IHK: Kein Wirtschaftswachstum in Sicht

Unternehmen in Rheinhessen fordern bessere politische Rahmenbedingungen und bürokratische Entlastungen

17.10.2023 – Zum Winter hin ist kein Wachstum für Rheinhessen in Sicht. Die Wirtschaftsentwicklung wird in den kommenden Monaten auf der Stelle treten – das befürchten die Unternehmen, die bei der Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer für Rheinhessen im Herbst 2023 befragt wurden. „Unsere exportstarke Region gerät durch die hohe Abhängigkeit von der Weltkonjunktur immer stärker unter Druck“, stellt IHK-Hauptgeschäftsführer Günter Jertz fest. „Die Unternehmen benötigen dringend neue Impulse, bessere politische Rahmenbedingungen und bürokratische Entlastungen.“ Der Konjunkturklimaindex, Gradmesser für die wirtschaftliche Entwicklung in Rheinhessen, beträgt aktuell 101 Punkte. „Zwar liegen wir damit noch knapp über der Wachstumsschwelle von 100 Punkten und etwas besser als der allgemeine Trend – das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die aktuelle Lage und die Erwartungen der Unternehmen im Jahresverlauf stetig schlechter geworden sind.“ Zum Jahresbeginn 2023 hatte sich der Index nach einem Tiefpunkt im Herbst immerhin auf 106 Punkte erholt. 
„Kein Aufatmen für die rheinhessischen Unternehmen: Die Konjunktur tritt weiter auf niedrigem Niveau auf der Stelle", macht IHK-Präsident Peter Hähner deutlich. „Und die Zeiten bleiben schwierig: Hohe Energie- und Rohstoffpreise, Zinsen, Arbeitskosten und steigende Steuern belasten die Unternehmen. Hinzu kommen der sich weiter verschärfende Fachkräftemangel, geopolitische Risiken sowie zunehmende Lasten der Bürokratie. Generell ist die aktuelle Entscheidungspolitik in Wirtschaftsthemen sehr zögerlich und nicht auf den Mittelstand ausgelegt. Unsere Unternehmen fordern mehr Tempo bei Entscheidungen, bürokratische Entlastungen, wettbewerbsfähige Strompreise und eine Steuerbelastung, die vergleichbar mit anderen Industrieländern ist.“ Diese Maßnahmen seien auch notwendig, um Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Vergleich abzubauen.

Geschäftslage und Erwartungen mit keinen positiven Wachstumssignalen 

Ihre aktuelle Geschäftslage sehen die rheinhessischen Unternehmen im Vergleich zum Frühjahr 2023 fast unverändert: 37 Prozent der Betriebe melden aktuell eine gute Geschäftslage, 45 Prozent eine befriedigende und 18 Prozent eine schlechte Lage. Positive Wachstumssignale sehen die Betriebe kaum: So gehen nur noch 17 Prozent der befragten Betriebe von einer besseren Geschäftsentwicklung für die kommenden zwölf Monate aus, 52 Prozent rechnen mit einer gleichbleibenden Entwicklung und 31 Prozent befürchten einen Rückgang. Damit verschlechtern sich die Erwartungen angesichts des eingetrübten Konjunkturumfeldes weiter.


Fachkräftemangel sowie Energie- und Rohstoffpreise erneut größte Risiken

Bei der Frage nach den größten Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung ihres Unternehmens in den kommenden zwölf Monaten nennen 65 Prozent der Betriebe den Fachkräftemangel und 56 Prozent die hohen Energie- und Rohstoffpreise. Auf der Liste der Herausforderungen an die dritte Stelle rücken mit 53 Prozent und einem Zuwachs von 7 Prozentpunkten die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen – „dass nun deutlich mehr Betriebe hier ein Risiko sehen zeigt, wie groß der Handlungsbedarf an dieser Stelle ist“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Jertz. Weiterhin als Herausforderung nennen die Unternehmen in Rheinhessen die Inlandsnachfrage (49 Prozent), die Arbeitskosten (44 Prozent), die weiteren Auswirkungen des Ukraine-Kriegs (27 Prozent), die Auslandsnachfrage (20 Prozent) und die Finanzierung (14 Prozent).


Investitionsabsichten aufgrund der Unsicherheiten zurückhaltend

Bei den geplanten Investitionen für die kommenden zwölf Monate sind die befragten Unternehmen aufgrund der unsicheren Lage vorsichtig: 30 Prozent wollen mehr investieren, 51 Prozent gehen von gleichbleibenden Investitionen aus und 19 Prozent fahren ihre Investitionen zurück.

Industrie mit zunehmenden Nachteilen im globalen Wettbewerb
Die rheinhessische Wirtschaft profitierte in der Vergangenheit von ihrer starken Industrie und der hohen Außenhandelsorientierung. Allerdings führen Kriege, außenpolitische Unsicherheiten und die veränderte geopolitische Lage nun zu deutlich rückläufigen Aufträgen aus dem Ausland und gesunkenen Exporterwartungen. Darüber hinaus leidet insbesondere die Industrie unter den hohen Energiekosten und zunehmenden Nachteilen im globalen Wettbewerb. Die Stimmung der Industrie spiegelt sich im aktuellen Konjunkturklimaindex für die Branche wider: Dieser liegt mit 96 Punkten unter dem Durchschnitt und auch unterhalb der Wachstumsschwelle. So melden 29 Prozent der Industriebetriebe eine gute Geschäftslage, 48 Prozent schätzen ihre Situation als befriedigend ein und 23 Prozent verzeichnen eine schlechte Lage. Bei den Geschäftserwartungen für die nächsten zwölf Monate hoffen 21 Prozent auf bessere Geschäfte, 45 Prozent rechnen mit einer gleichbleibenden Entwicklung und 34 Prozent befürchten einen Rückgang. Die Auftragseingänge aus dem Ausland stiegen bei 19 Prozent der Industrieunternehmen, 39 Prozent verbuchten gleichbleibende Eingänge und bei 42 Prozent gingen die Aufträge sogar zurück. Dementsprechend sind auch die Exporterwartungen der Unternehmen deutlich pessimistischer: 23 Prozent der Unternehmen erwarten höhere Exporte, 44 Prozent kalkulieren mit dem gleichen Umfang und 33 Prozent rechnen mit einem Rückgang der Lieferungen ins Ausland.

Einzel- und Großhandelsunternehmen beklagen Kaufkraftverluste

Der Einzel- und Großhandel bewertet seine Geschäftslage ebenfalls skeptisch und beklagt einen anhaltend schwachen Konsum. Die Inflation sinkt zwar aktuell, dennoch verbuchen die Kunden Kaufkraftverluste. Auch die hohen Zinsen dämpfen die Nachfrage. Mit 91 Punkten liegt der aktuelle Konjunkturklimaindex für den Handel erneut unterhalb der Wachstumsschwelle.
33 Prozent der Unternehmen berichten aktuell von einer guten Geschäftslage, 47 Prozent verzeichnen eine befriedigende Lage und 20 Prozent eine schlechte Situation. Die Geschäftserwartungen für die kommenden zwölf Monate werden eher negativ eingeschätzt: 10 Prozent kalkulieren mit besseren Geschäften, 53 Prozent mit einer gleichbleibenden Lage und 37 Prozent mit einem Umsatzrückgang.
Dienstleister mit bestem Ergebnis aller Branchen

Mit relativ robusten Ergebnissen zeigen sich erneut die Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor: Mit 110 Punkten liegt der aktuelle Konjunkturklimaindex deutlich über dem Wert der anderen Branchen. 44 Prozent der Betriebe melden eine gute aktuelle Geschäftslage, 43 Prozent eine befriedigende und 13 Prozent eine schlechte Lage. Für die kommenden zwölf Monate rechnen 19 Prozent mit besseren Geschäften, 55 Prozent mit gleichbleibenden Ergebnissen und 26 Prozent rechnen mit einer schlechteren Geschäftslage.

Im Rahmen der IHK-Konjunkturumfrage Herbst 2023 wurden zwischen 11. September und 12. Oktober 790 Unternehmen befragt.