Verwaltungslast senken

Endgegner Bürokratie

Unternehmerinnen und Unternehmer möchten vor allem eines: ihren Job machen und ihre Kunden zufriedenstellen. Immer häufiger begegnen sie hierbei aber einer Hürde, die gutes Wirtschaften erschwert: überbordende Bürokratie. Doch es gibt Lösungsmöglichkeiten.
Fotoagentur 54°/Felix König
Matthias Kohlhardt, Vorstandsvorsitzender der MACH AG in Lübeck, möchte mit einer ERP-Software die öffentliche Verwaltung digitalisieren. © Fotoagentur 54°/Felix König
Eigentlich produziert, verkauft und wartet Birgit Putz mit ihrem Unternehmen KD-Putz im nordfriesischen Viöl Blechputzmaschinen für Bäckereien ganz unterschiedlicher Größe. Ob 100 oder 8.000 Bleche pro Tag gereinigt werden müssen – der Betrieb hat die richtige Maschine im Portfolio. Inzwischen verbringt Putz aber vor allem auch viel Zeit mit dem Dokumentieren, Melden und Archivieren der Anzahl der an ihre Kunden in ganz Europa verschickten Packstücke. Denn ihr Unternehmen fällt unter das Verpackungsgesetz. Dort möchte der Gesetzgeber zwar die großen (Online-) Handelsriesen treffen, die den direkten Kontakt zum Endverbraucher haben, trifft aber aufgrund fast absurd anmutender Definitionen auch Putz, die mit ihren acht Mitarbeitern ausschließlich im B2B-Bereich tätig ist. „Unsere Kunden sind teils kleinere Bäckereien, die nur eine normale Mülltonne benötigen“, sagt Putz.
„Das Verpackungsgesetz definiert Mülltonnen bis 1.100 Liter Fassungsvermögen als Privatkunden zugehörig, und so müssen nun auch wir jeden einzelnen Karton und gefütterten Umschlag zum Versand unserer Ersatzteile notieren, melden und archivieren.“ Gewogen werden muss auch: Füllmaterial, Lieferscheintasche, Adresslabel, Verpackungsband. Wie viel Kunststoff und wie viel Papier befindet sich im Packstück? „Müllreduktion ist wirklich wichtig, aber unser Unternehmen kann durch das Verpackungsgesetz nicht ein Gramm Müll reduzieren“, so Putz.
Als kleines Unternehmen stoßen wir an unsere Grenzen.
Birgit Putz
„Unsere Kunden brauchen die Ersatzteile und wir müssen ihnen diese zukommen lassen. Warum gibt es keine Bagatellgrenzen? Warum muss ich auf einer Maschine, die eine halbe Tonne wiegt, einen Hinweis anbringen, dass sie nicht im Hausmüll entsorgt werden darf? Das sind nur wenige Beispiele für bürokratische Hürden, die uns daran hindern, einfach unseren Job zu machen. Als kleines Unternehmen stoßen wir an unsere Grenzen.“
Die Hansedrive Logistics GmbH in Ellingstedt bei Schleswig hat sich auf den Transport von langen, hohen oder schweren Gütern spezialisiert – vor allem Schiffsmasten bringen die Hansedrive-Lkw zuverlässig ans Ziel. Für solche Spezialtransporte braucht es eine gesonderte Genehmigung, und um diese zu erhalten, braucht es inzwischen einen langen Atem: „Für einen klassischen Transport durch Deutschland mussten wir früher etwa drei bis vier Wochen auf eine Genehmigung warten. Inzwischen bekommt man keine Auskunft mehr, wann eine Genehmigung eintreffen könnte, sondern muss bis zu elf Wochen warten“, sagt Joachim Plähn. „Wir können eigentlich gar nicht mehr planen und unseren Kunden auch keine Auskunft geben, wann wir ihren Auftrag erfüllen können.“ Häufig wandere der Auftrag dann zu einem Mitbewerber, der den Transport „schwarz“ durchführe.
Joachim Plähn, Hansedrive Logistics GmbH © Foto Sliasthorp GmbH
„Grundproblem ist das VEMAGS-System, in das wir online unsere geplanten Touren eingeben müssen und über das die unterschiedlichen Behörden in den Bundesländern ihre Genehmigungen erteilen oder eben auch nicht. Das Straßennetz im System ist nicht auf dem neuesten Stand und nicht schwerlasttauglich. Was uns fehlt, ist die sofortige Ansicht bei Ablehnungen. Erst nachdem alle Behörden ihre Stellungnahme abgegeben haben, bekommen wir die Ablehnung. Wir ändern den Antrag und wieder geht es von vorne los“, sagt Plähn. Gleichzeitig hätten sich die Kosten für eine Genehmigung fast verdreifacht. Deutschland sei innerhalb Europas inzwischen mit Abstand das langsamste Land, wenn es um Genehmigungen für Spezialtransporte gehe. „Zudem brauchen wir Stellplatznachweise für jedes Fahrzeug, während ausländische Lkw hier überall frei rumstehen können. Ich brauche für jeden Laster eine EU-Lizenz, die aber häufig nur im Schrank liegt, weil ich nicht weiß, wann die Genehmigung für einen Transport eintrifft“, sagt Plähn enttäuscht.
Auch Matthias Kohlhardt, Vorstandsvorsitzender der MACH AG in Lübeck, sieht in der stetig wachsenden Bürokratie eine Gefahr für Unternehmen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt: „Wir brauchen Gesetze, die unkompliziert für alle funktionieren. Einzelfallgerechtigkeit ist ein hehres Ziel, führt aber häufig zu absurder Komplexität und unnötig hohen Aufwänden.“
MACH ist ein hochspezialisierter Anbieter von ERPSoftware mit Fokus auf öffentliche Einrichtungen wie Bundes- und Landesbehörden, Kirchen, Stiftungen, Lehr- und Forschungseinrichtungen sowie NGOs. „Der öffentliche Dienst hat sehr spezifische Anforderungen“, sagt Kohlhardt. „Betriebswirtschaftliche Buchführung und Kameralistik, integriert in eine anwenderfreundliche ERP-Software: Das ist eine unserer Spezialitäten.“ MACH kommt aber nicht nur im Bereich Finanzbuchhaltung, sondern unter anderem auch in der Beschaffung zum Zuge. „Wir digitalisieren und modernisieren Prozesse in öffentlichen Einrichtungen. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben bilden wir die internen Abläufe von Verwaltungen mithilfe unserer ERP-Software möglichst automatisiert, effizient und transparent ab.“ Neben der Hansestadt Lübeck setzen unter anderem die Universität zu Lübeck, das Kraftfahrt-Bundesamt und das Forschungszentrum Borstel auf MACH.
Bei der Verschlankung und Digitalisierung von behördlichen Prozessen ist noch einiges zu tun.
Matthias Kohlhardt
Eine effiziente Verwaltung ist für die Wirtschaft ein Baustein für unbürokratisches Arbeiten – ein anderer sind schlanke, unkomplizierte Schnittstellen zur Verwaltung. Auch hier hilft die machgruppe: Das Schwesterunternehmen Form-Solutions bietet beispielsweise Online- Formulare für die Websites von mehr als 2.000 Kommunen an. Anträge der Bürger laufen so mit den internen Verwaltungsprozessen in einer effizienten Komplettlösung aus einer Hand zusammen. „Bei der Verschlankung und Digitalisierung von behördlichen Prozessen ist noch einiges zu tun“, sagt Kohlhardt. Um in Zukunft durch neue Gesetze nicht immer mehr Bürokratie zu generieren, gibt es in Schleswig-Holstein etwa eine Initiative, neue Gesetze auf Digitalisierbarkeit zu überprüfen. „Das ist der richtige Weg“, so Kohlhardt. „Denn nicht nur die Wirtschaft leidet unter der Bürokratie. Unsere gesamte Demokratie ist in Gefahr, wenn die Bürgerinnen und Bürger den Staat nicht mehr als fähig wahrnehmen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern, und damit das Vertrauen in ihn verlieren.“  
Jan Philipp Witt
Veröffentlicht Juli 2023