Regionale Erzeugnisse und Produktnamen besser schützen
von Benjamin Tietjen |
Geografische Angaben werden seit zwei Jahren auf europäischer Ebene noch stärker in den Fokus gerückt. Andrea Ringle, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz von der Kanzlei BRL Boege Rohde Luebbehuesen, gibt einen Überblick, was das für Unternehmen bedeutet und welche Neuerungen ab Dezember 2025 anstehen.
Warum sind EU-Herkunftsbezeichnungen aktuell im Gespräch? Worum geht es dabei?
Seit mehr als zwei Jahren ist der Schutz von geografischen Angaben auf europäischer Ebene noch stärker im Fokus als vorher. Grund hierfür ist die Neugestaltung und die Erweiterung des Schutzsystems bezogen auf Erzeugnisse, die eng mit einem bestimmten geografischen Gebiet verbunden sind. In den Jahren 2023 und 2024 sind zwei EU-Verordnungen inkraftgetreten, die solchen Erzeugnissen Aufwind geben:
- die Verordnung (EU) 2023/2411 vom 18. Oktober 2023 über den Schutz geografischer Angaben für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse und
- die Verordnung (EU) 2024/1143 vom 11. April 2024 über geografische Angaben für Wein, Spirituosen und landwirtschaftliche Erzeugnisse und über garantiert traditionelle Spezialitäten und fakultative Qualitätsangaben für landwirtschaftliche Erzeugnisse.
Die Eintragungsmöglichkeiten von Namen handwerklicher und industrieller Erzeugnisse gab es bislang nur vereinzelt auf nationaler Ebene; in Deutschland gibt es bislang allein zwei solcher Namen: „Solingen“ für Schneidwaren und „Glashütte“ für Uhren.Nunmehr wird die Eintragung europaweit (und über Lissaboner System sogar darüber hinaus) durch eine einzige Anmeldung ermöglicht mit weitreichenden Mechanismen zur Verhinderung von Rechtsverletzungen. Anträge auf Eintragung einer geografischen Angabe für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse können ab dem 1. Dezember 2025 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) als zuständige nationale Behörde gestellt werden.
Das Geoschutzreformgesetz, das Vorgaben der genannten Verordnungen auf nationaler Ebene umsetzt, insbesondere durch Änderung des Markengesetzes, wurde noch nicht vollständig verabschiedet, dies wird aber zeitnah erwartet.
Die europaweite Eintragungsmöglichkeit von Namen landwirtschaftlicher Erzeugnisse, Weine und Spirituosen gab es bereits vor der letztes Jahr inkraftgetretenen Verordnung. Neu ist aber, dass die Regelungen zur Handhabung des Regionalschutzes in einer Verordnung zusammengefasst und somit harmonisiert wurden. Außerdem wurden auf Grundlage der Erfahrungen, die man in den letzten Jahren gemacht hat, sowie infolge der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Herkunftskennzeichen einige Regeländerungen vorgenommen.
Im Bereich handwerklicher und industrieller Erzeugnisse gibt es nur die Kategorie der geschützten geografischen Angabe (g.g.A.) und für Spirituosen nur die Kategorie „geografische Angabe“ (g.A.). Im Übrigen unterscheidet man im AGRI-Bereich zwei Schutzkategorien, die von zwei Siegeln der Europäischen Union flankiert werden: Ursprungsbezeichnungen (g.U.) (rotes Symbol) und geschützte geografische Angaben (g.g.A.) (blaues Symbol) – auch bekannt als DOP/IGP oder AOP/IGP:
Bei einer g.U. liegen alle Produktionsschritte in dem Herkunftsgebiet, für die g.g.A. genügt ein einziger Schritt. Vor allem unsere europäischen Nachbarn warten mit einigen sehr bekannten Vertreter auf: Champagner (g.U.), Parmigiano Reggiano (g.U.), „Cava“ (g.U.), Prosciutto di Parma (g.U.) zum Beispiel. Auch in Deutschland finden sich aber namhafte Repräsentanten wie Lübecker Marzipan (g.g.A.), Allgäuer Emmentaler (g.U.), „Schwarzwälder Schinken“ (g.g.A.), „Bayerisches Bier“.
Wer sich einen Überblick über eingetragene Herkunftsangaben machen will, kann in diesen Datenbanken nachsehen.
Wovor schützen EU-Herkunftsbezeichnungen genau?
Die EU-Verordnungen über geografische Angaben sind auf die Verteidigung von Erzeugnissen ausgerichtet, die Eigenschaften, Merkmale oder ein Ansehen aufweisen, die mit dem jeweiligen Erzeugungsort in Zusammenhang stehen. Im Kern zielt dieser Geo-Schutz gegen missbräuchliche Verwendung aus dem Ruf geschützter Namen und der mit den Produkten verbundenen Qualität. Es sollen Trittbrettfahrer verhindert werden, die sich einen Namen zu eigen machen oder sich an diesen anlehnen, ohne sich denselben strengen Herstellungsregeln und Kontrollen zu unterwerfen. Das Gesetz schützt eingetragene Namen nicht nur unmittelbar, sondern auch gegen mittelbare Anspielungen oder Assoziationen.
Beispielsweise lassen sich den Verordnungen und dem deutschen Markengesetz, das auf diese verweist, folgende Handlungsanweisungen entnehmen:
- Es dürfen keine Produktnamen verwendet werden, die zu einem als g.U. oder g.g.A. eingetragenen Namen identisch sind, die eine Aneignung, Nachahmung oder Anspielung darstellen (auch nicht zusammen mit Ausdrücken wie „à la“, „Typ“, „Verfahren“, „hergestellt wie in“, „Nachahmung“, „Geschmack“, „wie“) oder die auf andere Weise falsche oder irreführende Angaben zu Herkunft, Ursprung, Natur oder wesentlichen Qualitätsmerkmalen des Erzeugnisses enthalten. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) setzt dies als Vorbild für die nationalen Gerichte konsequent um: z. B. stellt die Verwendung der Bezeichnung „Parmesan“ eine widerrechtliche Anspielung auf die g.U. „Parmigiano Reggiano“ dar, wenn darunter kein „Parmigiano Reggiano“ (g.U.) verkauft wird (Az. C-132/05). Der EuGH sprach sich auch für Assoziationen aufgrund der Verwendung von Bildern aus, nämlich die Verletzung der g.U. „Queso Manchego“ durch ein Etikett für aus der Region Mancha (Spanien) kommenden Käse, das Bilder einer Don Quijote de la Mancha ähnelnden Person mit abgemagertem Pferd und Windmühlen zeigt (Az. C-614/17). Verboten wurde auch die Verwendung der Bezeichnung „Champanillo“ als unzulässige Ausnutzung der g.U. „Champagne“ (Az. C-783/19).
- Geografische Angaben, die als geschützte geografische Angaben oder geschützte Ursprungsbezeichnungen eingetragen sind, sind als absolute Schutzhindernisse im markenrechtlichen Anmelde- bzw. Nichtigkeitsverfahren sowie als Widerspruchsgründe im markenrechtlichen Kollisionsverfahren zu berücksichtigen.
- Manche eingetragene Namen haben im Gegensatz hierzu nur einen limitierten Schutz, weil sie beispielsweise eine frei verwendbare Gattungsbezeichnung enthalten. Beispiele hierfür sind die g.g.A. „Holsteiner Tilsiter“ oder die g.g.A. „Gouda Holland“ (die Bezeichnungen „Tilsiter“ und „Gouda“ sind für vergleichbare Produkte frei verwendbar).
- Wer im AGRI-Bereich ein Erzeugnis als Zutat nutzt, das als g.U. oder g.g.A. unter Schutz steht, und das Erzeugnis im Produktnamen erwähnen möchte, muss neben allgemeinen Kennzeichnungsvorschriften die Anforderungen von Art. 27 der VO (EU) 2024/1143 berücksichtigen. Das ist bspw. nur zulässig, wenn die durch die geografische Angabe bezeichnete Zutat in ausreichenden Mengen verwendet wird, sodass sie dem betreffenden Verarbeitungserzeugnis eine wesentliche Eigenschaft verleiht und zusätzlich der Prozentsatz der Zutat auf dem Etikett angegeben ist. Außerdem muss die Erzeugergemeinschaft über die Verwendung informiert werden.
Inwiefern müssen Unternehmen nun aktiv werden? Welche Unternehmen betrifft es?
Um Erzeugnisse unter Schutz zu stellen, muss ein Eintragungsverfahren durchlaufen werden. Der Prozess beginnt mit einer nationalen Phase, die ab dem 1. Dezember 2025 für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Weine und Spirituosen von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) durchgeführt wird und für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse vom DPMA. Nach der Antragstellung folgt ein nationales Einspruchsverfahren. Bei erfolgreichem Verlauf folgt die Unionsphase, in der im Falle von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Weinen und Spirituosen die EU-Kommission und im Falle von handwerklichen und industriellen Erzeugnissen das Amt der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) den Antrag prüft und im Rahmen dessen andere EU-Mitglieder Einspruchsmöglichkeiten haben.
Anträge auf Eintragung geografischer Angaben können in der Regel nur von einer antragstellenden Erzeugervereinigung gestellt werden, also einem Zusammenschluss von Erzeugern desselben Erzeugnisses. Einzureichen sind Unterlagen, aus denen sich die Schutzberechtigung des angemeldeten Namens als geografische Angabe ergibt, und insbesondere eine Produktspezifikation. Darin werden alle Anforderungen an die Herstellung des Erzeugnisses aufgeführt, wie etwa das Gebiet der einzelnen Produktionsschritte, die Herkunft der Zutaten, die Verarbeitungsweise und die Kennzeichnung zur Vermarktung.
Aktiv werden müssen Erzeugergemeinschaften, die für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse auf nationaler Ebene für Schutz gesorgt haben. Dieser Schutz endet am 2. Dezember 2026, sofern bis dahin kein wirksamer Antrag auf EU-weiten Schutz nach Art. 70 der Verordnung (EU) 2023/2411 gestellt worden ist. Aktiv werden müssen auch Erzeuger von handwerklichen und industriellen Erzeugnissen, bei denen sich eine bestimmte Qualität, das Ansehen oder eine andere Eigenschaft aus deren geografischen Ursprung ergibt und die von der neu eröffneten internationalen Schutzmöglichkeit profitieren möchten: diese sollten Vorbereitungen für eine Antragstellung zum 1. Dezember 2025 treffen. Gerade Deutschland mit seiner handwerklichen Tradition hat eine Vielzahl von Lokalprodukten zu bieten, die unter den neuen Schutz fallen können, wenn hierfür ein entsprechender Antrag gestellt wird.
Ganz allgemein sollten sich Erzeuger von regionalen Produkten mit übereinstimmenden Herstellungsverfahren zusammentun und prüfen, ob die Voraussetzungen für einen EU-weiten Schutz vorliegen. Kommt es zu einer Eintragung, dürfte dies einen positiven Preiseffekt haben, da geschützte Produkte höhere Verkaufspreise als vergleichbare Standardprodukte erzielen könnten. Vorteilhafte Effekte dürften auch in einer besseren Marktdifferenzierung liegen. Denn eine eindeutige Abgrenzung durch Festlegung der Regionalität und der Produktion stärkt die Marktposition und Verbrauchervertrauen. Zu bedenken sind ferner die allgemeinen Auswirkungen aus der Stärkung der regionalen Identität und traditionellen Herstellungsverfahren in Sinne einer regionalen Identifikation und dadurch Tourismusförderung. Schließlich dürften sich durch formal anerkannte regionale Erzeugnisse Exportchancen erhöhen. Ein EU-weiter Schutz erleichtert den internationalen Vertrieb und erschließt neue Absatzmärkte.
Ich gehe davon aus, dass die Anzahl von geschützten regionalen Erzeugnissen international substanziell wachsen und somit eine steigende Bedeutung erhalten wird – das schließe ich jedenfalls aus dem Austausch mit ausländischen Herstellern und Kollegen, vor allem auch außerhalb Europas, die sich viel davon versprechen, in Europa auf diesem Weg die Vermarktung ihrer Produkte zu verbessern.
Zur Person Andrea Ringle ist seit vielen Jahren als Rechtsanwältin und Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz unter anderem im Bereich geografischer Herkunftsangaben tätig, international vernetzt und vertritt vor allem ausländische Erzeugergemeinschaften bei der Durchsetzung ihrer Rechte in Deutschland.