Bildungslandschaft

"Wir werden die Basisqualifikationen stärken"

Die Arbeitswelt ist im Wandel. Schlagwörter wie Fachkräftemangel und Digitalisierung bestimmen die Debatte. Der Trend zum Studium und mangelnde Grundkenntnisse der Schulabgänger belasten die Ausbildungsbetriebe. Bildungsministern Karin Prien spricht im Interview über die Herausforderungen im Bildungssystem und berichtet, was sie tun will, damit junge Menschen bestmöglich auf das Arbeitsleben vorbereitet werden.
Sie treten für eine Stärkung der Berufsausbildung ein. Immer mehr junge Menschen wollen das Abitur machen und studieren. Wie lassen sich mehr Schulabgänger für die Berufsausbildung gewinnen?
Karin Prien: Junge Menschen reagieren mit ihrem Ziel, höhere Schulabschlüsse anzustreben, auf die gestiegenen Herausforderungen der modernen Arbeitswelt. Oder sie überbrücken die Zeit, bis sie einen Ausbildungsplatz finden. Der berufliche Weg sollte den Begabungen und Talenten entsprechen und nicht irgendwelchen gesellschaftlichen Vorstellungen von einem vermeintlich besseren und einen schlechteren Weg. Berufliche und akademische Bildung sind gleichwertig - dieses Verständnis wächst. Die Rahmenbedingungen unterstützten diese Gleichwertigkeit; wir haben heute eine nie gekannte Durchlässigkeit zwischen dem akademischen und dem auf einer Berufsausbildung basierenden Weg.
Die Berufsorientierung, vor allem an Gymnasien, ist ein Sorgenkind. Wie kann eine gleichgewichtige Berufs- und Studienorientierung erreicht werden?
Prien: Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, bis zur Mitte der Legislaturperiode ein neues landesweites Gesamtkonzept zur beruflichen Orientierung für alle Schularten zu erarbeiten. Dabei werden alle wichtigen Partner eingebunden. Konzeptionell werden wir dabei an den bundesweit etablierten Qualitätsrahmen des sehr erfolgreich gestarteten Berufswahlsiegels anknüpfen, mit dem seit 2016 bereits 70 Schulen in Schleswig-Holstein für vorbildliche berufliche Orientierung ausgezeichnet werden konnten.
Wie gewinnen Schüler in allgemeinbildenden und beruflichen Schulen die notwendigen digitalen Kompetenzen, damit sie für die Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft gerüstet sind?
Prien: Durch die KMK-Strategie "Bildung in einer digitalen Welt" gibt es verbindliche Vorgaben für die zu erreichenden Kompetenzen für alle Länder. Diese sind ehrgeizig und stellen uns vor große Herausforderungen. Für die berufliche Bildung stellen sich darüber hinaus besondere Herausforderungen, denn sie ist wegen der Nähe zum Beschäftigungssystem und als Partner in der dualen Berufsausbildung vom technologischen und wirtschaftlichen Wandel durch die Digitalisierung besonders berührt. In Schleswig-Holstein werden die Lehrpläne derzeit sukzessive in den allgemeinbildenden Schulen durch Fachanforderungen ersetzt. Diese greifen vor allem auch das Lernen mit digitalen Medien und das Lernen über digitale Medien auf.
Wie kann es gelingen, die MINT-Fächer zu stärken, um mehr Schüler für naturwissenschaftliche Berufe zu begeistern?
Prien: Wir wollen das Interesse an naturwissenschaftlich-technischen Themen wecken und Talente fördern. So bereiten wir junge Menschen auf die Herausforderungen der Arbeitswelt vor und fördern den Fachkräftenachwuchs. So steht es auch im Koalitionsvertrag der Landesregierung.
Umfragen der IHKs zeigen, dass mangelnde Basiskenntnisse wie Rechnen und Schreiben ein großes Ausbildungshemmnis sind. Wie gelingt es, verbindliche Leistungsstandards für Schulabgänger zu definieren und zu gewährleisten?
Prien: Ich teile die Auffassung, dass das Erreichen von Basisqualifikationen vor allem in der Grundschule gestärkt werden muss - dafür sind die Weichen gestellt: So wird es zum Beispiel mehr Unterricht in den Grundschulen geben, ein Basiswortschatz von 800 Wörtern soll am Ende der Grundschulzeit stehen und richtiges Schreiben steht ebenso auf dem Stundenplan; zudem wird es neue Fachanforderungen geben. Für die Kernfächer Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache liegen diese neuen Fachanforderungen seit 2014 vor. Sie lösen die bisherigen Lehrpläne ab und bereiten auf Abschlüsse der Sekundarstufe I und den Übergang in die Oberstufe vor. In allen Fächern, in denen die Kultusministerkonferenz Bildungsstandards beschlossen hat, liegen diese den Fachanforderungen zugrunde, definieren die verbindlichen Leistungsstandards des jeweiligen Faches und werden in den zentralen Abschlussarbeiten zum Erwerb des ersten allgemeinbildenden Schulabschlusses und des mittleren Abschlusses geprüft.
Viele Geflüchtete interessieren sich für eine duale Ausbildung. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für eine gelungene Integration durch Ausbildung?
Prien: Wir wollen dazu beitragen, dass Geflüchtete in Schleswig-Holstein gute Zukunftschancen haben. Viele junge Menschen mit einem Migrationshintergrund in der dualen Berufsausbildung müssen neben den praktischen Anforderungen auch den Berufsschulunterricht bewältigen - das ist nicht leicht, wenn es mit der neuen Sprache noch nicht so gut klappt. Im Februar 2018 haben die berufsbildenden Schulen bereits 1.105 Auszubildende mit DaZ-Förderbedarf gemeldet. Um ihnen beim Deutschlernen zu helfen, hat das Ministerium eine Kooperation mit der Regionaldirektion Nord, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den berufsbildenden Schulen geschmiedet. So erreichen wir, dass Geflüchtete zusätzlichen Unterricht im Umfang von vier Wochenstunden während ihrer gesamten Ausbildungszeit erhalten.
Zur Person
Karin Prien, Jahrgang 1965, ist seit Juni 2017 Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein. Nach dem Studium der Rechts- und Politikwissenschaften in Bonn sowie einem Postgraduiertenstudium in Amsterdam folgte ein Referendariat in Hannover sowie das zweite juristische Staatsexamen. Die Rechtsanwältin war von 2011 bis 2015 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und dort von 2015 bis 2017 stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion.
Die internationale Verflechtung von Unternehmen erfordert zunehmend englische Sprachkompetenzen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, bilinguale Schulangebote zu etablieren?
Prien: Die Internationalisierung ist ein Thema, das weit oben liegt - wir müssen etwas tun, wir müssen Aufbauarbeit in Schleswig-Holstein zu diesem Thema leisten. Es gibt zwar schon gute bilinguale Angebote von der Grundschule bis zum Gymnasium, und Landesfachberater sowie die Fachaufsicht des Ministeriums beraten und begleiten die Schulen, die ein bilinguales Angebot einrichten wollen. Aber wir können und müssen weiter zulegen. Die Schulen, die so ein Angebot machen wollen, legen ein Konzept vor und richten einen zweijährigen Vorkurs ein, das Ministerium unterstützt das bilinguale Angebot mit der Zuweisung von Lehrkräftestunden.
Interview: Hans Joachim Beckers, Kathrin Ivens
Veröffentlicht am 4. Mai 2018