Wäsche, Werte, Wandel

Die Wurzeln des Fachgeschäftes Gartz Wäsche reichen bis ins Jahr 1805 zurück. Kein Wunder, dass Inhaberin Sibylle Eiben viel Erzähl-Stoff auf Lager hat.
Anna und Christian Wilhelm Gartz gründen ihre Handweberei in Salzwedel bei Magdeburg, als Napoleon gerade zum Angriff auf Europa bläst. Der Ehevertrag ist zugleich Gründungsurkunde. Laut Firmenchronik wird ihnen damals „das Haus und Spadenland mit dem ganzen Hausgerät dergestalt erb- und eigentümlich, dass sie darüber als mit ihrem wohlerworbenen Eigentum schalten und walten (…) können“. Kaum ist die Tinte auf dem Vertrag getrocknet, rattern im Haus die ersten Handwebstühle. Gefertigt werden Bettzeuge, Handtücher, Geschirrtücher und feines Leinen. Der Betrieb floriert, expandiert, diversifiziert. Wilhelm Gartz, ältester Sohn des Gründerpaares, gestaltet die Transformation des Unternehmens vom Handwerksbetrieb zur Leinen-, Drell- und Damastfabrik. Das gefällt nicht nur der Kundschaft, sondern auch dem preußischen Staat: Der Unternehmer wird für seine Leistungen mehrfach ausgezeichnet.
Die nachfolgenden Generationen etablieren Gartz Wäsche auch im Einzelhandel, der damals immer lukrativer wird. „Der Kaufmann und Ratsherr Fritz Gartz eröffnete ein Aussteuer- und Wäschegeschäft, Kundschaft war das wohlhabende Bürgertum“, erzählt Eiben. Gartz trumpft schon damals mit guter Beratung auf, dazu kommt Top-Technik. Die Federreinigungsmaschine im Bettengeschäft beispielsweise ist im Einzugsgebiet ein Alleinstellungsmerkmal. „Bis zu meiner Kinderzeit wurden in Salzwedel in der ersten Etage immer noch Federbetten hergestellt, unten war das Geschäft, und einige der alten Webstühle standen auf dem Dachboden – wir haben dort gern gespielt“, erinnert sich Eiben. Unter der Regie ihrer Großeltern, Louise und Hugo Bach, setzt das Unternehmen bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs seinen Expansionskurs fort. Wie Zukunftsgewand die Firma in dieser Zeit ist, zeigt die Einkaufspolitik von Louise Bach: Sie holt Anfang der 1920er mit dem Büstenhalter eine hochumstrittene Innovation ins Sortiment. „Weg von den Korsettstangen und Schnürung, hin zum BH mit Gummizug – das war schon eine Revolution“, berichtet Eiben.

Beste Grüße aus Paris

Mit der Gründung der DDR aber wendet sich das Blatt: Eibens Eltern, Gertrud und Theo Bach, sehen in Salzwedel kaum noch Perspektiven für die Geschäftsentwicklung. Wie ein Korsett erscheint ihnen das System, deshalb setzen sie ihr Unternehmerdasein in Westdeutschland fort – erst in Uedem am Niederrhein, dann in Dorsten. Gartz Wäsche wird 1962 mit den Geschäftsräumen in der Lippestraße 27 neu gestartet und sofort auf Erfolgskurs gebracht. „Ich habe damals schon meinen Eltern im Geschäft geholfen, zum Beispiel Ware einsortiert“, erzählt Eiben. Wie wenige andere Bekleidungsgeschäfte der Region habe sich Gartz ganz auf Damenwäsche fokussiert. „Etwa 100 BH-Größen vorzuhalten ist ja mit Investitionen verbunden, das haben nicht viele andere gemacht“, erklärt die Unternehmerin, deren Geschäft aktuell rund 2.000 Büstenhalter auf Lager hat. Kein Wunder, dass einige Jahre nach dem Neustart eine bestimmte Marktentwicklung für Alarmstimmung im Betrieb sorgt: Es gab wieder eine BH-Revolution, diesmal aber anders. „Die Frauen der 68ger-Generation fingen an, ihre BHs zu wegzuwerfen“, erinnert sich Sibylle Eiben, die 1974 das Unternehmen von ihren Eltern übernommen hat. Die damals 24-jährige hat aber Spitzen-Argumente auf Lager, um zumindest im Kreis der Kundinnen das Kleidungsstück en vogue zu halten. „Ich hatte ja ein Betriebswirtschafts-Studium absolviert, viel auf Messen gearbeitet und somit Kontakte zu anderen Lieferanten aufgebaut, um die neuesten Trends nach Dorsten ins Geschäft zu holen“, erzählt Eiben.
Vor allem dem Pariser Chic standen und stehen die Türen bei Gartz Wäsche weit offen. „Luftige Dessous, mehr mit Spitzen“, erklärt die Geschäftsführerin. Die neue Sortiments-Philosophie kommt damals bei der Kundschaft ebenso gut an, wie die Chefin selbst. Dabei hatte Sibylle Eiben die Nachfolge im elterlichen Betrieb eigentlich gar nicht antreten, sondern ihren Job bei einer Unternehmensberatung fortsetzen wollen. „Mit ist dann aber klargeworden, dass ich lieber im eigenen Geschäft die Nummer eins als sein wollte, als dort die Nummer 127“, sagt sie. Der Nachfolgeprozess verläuft wie im Lehrbuch: „Meine Eltern hatten Vertrauen, sie haben mich machen lassen, waren aber immer da, wenn ich Fragen hatte“, berichtet Eiben, die zwölf Jahre lang eine zweite Gartz-Filiale in Dorsten betrieben hat.

Erfolgsfaktor Beratung

Viele Impulse hat sie dem Unternehmen gegeben, mit einem Online-Shop in den Multi-Channel-Handel einzusteigen war für sie aber keine Option. „Wir haben ja hautnah mit Menschen zu tun, sogar im wörtlichen Sinn mit unseren Artikeln“, begründet sie. Mit guter persönlicher Beratung könne der Einzelhandel die Online-Anbieter distanzieren – insbesondere in solch sensiblen Produkt-Bereichen. „Es geht ja bei Damenwäsche oft darum, dass sich Kundinnen zunächst nicht sicher sind, ob sie eine tolle Figur darin machen“, erklärt Eiben.
Die Wohlfühlfaktor des Wäschestücks ist ein weiterer Aspekt. „Viele Frauen kennen mangels Beratung ihre BH-Größe nicht und finden bei uns zum ersten Mal ein richtig passendes Teil“, berichtet die Unternehmerin. Sie hilft in beiden Fällen gern: mit Empathie, Sachkenntnis und einem vielseitigen Sortiment. „Wir finden immer eine Lösung, es geht darum, dass die Kundinnen mit einem Lächeln aus dem Laden gehen“, sagt sie. Entsprechend viele traurige Mienen dürfte es geben, wenn die lange Tradition der Firma Gartz Wäsche in den kommenden Jahren enden wird. Eibens Sohn ist zwar Unternehmer, hat sich aber in einer anderen Branche selbstständig gemacht. „Eine Nachfolge ist zurzeit nicht in Sicht“, bedauert Sibylle Eiben und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Vielleicht gibt ja dieser Artikel einen Impuls“.