08 | 2022

Versorgungssicherheit – wird den Betrieben der Strom abgedreht?

In vielen Bäckereien ging das Licht aus, die Verkaufsräume lagen im Dunkeln. Mit dieser Aktion wollte das norddeutsche Bäckerhandwerk vor wenigen Wochen auf die prekäre Lage vieler Betriebe aufmerksam machen. Auch zahlreiche andere Unternehmer fürchten eine Dunkelflaute in der Kasse, ausgelöst durch unbezahlbare Energiepreise und ausbleibende Kundschaft.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Die Gas- und Strompreise lagen im September 2022 mehr als viermal so hoch wie 2021. Und damit ist laut einer Studie des Beratungsinstituts Prognos noch nicht Schluss: Strompreise von bis zu 50 Cent pro Kilowattstunde seien im Bereich des Möglichen. Aus dem Schraubstock der Energiepreise scheint es deshalb kein Entkommen zu geben, weil Gas- und Strompreis zusammenhängen: Gas wird in Kraftwerken zur Stromerzeugung verwendet. Entsprechend der sogenannten Merit-Order bestimmen momentan die Gaskraftwerke den Strompreis: Das Kraftwerk mit den höchsten Grenzkosten (= Produktionskosten), das noch benötigt wird, um die Nachfrage zu decken, bestimmt den Marktpreis. Zusätzlich ist selbst die Gefahr von Versorgungsengpässen noch nicht gebannt.
Die Folgen dieser Preis- und Mengenproblematik sind für viele Unternehmen gravierend: Die Kosten für Energie, für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und für den Transport klettern in die Höhe. Manche Betriebe erhalten keinen Anschlussverträge für Strom und Gas, da sich ihre Versorger selbst in Schieflage befinden. So wird nicht nur die Herstellung einiger Güter aufgrund der hohen Energiekosten unrentabel. “Dramatisch viele Betriebe empfinden ihre aktuelle Lage und die Aussichten als perspektivlos”, beschreibt DIHK-Präsident Peter Adrian die Stimmung unter den Unternehmen. Laut einer neuen Analyse des Bundesverbands der Deutschen Industrie sehen sich 34 Prozent der Betriebe in ihrer Existenz gefährdet, fast jedes vierte Unternehmen will Teile der Produktion in das Ausland verlagern. Und wer nicht geht, könnte im perfekten Sturm aus Energiekosten, Inflation, rezessiven Dynamiken und Zinswende aufgeben.
Und jetzt? Die Priorität staatlicher Akteure bestand zunächst darin, die Mengenproblematik zu lösen und über die Projektierung von LNG-Terminals und neue Gaslieferverträge die Energieversorgung Deutschlands zu sichern. Entscheidend für die Versorgungssicherheit ist aber nicht nur der gestiegene Stand der Gasspeicher, sondern auch der Gasverbrauch privater Haushalte in den ersten Monaten der Heizperiode. Und der liegt nach Aussage der Bundesnetzagentur noch immer zu hoch.
Die Zeit drängt, wenn es in Deutschland nicht dunkel und kalt werden soll.
Die Nachfrage nach Strom und Gas kann jedoch höchstens mittelfristig gedrückt werden, zum Beispiel durch Energieeffizienzmaßnahmen, unternehmenseigene Photovoltaik-Anlagen, Wärmepumpen und die generelle Elektrifizierung der Produktion. Auf der Angebotsseite kann die Stromproduktion kurzfristig durch eine Verlängerung der Laufzeiten von Atommeilern und Kohlekraftwerken zumindest aufrechterhalten werden. Mittel- und langfristig müssen die erneuerbaren Energien aber mit hoher Intensität ausgebaut werden, sollen Deutschland keine dauerhaft hohen Stromkosten, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und Deindustrialisierung drohen. Das zeigt auch die im Oktober vorgestellte Stromstudie der IHK Metropolregion.
Hinsichtlich der Preisbildungsmechanismen kündigte die Bundesregierung vor kurzem einen 200 Milliarden Euro starken “Abwehrschirm” an, der den Anstieg der Energiekosten dämpfen soll. Die Expertenkommission “Gas und Wärme” erarbeitete dazu Vorschläge für ein zweistufiges Entlastungsverfahren. Es soll eine staatliche Übernahme von Abschlagszahlungen an die Energieversorger umfassen sowie eine teilweise Absenkung der Gaspreise auf zwölf Cent pro Kilowattstunde. Es ist jedoch unklar, in welchem Umfang diese Vorschläge Eingang in gesetzliche Regelungen finden.
Manfred Schnabel, Präsident der IHK Rhein-Neckar, mahnt zur Eile: “Der Abwehrschirm muss nun schnell aufgespannt und auch hinsichtlich der Strompreise konkretisiert werden. Ebenso muss fortlaufend geprüft werden, ob weitere Schritte notwendig sind.” Manche Ökonomen befürchten beispielsweise, dass ein Strompreisdeckel zu einer Verknappung des Angebots führt. Klar ist: Einfache Lösungen gibt es bei einer Problemlage dieser Größenordnung zwar nicht, doch die Zeit drängt, wenn es in Deutschland nicht dunkel und kalt werden soll.

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