„Die Situation ist dramatisch“
Für geschätzte 12.000 Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern muss in den kommenden Jahren die Nachfolge geregelt werden. Vorbereitung ist dabei alles, sagt Antje Glasow-Wege. Mit ihrem Institut für Unternehmensnachfolge und Entrepreneurship (IfUNE MV) berät sie Betriebe, in denen der Generationenwechsel ansteht.
Ihre Expertise baute sich die in Rostock geborene Unternehmensberaterin schon seit Beginn ihrer beruflichen Laufbahn auf, studierte Wirtschaftsrecht, machte später noch den Abschluss als Master of Business Consulting. Bei der Handwerkskammer Ostmecklenburg-Vorpommern hat sich die 48-Jährige schließlich auf das Thema Nachfolge spezialisiert. Als selbstständige Unternehmerin liegt ihr Fokus hauptsächlich auf Handwerksunternehmen, sie berät aber auch Betriebe aus anderen Branchen.
„Man muss eine gewisse Abgabereife haben“
Im Umgang mit Unternehmen, aber vor allem mit Menschen im Umbruch, ist Antje Glasow-Wege also bestens geschult. „In meiner Arbeit bin ich die Schnittstelle zwischen Alt-Unternehmer und Kaufinteressent.“ Sie sei bodenständig und wisse genau, welche Sorgen und Nöte mit einem Übergabeprozess zusammenhängen können. Denn vielen falle es schwer, sich von ihrem Lebenswerk zu trennen. „Man muss wirklich eine gewisse Abgabereife haben, um sich dem Nachfolgeprozess zu stellen“, sagt die Expertin. „Der Ausgangspunkt ist, wenn der Alt-Unternehmer sagt: Ich bin soweit.“
Antje Glasow-Wege prüft in mehreren Treffen und Gesprächen alle relevanten Werte und Fakten des jeweiligen Betriebes. Dann erstellt sie einen anonymen Teaser, der an verschiedene Kaufinteressenten geht. So generiert sie eine Shortlist an potenziellen Käufern. Kontakte hat sie genügend: Die Nachfolgeberaterin ist in diversen Netzwerken aktiv und arbeitet unter anderem mit der Nachfolgezentrale MV zusammen. Wenn die ersten indikativen Kaufangebote eingehen, ist die nächste Phase eingeläutet. Der Unternehmensverkäufer muss nun entscheiden, mit wem er den Weg der Nachfolge weitergehen möchte.
„Dieser konkrete Schritt ist nicht immer leicht. Es ist für viele eine große Hürde, alles offenzulegen, was mit dem eigenen Lebenswerk zu tun hat. Außerdem sprechen beide Seiten in vielen Fällen eine andere Sprache. Da ist Unterstützung nötig“, sagt Antje Glasow-Wege. Oft sei es so, dass Unternehmer den Prozess im Alleingang anstoßen und solche Faktoren als zu herausfordernd empfinden und abbrechen.
Geburtenknick nach der Wende: Weniger potenzielle Nachfolger in MV
Doch obwohl so viele Unternehmen kurz vor diesem großen Umbruch stehen, scheinen sich viele der Dringlichkeit nicht bewusst zu sein, sagt die Beraterin. „Die Situation ist dramatisch. Aktuell habe ich das Gefühl, dass viele Unternehmen sich nicht darauf konzentrieren.“
Das sei besonders in Mecklenburg-Vorpommern ein Problem. Denn hier gebe es durch den Geburtenknick nach der Wende aktuell sowieso weniger potenzielle Nachfolger, die jetzt das Ruder übernehmen könnten. „In den nächsten Jahren wollen aber alle geballt abgeben. Das funktioniert nicht. Man muss sich frühzeitig kümmern. Jetzt gibt es noch gute Chancen, einen geeigneten Nachfolger zu finden. Bis 2030 haben wir wahrscheinlich eine Entwicklung zu einem Käufermarkt durchlaufen.“
Weiterentwicklung durch Austausch in Netzwerken
Sich austauschen, vernetzen und vor allem Unterstützung suchen – das rät Antje Glasow-Wege. Und das nimmt sie sich auch selbst zu Herzen. Netzwerke seien für sie wichtig für fachlichen und persönlichen Austausch und für ihre Arbeit besonders essenziell. „Auch beim Nachfolgeprozess kann und will ich nicht jedes Thema an mich reißen. Als Beraterin muss ich einschätzen können, wo meine Kompetenzen enden. Ich bin so gut vernetzt, dass ich andere mit ins Boot holen kann, die bestimmte Bereiche optimal bearbeiten können.“
Wenn Unternehmen die Nachfolge schleifen lassen, müssen sie sich fragen, ob das im Sinne ihrer unternehmerischen Verantwortung ist – nicht nur gegenüber dem Personal, sondern auch gegenüber unserer Region.Antje Glasow-Wege, Unternehmensberaterin
Auch im IHK-Frauennetzwerk Yoldia ist die Unternehmensberaterin aktiv. „Ich bewege mich beruflich in einem absoluten Männer-Metier und freue mich über den Austausch mit anderen Unternehmerinnen. Ich gebe mein Wissen selbst auch gerne weiter.“ Ihrer Meinung nach sollten sich Frauen und Männer aber nicht nur in gesonderten Netzwerken bewegen, sondern auch noch öfter die Chance nutzen, voneinander zu lernen.
Voneinander lernen und aufeinander hören, hier findet sich wieder der Bogen zur Nachfolge. Denn beides sei wichtig für eine erfolgreiche Übergabe. Sie appelliere daher an alle Unternehmen, sich rechtzeitig Gedanken zu machen und lieber früher als später alles anzustoßen. Ihre Worte sind deutlich: „Wenn Unternehmen das alles aktuell schleifen lassen, müssen sie sich fragen, ob das im Sinne ihrer unternehmerischen Verantwortung ist – nicht nur gegenüber dem Personal, sondern auch gegenüber unserer Region.“
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Jana Zirzow
Dr. Maria Schneider-Reißig
