Bildungspolitik im Wandel

Königsweg Hochschule?

Die duale Ausbildung, im Ausland hoch gelobt, steht hierzulande durch den Trend zu höheren Schulabschlüssen und geändertem Bildungswahlverhalten zunehmend unter Druck. Dennoch ist sie das Rückgrat der schleswig-holsteinischen Wirtschaft und bei der Fachkräftesicherung unverzichtbar.
Fachkräftemangel, Akademisierungstrend und rückläufige Ausbildungszahlen, wie passt das zusammen?
Inzwischen ist es flächendeckend spürbar: Die Gewinnung von geeigneten Fachkräften wird schwieriger. Daraus folgt die Notwendigkeit, diese Herausforderung strategisch anzugehen. Die Landesregierung hat gemeinsam mit Wirtschaftsverbänden und anderen Akteuren die Fachkräfteinitiative "Zukunft im Norden" initiiert. Hierfür hatten die IHKs eine Fachkräfteprognose erstellen lassen, um den Fachkräftebedarf im Jahr 2030 zu ermitteln. Das Szenario zeigt eine unterschiedliche Betroffenheit von Städten und Kreisen. Teilweise beträgt die Fachkräftelücke mehr als 20 Prozent (Kreis Plön), teilweise zehn bis 20 Prozent (Pinneberg, Schleswig-Flensburg, Segeberg, Ostholstein, Herzogtum Lauenburg, Stormarn, Rendsburg-Eckernförde), teilweise fünf bis zehn Prozent (Nordfriesland, Dithmarschen, Steinburg), teilweise bis fünf Prozent (Neumünster, Kiel, Lübeck). Nur für Flensburg ist von einem leichten Fachkräfteüberhang auszugehen. Die absehbare Gesamtlücke umfasst etwa 12.000 Akademiker, aber 85.000 beruflich ausgebildete Personen. Genau diese betrieblich qualifizierten Facharbeiter sind das wirtschaftliche Rückgrat Schleswig-Holsteins mit seinen kleinen und mittleren Unternehmen. Nicht die höchstmögliche Qualifikation kann deshalb das Ziel sein, sondern die richtige Qualifikation, die Verbindung von praktischem und theoretischem Lernen mit der Nähe zur betrieblichen Praxis. Das gewährleistet den reibungslosen Übergang ins Arbeitsleben.
Integrationsfaktor
Insofern ist es nicht ohne Brisanz, dass die Zahl der Ausbildungsverhältnisse bei leicht gestiegenen Schulabgängerzahlen im vergangenen Jahr deutlich rückläufig war und gleichzeitig die Zahl der unvermittelten Bewerber bei den Arbeitsagenturen gestiegen ist. Eine Ursache liegt bei Defiziten der Berufsorientierung, weswegen nicht wenige Jugendliche trotz entsprechender Ausbildungsangebote unentschlossen sind und lieber auf schulische Angebote ausweichen, die wenig arbeitsmarktrelevant sind. Andererseits forciert die Landesregierung mit ihrer Schulpolitik den Trend zum Abitur für alle und beeinflusst damit auch das Berufswahlverhalten. Das fördert den Akademisierungstrend und verschärft die Konkurrenz für die duale Ausbildung.
Die duale Ausbildung ist in unserem Land ein entscheidender Produktions-, Innovations- und Standortfaktor. Auch international wird unser Modell gelobt und wir werden darum beneidet. Trotzdem wurde und wird zuweilen eine Akademisierung unserer Berufswelt als Königsweg für mehr Qualifikation und Beschäftigung angesehen. Insofern ist der um sich greifende Akademisierungswahn bedenklich. Menschsein beginnt nicht mit dem Hochschulabschluss und nicht jede Qualifikation muss an Hochschulen erworben werden. Böse Zungen sprechen schon von Micky-Maus-Studiengängen, und die Kritik der Wirtschaft an mangelnder Kompetenz mancher Bachelorabsolventen wird lauter.
Daher sollten wir uns bewusst machen, dass die duale Berufsausbildung das wichtigste Instrument zur Fachkräftesicherung ist. Sie ist wirtschaftlicher Erfolgsfaktor und gesellschaftlicher Integrationsfaktor. Ihr verdanken wir die geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat das endlich verstanden. Jahrelang wurde uns gebetsmühlenartig vorgehalten, unsere Abiturienten- und Studierendenquoten seien im europäischen Vergleich zu niedrig. 2013 wurde erstmalig gewürdigt, dass der Übergang von der Schule ins Arbeitsleben in Deutschland bemerkenswert reibungslos verläuft und über 90 Prozent der 15- bis 24-Jährigen nach Abschluss der Schule eine Beschäftigung finden oder ihre Bildungslaufbahn fortsetzen können. Dies sei ein im internationalen Vergleich hoher Wert, so die OECD. Diese Erkenntnis kommt zwar spät, aber sie beendet hoffentlich die bisher völlig einseitige und realitätsferne Wahrnehmung.
Wettbewerb annehmen
Die Berufsausbildung ist gefordert und muss sich der neuen Situation stellen. Unternehmen haben längst erkannt, dass sie der günstigste Weg der Fachkräftesicherung ist. Es gilt, den Wettbewerb mit schulischen oder hochschulischen Angeboten anzunehmen. Dabei spielt auch die Qualität der Ausbildung eine wichtige Rolle. Die Chancen für die Berufsausbildung stehen nicht schlecht. Schließlich handelt es sich um einen ausgezeichneten Qualifizierungsweg mit gutem Übergang in Arbeit und hervorragenden Karrieremöglichkeiten. Alternativen sind schulische Bildungswege mit oft geringer Arbeitsmarktverwertbarkeit und geringer Akzeptanz in der Wirtschaft oder Massenuniversitäten mit überfüllten Hörsälen mit praxisfernen Bachelorabschlüssen. Es gilt, die Vorteile der Berufsausbildung herauszustellen und die Marketinginstrumente zu schärfen.
Hans Joachim Beckers
Veröffentlicht am 6. Mai 2014