Steuerschuldumkehr bei Bauleistungen und Grunderwerb

1. Einleitung

Durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 wurde die Umkehr der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger (§ 13b UStG), die bislang nur beim Bezug von Werklieferungen und Leistungen von im Ausland ansässigen Unternehmen galt, erweitert. Ziel des Gesetzgebers war es, hierdurch Umsatzsteuerbetrugsfälle einzudämmen. Um zu verhindern, dass die Umsatzsteuer zwar an den Leistenden bezahlt, aber vom Leistenden nicht ans Finanzamt entrichtet wird, wird seither in bestimmten Konstellationen die Steuerschuld grundsätzlich auf den in der Regel inländischen und vorsteuerabzugsberechtigten Leistungsempfänger verlagert. Folge hiervon ist, dass der leistende Unternehmer eine Nettorechnung ausstellt und der Leistungsempfänger den Leistungsbezug in eigener Steuerschuld versteuert. Hierzu hat er den entsprechenden Steuerbetrag in seiner Umsatzsteuervoranmeldung anzumelden und kann bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen diesen gleichzeitig als Vorsteuer geltend machen.

2. Anwendungsbereich

Grundstückslieferungen

Die Steuerschuldumkehr ist bei Grundstückslieferungen an einen Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts anzuwenden, wenn im Kaufvertrag zur Umsatzsteuer optiert wurde. Grundstückslieferungen sind zum Beispiel:
  • Lieferungen von bebauten und unbebauten Grundstücken,
  • Übertragungen von Miteigentumsanteilen an einem Grundstück,
  • Lieferungen von auf fremdem Boden errichteten Gebäuden nach Ablauf der Miet- oder Pachtzeit.
Die Option zur Umsatzsteuer muss im notariell zu beurkundenden Vertrag (§ 311b Abs. 1 BGB) oder einer notariell zu beurkundenden Vertragsergänzung oder -änderung erklärt werden.

Bauleistungen

Die Steuerschuldumkehr ist anzuwenden bei
  • Bauleistungen,
  • an einen Unternehmer, wenn der Auftraggeber die an ihn erbrachten Werklieferungen bzw. bauwerkbezogenen sonstigen Leistungen seinerseits zur Erbringung einer eigenen Bauleistung verwendet und
  • der einzelne Umsatz bei Reparaturen und Wartungsarbeiten den (Netto-) Wert von 500 € übersteigt.
Definition Bauleistung: Der Begriff der Bauleistung orientiert sich an §§ 1 und 2 Baubetriebe-Verordnung. Als Bauleistung gelten alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, wobei der Begriff des Bauwerks nicht nur Gebäude, sondern sämtliche irgendwie mit dem Erdboden verbundene oder auf ihm ruhende, aus Baustoffen oder Bauteilen hergestellte Anlagen (Brücken, Straßen) umfasst.
Die Einordnung als Bauleistung setzt voraus, dass die Leistung sich unmittelbar auf die Substanz eines Bauwerks auswirkt, d.h. Substanz erweitert, verbessert, erhält oder beseitigt.
Hierzu zählen
  • Erhaltungsaufwendungen (z.B. Reparaturleistungen), künstlerische Leistungen und Reinigungsleistungen mit Substanzveränderung (z.B. Sandstrahlen), der Einbau von Fenstern und Türen sowie Bodenbelägen, Aufzügen, Rolltreppen und Heizungsanlagen sowie Einrichtungsgegenständen, wenn sie mit einem Gebäude fest verbunden sind, wie z.B. Ladeneinbauten, Schaufensteranlagen, Gaststätteneinrichtungen;
  • Erdarbeiten im Zusammenhang mit der Erstellung eines Bauwerks, die Installation einer Lichtwerbeanlage oder die Dachbegrünung eines Bauwerks;
  • jedoch keine Reinigungsleistungen oder Wartungsarbeiten ohne Substanzveränderung, ebenso nicht das Aufstellen von Messeständen und der Gerüstbau sowie reine Lieferungen.
Planungs- und Überwachungsleistungen gehören hingegen ebenso wenig wie Labordienstleistungen, Leistungen zur Bauüberwachung, Prüfungen von Abrechnungen, Durchführung von Ausschreibungen u. ä. dazu.

Bagatellgrenze

Nicht unter den Begriff der Bauleistung fallen als Bauleistung einzuordnende Reparatur- und Wartungsarbeiten an Bauwerken, wenn das (Netto-)Entgelt für den einzelnen Umsatz nicht mehr als 500 € beträgt. Die Bagatellregelung soll der Erleichterung der Abgrenzungsfragen bei Wartung und Reparaturen dienen. Sie ist grundsätzlich nicht anwendbar bei Anbauten, Neubauten, Erweiterungen, Abriss, d. h. Leistungen, die der Herstellung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.

3. Definition des Leistungsempfängers/Bauleistende

Aufgrund einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. August 2013, Az. V R 37/10, hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit Schreiben vom 5. Februar 2014 und vom 8. Mai 2014 den Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE) vom 1. Oktober 2010 in Bezug auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen nach § 13b Abs. 5 S. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 UStG geändert.
Der Kreis der Steuerschuldner wird beschränkt auf Unternehmen, die selbst Bauleistungen im Sinn des § 13b UStG erbringen. Es kommt danach darauf an, dass der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Bauleistung seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet. Die bisherige 10-Prozent-Grenze wird ausdrücklich verworfen. Der Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG kommt nur noch indizielle Wirkung zu.
Wird eine Bauleistung an einen Teil des Organkreises (z.B. an den Organträger oder eine Organgesellschaft) erbracht, ist der Organträger für diese Bauleistung nur dann Steuerschuldner, wenn sie von diesem oder einem anderen Teil des Organkreises zur Erbringung einer Bauleistung verwendet wird.

4. Nichtbeanstandungsregelung

Haben leistender Unternehmer und Leistungsempfänger die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers für eine Bauleistung, die vor dem 15. Februar 2014 ausgeführt worden ist, einvernehmlich unter Berücksichtigung der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Verwaltungsanweisungen in Abschnitt 13b.3 und 13b.8 UStAE angewendet, wird es nicht beanstandet, wenn sie nach dem 14. Februar 2014 ebenso einvernehmlich entscheiden, an der seinerzeitigen Entscheidung festzuhalten, auch wenn in Anwendung der neuen Grundsätze des BFH-Urteils vom 22. August 2013 an sich der leistende Unternehmer Steuerschuldner wäre. Die Notwendigkeit von Rechnungsberichtigungen besteht nicht.
Gleiches gilt für Bauleistungen, mit deren Ausführung vor dem 15. Februar 2014 begonnen worden ist, soweit dies einvernehmlich unter Berücksichtigung der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Verwaltungsanweisungen in Abschnitt 13b.3 und 13b.8 UStAE erfolgt ist.
Im Übrigen soll es – auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs – nicht beanstandet werden, wenn leistender Unternehmer und Leistungsempfänger für eine vor dem 15. Februar 2014 erbrachte Bauleistung einvernehmlich unter Berücksichtigung der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Verwaltungsanweisungen im Abschnitt 13b.3 UStAE davon ausgegangen sind, dass der leistende Unternehmer Steuerschuldner ist, auch wenn in Anwendung des o. a. BFH-Urteils vom 22. August 2013 der Leistungsempfänger Steuerschuldner wäre.

5. Behandlung von Anzahlungen für nach dem 14. Februar 2014 ausgeführte Bauleistungen und Gebäudereinigungsleistungen

5.1 Schlussrechnung über nach dem 14. Februar 2014 erbrachte Leistungen bei Abschlagszahlungen vor dem 15. Februar 2014

Bei nach dem 14. Februar 2014 ausgeführten Bauleistungen bzw. Gebäudereinigungsleistungen, für die infolge des BFH-Urteils der leistende Unternehmer die Steuer schuldet, hat der leistende Unternehmer eine Rechnung auszustellen, in der er auch den anzuwendenden Steuersatz und den auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag anzugeben hat (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG). Dies gilt unabhängig davon, ob der leistende Unternehmer das Entgelt oder Teile des Entgelts vor dem 15. Februar 2014 vereinnahmt hat oder nicht.
Hat der leistende Unternehmer das Entgelt oder Teile des Entgelts vor dem 15. Februar 2014 vereinnahmt und hierfür jeweils eine Rechnung ausgestellt, in der er u. a. das (Netto-)Entgelt ohne gesonderten Steuerausweis und einen Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungs­empfängers aufgenommen hat, hat er diese Rechnung(en) im Voranmeldungszeitraum der tatsächlichen Ausführung der Leistung zu berichtigen. Eine Berichtigung dieser Rechnungen kann unterbleiben, wenn der leistende Unternehmer in seiner Schlussrechnung beim Leistungsempfänger die Umsatzsteuer auf das Gesamtentgelt anfordert. Die geleisteten Anzahlungen sind dann in der Schlussrechnung nur mit ihrem Nettobetrag (ohne Umsatzsteuer) anzurechnen. Die Umsatzsteuer auf das Gesamtentgelt ist in diesem Fall in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Zeitraum anzumelden, in dem die Leistung erbracht worden ist. Der Leistungsempfänger hat im selben Voranmeldungszeitraum die von ihm bisher nach § 13b Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 UStG angemeldete Umsatzsteuer auf Anzahlungen für bezogene Bauleistungen zu berichtigen.
Ist der Leistungsempfänger zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt, wird es nicht beanstandet, wenn in der Schlussrechnung nur das um das vor dem 15. Februar 2014 vom leistenden Unternehmer vereinnahmte Entgelt oder die vereinnahmten Teile des Entgelts geminderte Entgelt zugrunde gelegt wird. Voraussetzung hierfür ist, dass diese Anzahlung(en) vom Leistungsempfänger in zutreffender Höhe versteuert (= in einer Voranmeldung oder in einer Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr angemeldet) wurde(n). Auch in derartigen Fällen sind die Rechnungen mit denen über die Anzahlungen abgerechnet wurde, nicht zu berichtigen. Die nach § 13b Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 UStG angemeldete Umsatzsteuer auf Anzahlungen für bezogene Bauleistungen ist nicht zu berichtigen.

5.2 Berichtigung einer vor dem 15. Februar 2014 erstellten Rechnung über Anzahlungen, wenn die Zahlung erst nach dem 14. Februar 2014 erfolgt

Werden für nach dem 14. Februar 2014 ausgeführte Bauleistungen bzw. Gebäude­reinigungsleistungen, für die infolge des BFH-Urteils vom 22. August 2013 der leistende Unternehmer die Steuer schuldet, das Entgelt oder Teile des Entgelts vereinnahmt, bevor die Leistung oder Teilleistung ausgeführt worden ist, entsteht die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraumes, in dem das Entgelt oder Teilentgelt vereinnahmt worden ist
(§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a Satz 4, § 13b Abs. 4 Satz 2 UStG).
Entscheidend für die Steuerentstehung ist nicht, wann die Rechnung erstellt worden ist, sondern der Zeitpunkt der Vereinnahmung des entsprechenden Entgeltes oder des Teilentgeltes. Vereinnahmt der leistende Unternehmer das Entgelt oder Teilentgelt für nach dem 14. Februar 2014 ausgeführte Bau- bzw. Gebäudereinigungsleistungen, für die nunmehr der leistende Unternehmer die Steuer schuldet, nach dem 14. Februar 2014, ist er Steuerschuldner (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG). Ist die hierfür vom leistenden Unternehmer erstellte Rechnung vor dem 15. Februar 2014 erstellt worden und wurde die Umsatzsteuer nicht gesondert ausgewiesen, sondern der Leistungsempfänger als Steuerschuldner behandelt, ist die Rechnung zu berichtigen.
Beispiel:
Der Dachdecker D ist vom Bauunternehmer B im Januar beauftragt worden, das Dach des Bürogebäudes des B neu zu decken. B erbringt nur steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigte Bauleistungen und hat gegenüber dem D die ihm erteilte Freistellungs­bescheinigung nach § 48b EStG verwendet. Die Bemessungsgrundlage für diese Werklieferung beträgt 30.000 €. B und D haben eine Abschlagszahlung in Höhe von 11.900 € vereinbart, die am 20. Februar 2014 zu entrichten ist. D hat über die zu leistende Anzahlung bereits am 30. Januar 2014 eine Rechnung ausgestellt, in der er das Entgelt ausgewiesen und auf die Steuerschuldnerschaft des B hingewiesen hat. D hat am 10. Februar 2014 mit den Dachdeckerarbeiten begonnen. Die Anzahlung ist bei D fristgerecht am 20. Februar 2014 eingegangen. Die Dachdeckerarbeiten wurden am 25. März 2014 beendet.
Für die Dachdeckerleistung ist D Steuerschuldner, weil B als Leistungsempfänger diese Leistung nicht selbst für eine Bauleistung verwendet. Da die Anzahlung nach dem 14. Februar 2014 eingegangen ist und die Leistung nach diesem Datum erbracht wurde, hat D die ursprüngliche Anzahlungsrechnung zu berichtigen, indem er das bisherige Nettoentgelt als Bruttoentgelt ansieht und wie folgt abrechnet:
Anzahlung für Dachdeckerarbeiten 10.000 €
+ Umsatzsteuer (19%) 1.900 €
von B zu zahlen: 11.900 €.
Wenden leistender Unternehmer und Leistungsempfänger einvernehmlich die Nichtbeanstandungsregelung an, muss die Anzahlungsrechnung nicht berichtigt werden. Dies gilt auch dann, wenn der Leistungsempfänger hinsichtlich der an ihn erbrachten Leistung insoweit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.