Wirtschaft in Rheinland-Pfalz tritt auf der Stelle

Die Konjunktur in Rheinland-Pfalz stagniert zum Frühsommer nach wie vor auf niedrigem Niveau. Die Rezessionsgefahr ist somit noch nicht gebannt: Von dem Allzeittief im Herbst 2022 infolge der Energiekrise hatte sich die wirtschaftliche Entwicklung zum Jahresbeginn zwar noch erholen können, doch dieser Aufwärtstrend setzt sich im Frühsommer nicht fort.
Nach der Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammern in Rheinland-Pfalz für den Frühsommer stagniert der Konjunkturklimaindex, das wirtschaftliche Stimmungsbarometer für aktuelle Geschäftslage und Perspektiven, bei 97 Punkten, demselben Wert wie zu Jahresbeginn 2023. Damit liegt er weiterhin unterhalb der 100-Punkte-Marke, der Grenze zwischen positiver und negativer Grundstimmung. Diese Seitwärtsbewegung macht deutlich: Die Wirtschaft erlebt zwar keinen weiteren Einbruch, aber auch der ersehnte Aufschwung bleibt aus.

Geschäftslage verändert sich nur unwesentlich, Erwartungen bleiben verhalten

Die aktuelle Geschäftslage der Unternehmen in Rheinland-Pfalz hat sich im Vergleich zur Vorumfrage nur geringfügig verändert. 29 Prozent der Betriebe schätzen ihre Lage als gut ein (Jahresbeginn 2023: 32 Prozent), 19 Prozent als schlecht (Jahresbeginn 2023: 17 Prozent) – der Saldenwert aus positiven und negativen Antworten hat sich damit wieder leicht verschlechtert. 52 Prozent – und damit über die Hälfte der antwortenden Betriebe – beurteilen ihre Lage hingegen als weiterhin gleichbleibend (Jahresbeginn 2023: 51 Prozent).
Bei den Geschäftserwartungen der Unternehmen für die kommenden zwölf Monate ist seit dem energiepreisbedingten Einbruch im Herbst 2022 zwar ein leichter Aufwärtstrend erkennbar, die Aussichten der Betriebe bleiben aber auch im Frühsommer 2023 immer noch negativ. Der entsprechende Saldo liegt immer noch bei nur -14 (Jahresbeginn 2023: -18 Prozent). Denn 56 Prozent und damit über die Hälfte der Unternehmen rechnen mit einer höchstens gleichbleibenden und 29 Prozent sogar mit einer schlechteren Geschäftsentwicklung.
Somit stellt die Mehrheit der Unternehmen aktuell keine Veränderung ihrer Geschäftslage fest und erwartet auch in der kommenden Zeit keine Verbesserung. Darin sieht Arne Rössel, Hauptgeschäftsführer der IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz, kein gutes Zeichen: „Gemeinsam haben Politik und Wirtschaft enorme Kraftanstrengungen unternommen, um die Energiekrise aus dem letzten Herbst zu bewältigen. Und doch zeigen die aktuellen Umfrageergebnisse, dass die Lage vieler Unternehmen nach wie vor fragil bleibt. Vielen Unternehmerinnen und Unternehmern fehlt es an Zuversicht.“

Fehlende Fachkräfte, hohe Energie- und Arbeitskosten bei gleichzeitigem Zinsanstieg – Unternehmen warten ab

Das spiegelt sich auch in den erwarteten Investitionen (70 Prozent der Betriebe mit gleichbleibenden oder geringeren Investitionsabsichten) und der erwarteten Beschäftigung (83 Prozent mit gleichbleibenden oder geringeren Beschäftigungsabsichten) wider. Die Exporterwartungen der Industrie fügen sich nahtlos in diese Reihe ein: 83 Prozent der Industrieunternehmen rechnen mit gleichbleibenden oder geringeren Ausfuhren von Gütern ins Ausland.   
Gedämpft wird der Blick in die Zukunft von verschiedenen Faktoren: Mit 61 Prozent belegen die Energiepreise weiterhin Platz eins der größten Geschäftsrisiken. Allerdings ist dieser Wert geringer als noch zu Jahresbeginn (minus sieben Prozentpunkte). Dicht darauf folgt der Fachkräftemangel, den 60 Prozent der Unternehmen als Risiko betrachten. Dieser Wert ist identisch mit dem der Vorumfrage. Die Arbeitskosten mit 50 Prozent belegen schließlich Platz drei der größten Geschäftsrisiken. Hier steigt die Anzahl der betroffenen Unternehmen um fünf Prozentpunkte (Jahresbeginn 2023: 45 Prozent).
„Bei den Geschäftsrisiken liegen die strukturellen Herausforderungen insbesondere des Arbeitsmarktes nun wieder gleichauf mit den krisenbedingten Energie- und Rohstoffrisiken“, kommentiert Rössel. „Das ergibt für Unternehmen eine problematische Gemengelage: Der Reformstau im Hinblick auf den Arbeits- und Fachkräftemangel trifft auf nach wie vor hohe Kosten für Energie und Rohstoffe sowie gleichzeitig steigende Arbeitskosten und Zinsen für Fremdkapital. Bereits 21 Prozent der Betriebe geben an, dass ihre Finanzlage von der Zinshöhe beeinträchtigt wird. Das sind 15 Prozentpunkte mehr als noch vor einem Jahr.“

Blick in die Branchen

Beobachten lässt sich diese Unsicherheit insbesondere in der sonst weitgehend resilienten Bauwirtschaft. In dieser Branche fällt der Konjunkturklimaindex um 14 Prozentpunkte auf 78 Punkte (Jahresbeginn 2023: 92 Punkte). Auch in der für die rheinland-pfälzischen Wirtschaft so wichtigen Industrie verdeutlicht sich der ausbleibende Aufschwung: Die Branche liegt mit einem Konjunkturklimaindex von 98 Punkten (Jahresbeginn 2023: 97 Punkte) nur knapp über dem gesamtwirtschaftlichen Konjunkturklimaindex in Rheinland-Pfalz. Immerhin verspricht die Lage in der Investitionsgüterindustrie mit 108 Punkten etwas Hoffnung. Der Handel hat sich mit einem Konjunkturklimaindex von 87 Punkten im Vergleich zum Jahresbeginn um 5 Indexpunkte verschlechtert. Vor dem Hintergrund gestiegener Preise und der damit verbundenen Konsumzurückhaltung der Kunden bereitet hier der Inlandsabsatz der Mehrheit der Handelsunternehmen (53 Prozent) Sorge. Die Dienstleistungsbranche hat mit einem Konjunkturklimaindex von 104 Punkten (Jahresbeginn 2023: 102 Punkte) schließlich die beste Grundstimmung – besonders die personenbezogenen Dienstleistungen verzeichnen dabei ein Plus von 21 Prozentpunkten. Nach den schwächeren Corona-Jahren ist im Dienstleistungssektor damit eine höhere Auftragslage zu vermuten. Hier wird aber auch nochmals die Bedeutung des Fachkräftemangels besonders ersichtlich: Dieser liegt mit 64 Prozent klar an der Spitze der größten Sorgenbereiter der rheinland-pfälzischen Dienstleistungsunternehmen.

Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen stärker im Fokus

Insgesamt kommen die Unternehmen in Rheinland-Pfalz in der aktuellen wirtschaftlichen Situation angesichts der vielfältigen Herausforderungen nicht voran. Rössel sieht daher die Politik in der Pflicht: „Bei den Unternehmen wirkt der Energie-Schock aus dem Herbst 2022 immer noch nach. Gleichzeitig stehen sie vor massiven Herausforderungen der Dekarbonisierung und Digitalisierung. Umso wichtiger ist es nun, dass die Politik ihr Augenmerk verstärkt darauf richtet, für verlässliche Rahmenbedingungen zu sorgen – damit weiter Investitionen von Betrieben ermöglicht und Verbraucher nicht abgeschreckt werden.“
Die Umfrage lief vom 27. März bis 4. Mai 2023. Teilgenommen haben 942 Unternehmen mit rund 171.000 Beschäftigten.