Solide Geschäftslage, aber große Zukunftssorgen

Zum Frühsommer 2022 zeigt die IHK-Konjunkturumfrage, dass die Unternehmen der Region weiter verunsichert sind. Während der Geschäftsklimaindex weiter sinkt, drücken Preissprünge zunehmend die Stimmung bei Betrieben und Kunden.

Unsicherheiten aus Preissprüngen, Lieferproblemen und Krieg belasten die Unternehmen

Der IHK-Geschäftsklimaindex bleibt auch im Frühsommer 2022 auf Abwärtskurs und sinkt auf 104 Indexpunkte. Gleichwohl ist die aktuelle Lage der gewerblichen Wirtschaft insgesamt besser als noch vor einem Jahr, auch wenn sich die Situation zwischen den einzelnen Branchen teils deutlich unterschiedlich darstellt. Industrie, Baugewerbe und Dienstleister können aktuell auf gute Geschäfte verweisen.
Viele Betriebe und Wirtschaftsbereiche waren bzw. sind von den zurückliegenden „Corona-Restriktionen“ betroffen und haben mindestens mittelfristig noch die wirtschaftlichen Folgen zu tragen. Zudem sind bei Energie, Rohstoffen und Vorprodukten (soweit infolge gestörter Lieferketten überhaupt noch verfügbar) seit Mitte 2021 drastische Preis- und Kostensprünge zu verzeichnen. Diese haben sich zuletzt durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine weiter verschärft und treffen die Wirtschaft nunmehr in der Breite. Damit verändert sich die wirtschaftliche Lage, was sowohl die kurzfristige Konjunkturentwicklung als auch die mittelfristigen Aussichten für Wachstum und Wohlstand betrifft. Mittelfristig ist mindestens von höheren Energiekosten auszugehen.

Geschäftsklima im IHK-Bezirk Rostock

Stand die konjunkturelle Abschwächung im IHK-Bezirk zu Jahresbeginn 2022 noch klar unter dem Eindruck des Höhepunktes der Delta-Varianten-Welle des SARS-CoV-2-Virus sowie der sich bereits abzeichnenden – etwas milderen – Omikron-Variante und den damit in Verbindung stehenden intensiveren Coronamaßnahmen, so zeichnete sich ein Hoffnungsstreifen einer Frühjahrsentspannung ab. Die im Januar befragten Unternehmen waren überwiegend optimistisch eingestellt. Diese Zuversicht erfährt nunmehr in der Einschätzung der Betriebe eine weitgehende Enttäuschung. Die immer noch spürbaren Auswirkungen der Coronakrise in der einheimischen Wirtschaft, die Folgen der drastischen Null-Covid-Doktrin Chinas und die auch für viele Unternehmen dramatischen Konsequenzen des russischen Überfalls auf die Ukraine führen zu einer spürbaren Verschlechterung der Geschäftserwartungen für die kommenden zwölf Monate.
Der IHK-Geschäftsklimaindex sinkt im Frühsommer 2022 auf 104 Indexpunkte, liegt jedoch weiter-hin deutlich über dem Tiefstwert des „Coronatals“ zu Beginn des letzten Jahres (Jahresbeginn 2021: 89). Zu diesen Ergebnissen kommt die Auswertung der Antworten von 346 Unternehmen im Rahmen der Konjunkturumfrage der IHK zu Rostock, die Ende April bis Mitte Mai 2022 stattfand.
Weiterhin berichtet eine Mehrheit der Unternehmen von einer guten Geschäftslage, und immerhin sieben von zehn Befragten gehen nicht von einer Verschlechterung Jahr 2022 aus. In einzelnen Branchen bzw. für einzelne Betriebe ist die wirtschaftliche Situation gleichwohl angespannt. Der insgesamt aus den Umfrageergebnissen abzulesende konjunkturelle Rückschlag fordert seinen Tribut in Form gesunkener Investitionsabsichten und einer verringerten, wenngleich weiterhin positiven, Beschäftigungsplanung der Betriebe. Wie bereits in der Vorumfrage stellen für viele Befragte die aktuellen Lieferengpässe bei der Beschaffung von Energie, Rohstoffen oder Vorprodukten und die damit oftmals einhergehenden Preissteigerungen eine schwere Belastung dar.

Geschäftslage: Unternehmen trotzen Widrigkeiten

Allen Krisen zum Trotz beweist sich die gewerbliche Wirtschaft dennoch als bemerkenswert robust. So beurteilen lediglich zwölf Prozent der Betriebe ihren wirtschaftlichen Status quo als schlecht, 88 Prozent kommen hier zu einer guten oder befriedigenden Einschätzung. Der branchenübergreifen Geschäftslagesaldo verbessert sich im Vergleich zur Vorumfrage um vier auf 24 Prozentpunkte. Während das Auslaufen vieler Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie die Unternehmen im Gast- und Dienstleistungsgewerbe entlastet, haben andere Wirtschaftszweige mit Lieferengpässen und Preissteigerungen zu kämpfen. Hierunter leiden besonders die Industrie und die Bauwirtschaft. Differenziert stellt sich die Situation im Handel dar: die hohe Inflation und die wahrgenommen wirtschaftliche Unsicherheit belasten die Kaufbereitschaft der Verbraucherinnen und Verbraucher und laufen den Lockerungen der Coronamaßnahmen entgegen.

Aktuelle Finanzlage: zumeist unproblematisch

Die allgemein verbesserte wirtschaftliche Situation der befragten Betriebe führt dazu, dass sich die Finanzlage wieder entspannter zeigt: knapp zwei Drittel beurteilen sie als unproblematisch. Zu Jahresbeginn lag dieser Wert noch fast zehn Prozentpunkte niedriger. Die Ertrags- und Umsatzsituation entspannt sich für viele Firmen, so dass weniger auf das Eigenkapital zurückgegriffen werden muss (minus drei auf 20 Prozent, Frühsommer 2021: 30). Die Unternehmen sehen sich aktuell auch seltener mit Forderungsausfällen konfrontiert (minus zwei auf acht Prozent). Der Anteil von der Insolvenz bedrohter Betriebe ist mit knapp unter einem Prozent erfreulich niedrig.

Geschäftserwartungen: Im Krisenmodus

Die Auswirkungen des russischen Krieges gegen die Ukraine schlagen nach und nach zu Buche und steigern im Zusammenwirkungen mit den Nachwirkungen der Coronapandemie und den Konsequenzen der Null-Covid-Politik Pekings die Unsicherheit bei Unternehmen sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern. Die bereits vor dem Krieg gestörten Lieferketten und drastisch gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten verstärken die Tendenz zusätzlich. Vor diesem Hintergrund sind die Geschäftserwartungen massiv eingebrochen und zarte Zuversicht ist jetzt eher in Pessimismus umgeschlagen. Gerade einmal noch jedes sechste Unternehmen (16 Prozent) blickt optimistisch in die Zukunft (Januar 2022: 22 Prozent). Fast doppelt so viele Befragte (29 Prozent) befürchten eine Verschlechterung ihrer Geschäfte. Der Erwartungssaldo liegt mit -13 Prozentpunkten sehr deutlich unter dem langjährigen Mittelwert (3 Prozentpunkte). Besonders drastisch stellt sich der Erwartungseinbruch bei der Industrie dar: Der Saldo sinkt um 46 auf -28 Prozentpunkte. Einen derartigen Absturz der Erwartungen im Verarbeitenden Gewerbe wurde im Rahmen der Konjunkturbefragung der IHK zu Rostock noch nicht registriert. Trotz momentan solider bis guter Geschäfte gehen viele Industriebetriebe davon aus, dass - auch im Falle eines hoffentlich schnellen Kriegsendes in der Ukraine - die Beeinträchtigungen in den globalen Lieferketten und die hohen Energie- und Rohstoffpreise auf unabsehbare Zeit anhalten werden.

Investitionen: Vorerst nur das Nötigste

Einhergehend mit diesen Zukunftsaussichten streichen die Unternehmen ihre Investitionspläne zusammen. Der Investitionssaldo sinkt um sieben auf minus zwei Prozentpunkte. 36 Prozent der Firmen geben an, in den nächsten zwölf Monaten keine Investitionen zu planen. Ein Negativwert, der zuletzt vor acht Jahren eingestellt wurde. Bei den investierenden Betrieben wird besonders im Be-reich der mittleren Investitionsbudgets gestrichen: Der Anteil von geplanten Investitionen zwischen 100.000 und 500.000 Euro sinkt um neun Prozentpunkte während der Anteil höherer Investitionsvolumina weitgehend unverändert bleibt (plus ein auf acht Prozentpunkte).
Wie groß die auf Verunsicherungen zurückzuführende Investitionszurückhaltung ist, zeigt sich darin, dass auch der Anteil der – weitgehend konjunkturunabhängigen – Ersatzinvestitionen mit 44 Prozent auf einen langjährigen Tiefstwert gefallen ist. Auch alle anderen Hauptmotive für geplante Investitionen sind im Vergleich zur Vorumfrage rückläufig. Für viele Betriebe kommt ein Kapazitätsaufbau durch Erweiterungsinvestitionen gegenwärtig nicht in Frage (minus 15 auf 23 Prozent). Die weiter stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise wie auch der Druck auf die Arbeitskosten führen dazu, dass kostensenkende Rationalisierungsinvestitionen den geringsten Rückgang verzeichnen (minus fünf auf 24 Prozent).

Fremdfinanzierung: Gegenwärtig kein Problem

Der Zugang zur Fremdkapitalfinanzierung wird von den befragten Betrieben auch im Frühsommer überwiegend als unproblematisch charakterisiert. Die meisten Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer haben einen guten Zugang zu Fremdfinanzierungen (26,3 Prozent) beziehungsweise sind nicht auf eine Fremdfinanzierung angewiesen (44 Prozent). Nur neun Prozent der Betriebe klagen über einen schlechten Zugang oder abgelehnte Finanzierungsprojekte. Bei den betroffenen Unternehmen werden die geforderten Kreditsicherheiten als problematisch angesehen (83 Prozent). Auch wenn in der Sitzung des EZB-Rates im April noch kein Zinsschritt beschlossen wurde, zeichnet sich am Horizont eine Erhöhung der Leitzinsen ab. Die befragten Unternehmen merken davon aktuell noch nichts: Gestiegene Zinsen spielen als Verschlechterungsgrund für nur wenige der betroffenen Unternehmen eine Rolle (21 Prozent).

Exporte: Schlechte Zeiten für Geschäfte im Ausland

Die Konsequenzen des russischen Krieges in der Ukraine und die drastischen Corona-Maßnahmen in China, wie die Schließung des weltweit größten Hafens in Schanghai, verursachen tiefgreifende Störungen der globalen Lieferketten. Diese werden wahrscheinlich auch mittelfristig weiterbestehen. In der Folge stellen sich die Exporterwartungen im IHK-Bezirk auch im Frühsommer 2022 deutlich unterdurchschnittlich dar. Jedes dritte grenzüberschreitend aktive Unternehmen geht von sinkenden Ausfuhren in den nächsten zwölf Monaten aus. Nur jedes fünfte exportierende Unternehmen rechnet mit einer Steigerung seiner Auslandsumsätze aus. Der Exportsaldo liegt mit minus zwölf Prozentpunkten deutlich unter dem langjährigen Mittelwert von minus drei.

Beschäftigung: Strategische Herausforderungen

Der Fokus bei den Beschäftigungsplänen der Unternehmen im IHK-Bezirk verlagert sich kurzfristig in Richtung Beschäftigungssicherung: Der Beschäftigungssaldo sinkt auf einen Prozentpunkt. 85 Prozent der Betriebe wollen (17 Prozent) ihr Beschäftigungsniveau halten oder erweitern, denn die strategische Herausforderung, in Zeiten des demografischen Wandels, das nötige Personal für den eigenen Betrieb vorhalten zu können, bleibt auch in der aktuellen Krise unvermindert relevant.
Besonders das Verarbeitende Gewerbe (Saldo: plus 19 Prozentpunkte) und die Dienstleister (Saldo: plus 5) planen auch in der jetzigen Situation mit Beschäftigungszuwächsen. Die Bau- und die Logistikwirtschaft erwarten sinkende Beschäftigungsniveaus (Saldo - Bau: -31, Verkehrsgewerbe: -12).
Hierfür ist jedoch in erster Linie der akute Mangel an qualifiziertem Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich. Gerade die Verkehrsbetriebe spüren die Auswirkungen des Ukrainekrieges durch einen Mangel an Fahrerinnen und Fahrern. In beiden Branchen gibt die Hälfte der Betriebe an, dass sie derzeit offene Stellen längerfristig nicht besetzten können, da sie keine passenden Arbeitskräfte finden. Die Beherbergungs- und Gaststättenbetriebe trifft es allerdings noch härter (60 Prozent).

Probleme: Verwerfungen auf den Beschaffungsmärkten

Der Mangel an Fachkräften und die Arbeitskosten stellen mit Platz drei und vier in der Rangfolge der aus Sicht der Betriebe drängendsten Hemmnisse und Probleme weiterhin gewichtige Sorgenkategorien für viele Unternehmen dar. Während der Mangel an Fachkräften mit 47 Prozent auf gleichem Niveau wie in der Vorumfrage rangiert, haben die Arbeitskosten mit 45 Prozent an Gewicht zugelegt. Einige der befragten Unternehmen geben an, dass die schrittweise Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes auf zwölf Euro zum 1. Oktober diesen Jahres ihnen Kopfzerbrechen bereitet. Unangefochten auf der (negativen) „Spitzenreiterposition“ und an Relevanz nochmals angestiegen, liegt auch in dieser Umfrage die Risikokategorie „Energiepreise“ (69 Prozent). Auch die Entwicklung der Rohstoffkosten sorgt für zusätzlichen Problemdruck und führt dazu, dass diese mit 55 Prozent der Nennungen auf Rang 2 landet. Die Verfügbarkeit von Rohstoffen und Vorprodukten schließt mit 45 Prozent die Rangfolge der Top 5-Probleme der Unternehmen an (Jahresbeginn: 40 Prozent).

Kosten- und Preissteigerungen: Weitergabe an Kundschaft unumgänglich

Fast alle Unternehmen sind von relevanten Kosten- und Preissteigerungen betroffen (92 Prozent). Das Ausmaß der Steigerungen bei Kosten und Beschaffungspreisen lässt sich von den meisten Betrieben nicht mehr kompensieren und muss an die Kundschaft weitergegeben werden: 36 Prozent haben dies bereits getan und weitere 34 Prozent beabsichtigen dies. Jeder zehnte Befragte ist sich noch unsicher. Kritisch wird es unter Umständen für die Betriebe, die die Kosten nicht weitergeben. Elf Prozent geben an, dies nicht zu planen oder nicht zu können, weil sie beispielsweise über langfristige Verträge gebunden sind oder die Wettbewerbssituation eine Preiserhöhung nicht zulässt. In dieser Gruppe geben 27 Prozent an, von Liquiditätsengpässen betroffen zu sein (alle Unternehmen: 16 Prozent). Mittel bis langfristig kann dies aufgrund sinkender Erträge oder gar Verlusten die Wettbewerbsposition der betroffenen Unternehmen stark beeinträchtigen.

Geschäftsklima in den Regionen des IHK-Bezirks

Zwischen den einzelnen Regionen im IHK-Bezirk Rostock bildet sich die konjunkturelle Situation heterogen ab, wenngleich nicht mehr ganz so divergierend wie in der Vorumfrage. Im regionalen Vergleich über den IHK-Bezirk scheint es gegenwärtig für die Unternehmen im Landkreis Vorpommern-Rügen die größten wirtschaftlichen Herausforderungen zu geben (IHK-Konjunkturklimaindex: 99 Punkte, Vorumfrage: 107). Die Lage der gewerblichen Wirtschaft im Landkreis Rostock (wie in der Vorumfrage 103 Punkte) und in der Hanse- und Universitätsstadt Rostock (109 Punkte, Vorumfrage: 123) sieht hier deutlich besser aus, auch wenn die Unternehmen im regionalen Wirtschaftszentrum Rostock deutlich skeptischer auf die kommenden Monate blicken: statt 35 Prozent wie in der Vorumfrage gehen aktuellen nur noch 14 Prozent von einer besseren Entwicklung aus (Lagesaldo: 34 Prozentpunkte, Erwartungssaldo: -12 Prozentpunkte). Im Landkreis Rostock sind es 16 Prozent (Lagesaldo: 28, Erwartungssaldo: -17). Im Landkreis Vorpommern-Rügen sind zwar 20 Prozent der befragten Betriebe optimistisch, allerdings wird die Lage ungleich schlechter bewertet (Lagesaldo: 8, Erwartungssaldo: -9).