Interview spricht er über gute Führung, Bürokratie und seine 40-Stunden-Woche.
Wenn ich eine bessere Führungskraft werden möchte, wo sollte ich anfangen?
Bei dir selbst. Mein Rat ist, sich etwas Zeit am Tag nehmen, um zu reflektieren. Nicht über Ergebnisse oder Leistungen, sondern eher: Mit wem arbeite ich zusammen? Was können und wollen die? Beobachten, hinterfragen und andere nach ihrer Meinung fragen. Indem ich mich für die Menschen um mich herum aufrichtig interessiere, investiere ich in unsere Beziehung und zeige gleichzeitig ein hohes Maß an Wertschätzung.
Ich höre oft: „Sowas wie bei euch, das geht bei uns nicht.“ Chef, Budget, Unternehmensstruktur – das sind alles Ausreden. Es fängt damit an, die Beziehung zu den Menschen zu verbessern, um ihnen zu ermöglichen, so zu arbeiten, dass ihnen die Arbeit wirklich etwas gibt, und das kann jeder.
Der Mensch steht also im Mittelpunkt.
Genau, kurz und knapp gesagt, geht es bei guter Führung darum, die Mitarbeiter zu befähigen, die an sie gestellten Aufgaben zu meistern – wie ein guter Bergführer, dem es gelingt, alle ihm anvertrauten Menschen zum Gipfel zu bringen. Er sorgt dafür, dass alle mitkommen, auch die weniger fitten. Er hat ein Gesamtbild vom Team, entscheidet über die Route und Geschwindigkeit, hat das Equipment im Blick.
Ich bin nicht verantwortlich für die Zufriedenheit aller Upstalsboomer, aber ich kann alles dafür tun, dass sie zufrieden sein können.
Können Sie das für jeden Ihrer 650 Mitarbeiter sicherstellen?
Nein. Ich schaffe nur die Rahmenbedingungen. Dafür habe ich verbündete Führungskräfte mit einem ähnlichen Mindset. Generell ist es unmöglich, alle Menschen zu erreichen. Einige haben gerade andere Themen und sind nicht bereit für meine Ideen und Versuche. Ich kann nur einladen, nicht erzwingen. Genauso bin ich nicht verantwortlich für die Zufriedenheit aller Upstalsboomer, aber ich kann alles dafür tun, dass sie zufrieden sein können.
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In seinem Buch „Das neue Führen“ schreibt Janssen über das Führen und sich führen lassen in Zeiten der Unvorhersehbarkeit. Seine Vision ist es, die Menschen zu stärken, damit die Wirtschaft den Menschen dient und nicht andersherum. © Ariston
Wie schaffen Sie die Rahmenbedingungen dafür?
Indem ich Raum und Zeit dafür schaffe, zu- einander zu finden abseits der operativen Aufgaben. Alle meine Führungskräfte konnten mit mir ins Kloster kommen. Mir selbst hat der Klosterbesuch 2011 nach dem verheerendem Mitarbeiter-Feedback sehr geholfen. In unserem Curriculum komme ich dreimal im Jahr mit Führungskräften und Abteilungsleitern zusammen, um über uns selbst und die Führung von anderen zu sprechen.
Kurzum: Ich habe der persönlichen und kulturellen Weiterentwicklung der Menschen im Unternehmen mehr Zeit und Raum geschenkt. Und ich habe Veränderungen an der Basis vorgenommen. So haben wir 2021 die Auslastung unserer Hotels auf 90 Prozent begrenzt. Meine Mitarbeiter hatten nicht mehr die Zeit, die Dinge richtig gut zu machen, weil sie einfach nur fertig werden mussten. Mir war es wichtig, das zu ändern.
Und wie haben Sie die Einbußen kompensiert?
Den Mitarbeitern bleibt mehr Zeit für das Zwischenmenschliche, sie können ein Freund für den Gast sein und ihre Qualifikation leben. Die Gäste haben die höhere Qualität im Service wahrgenommen. Ihre Zufriedenheit hat zu einer höheren Nachfrage geführt, sodass wir die Preise erhöhen konnten. Zudem ist unser Krankenstand extrem niedrig. Aktuell müssen wir drei von vier Bewerbern absagen. Den Fachkräftemangel spüren wir nicht.
Sie verdienen das 6,2-fache des niedrigsten Gehalts im Betrieb, also 12.500 Euro brutto – damit gehen Sie offen um. Weiß jeder bei Ihnen im Unternehmen, was der andere verdient?
Nein. Bei uns gibt es keinen Standard für alle Upstalsboomer. Das klären die einzelnen Teams unter sich. Einige gestalten die Verteilung der Gehälter mit vollkommener Transparenz selbst. Es gibt aber auch Teams, in denen das nicht so ist. Früher gab es bei uns individuelle, willkürliche Entscheidungen. Das führte teilweise zu großen Gehaltsunterschieden für Mitarbeiter in gleichen Bereichen. Diese Willkür gibt es heute nicht mehr. Die Vergütung ist immer nachvollziehbar geregelt. Alles andere sorgt für Unmut.
In Ihrem neuesten Buch schreiben Sie auch von äußeren Faktoren, auf die man keinen Einfluss hat, mit denen man lernen muss, umzugehen – für Unternehmer ist das das hohe Maß an Bürokratie. Wie händeln Sie bürokratische Auflagen?
Ich versuche, die dadurch entstehende Belastung so weit wie möglich von uns fernzuhalten und bin dafür auch bereit, Geld in die Hand zu nehmen, indem ich diese Aufgaben an Dienstleister ausgliedere oder Steuernachteile in Kauf nehme. Die Arbeitszeiterfassung ist ein Beispiel: Vor ein paar Jahren haben wir sie abgeschafft. Wir wollten sie als Kontrollmechanismus nicht mehr nutzen und haben Vertrauensarbeitszeit eingeführt. Das war nicht revisionssicher für die Betriebsprüfung. So wurden Dinge zu meinen Lasten ausgelegt und wir mussten Steuern nachzahlen. Aber das ist in Ordnung, weil ich das rechtlich und wirtschaftlich vertreten kann. Nach ein paar Jahren haben wir auf Wunsch der Mitarbeiter die Zeiterfassung doch wieder eingeführt – aber nicht zur Kontrolle, sondern um die Arbeit effizienter zu gestalten.
Der Fachkräftemangel wäre um einiges geringer, wenn gute Leute nicht ihre Zeit und Ressourcen als Datenschützer oder Sicherheitsbeauftragter verschwenden müssten.
Damit möchte ich nur sagen: Ich bewahre mir lieber die Freiheit, kreativ sein zu können, statt mich gefangen nehmen zu lassen durch solche Strukturen. Der Fachkräftemangel wäre um einiges geringer, wenn gute Leute nicht ihre Zeit und Ressourcen als Datenschützer oder Sicherheitsbeauftragter verschwenden müssten.
Mir hat es geholfen, eine Einstellung zu entwickeln, damit mich die äußeren Rahmenbedingungen nicht erdrücken: Egal, was uns die Umstände bescheren, wir nutzen die Situation als Mittel zum Zweck, uns als Mensch und Unternehmen weiterzuentwickeln. Es gibt immer Möglichkeiten. Auch Bürokratie bietet Interpretationsspielraum. Indem ich immer anderen die Schuld gebe, ermächtige ich sie. Sich selbst ermächtigen, etwas zu tun und zu handeln – das ist die Aufgabe.
Sie sind Speaker, Autor und Leiter einer Hotelkette, wie schaffen Sie es da, „nur“ 40 Stunden die Woche zu arbeiten?
Ich versuche, auf meine Zeit zu achten. Ich stehe früh auf, um zu meditieren, dann schreibe ich. Heute war ich um halb neun im Büro und habe bis 17 Uhr noch gut zu tun. Klar, gibt es auch mal stressigere Phasen, in denen das Wochenende ausfällt. Das versuche ich aber zu vermeiden. Redner, Schriftsteller und Führungskraft zu sein, empfinde ich als Bereicherung. Organisatorische, kaufmännische und strukturelle Themen machen mir weniger Freude. Deshalb habe ich letztes Jahr auch einen Kaufmännischen Leiter eingestellt, der mir solche Dinge abnimmt. Da stehe ich lieber einen halben Tag mit meinen Mitarbeitern in Kühlungsborn in der Küche und bin im Geschehen bei den Menschen.

Interview: Aenne Boye