„Wir brauchen wieder mehr unternehmerische Freiheit“

Dr. Benedikt Hüffer ist über 15 Jahre Präsident der IHK Nord Westfalen. Bei den Wahlen zum Präsidium am 10. April kandidiert er nicht mehr. Zeit für eine Bestandsaufnahme. | Interview: Guido Krüdewagen
Guido Krüdewagen: Herr Dr. Hüffer, Sie waren länger Präsident der IHK Nord Westfalen als sämtliche Vorgänger in den vergangenen 100 Jahren. Hätten Sie das bei Ihrem Amtsantritt erwartet?
Dr. Benedikt Hüffer: Nein, eher nicht. Aber dazu beigetragen hat ganz sicher, dass die IHK Nord Westfalen in den vergangenen Jahren sehr störungs- und auch konfliktfrei für die Entwicklung der Region gearbeitet hat. Das Miteinander von Haupt- und Ehrenamt funktioniert sehr gut. Die Arbeit als Selbstverwaltung und Gesamtinteressenvertretung war und ist spürbar von einem starken Gemeinsinn geprägt mit dem einen Ziel, die Wirtschaft in Nord-Westfalen insgesamt voranzubringen.
Krüdewagen: Haben Sie Beispiele, wo die Region aus Ihrer Sicht vorangekommen ist?
Hüffer: Es gibt sehr viele Projekte, die auch von der IHK, meist im Hintergrund, mitgestaltet und durchgesetzt wurden und werden. Nicht immer ist das Ergebnis oder der Fortschritt auf dem Weg dahin so erkennbar wie etwa beim Bau der B 67 n im westlichen Münsterland oder beim zweispurigen Ausbau der Schienenverbindung zwischen Dortmund und Münster. Beide Projekte wären nicht so weit wie sie sind, wenn die IHK da nicht hartnäckig am Ball geblieben wäre.
Krüdewagen: Hat die Verkehrsinfrastruktur nicht an Bedeutung verloren?
Hüffer: Nein, im Gegenteil: Ohne eine leistungsfähige Infrastruktur keine leistungsfähige Wirtschaft. Das gilt natürlich auch für die digitale Infrastruktur, die im IHK-Bezirk nun nach und nach besser wird. Es geht bei der IHK-Arbeit ja oft um diese grundlegenden Dinge. Wie etwa darum, bei der Regionalplanung dafür zu sorgen, dass es noch ausreichend Gewerbe- und Industrieflächen für die Ansiedlung oder Entwicklung von Unternehmen gibt. Oder um die Sicherung der Grundstoffindustrie in der Region. Genau das ist ja die Kernaufgabe der IHK, sich für gute Standortvoraussetzungen einzusetzen und für Lösungen, von denen die Wirtschaft insgesamt am stärksten profitiert.
Ohne eine leistungsfähige Infrastruktur keine leistungsfähige Wirtschaft.

Dr. Benedikt Hüffer

Krüdewagen: Die IHK mischt aber häufig auch bei aktuellen Themen mit …
Hüffer: Ja, sie unterstützt die Initiative „Klimahafen Gelsenkirchen“ oder auch die Batterieforschung im Münsterland beispielsweise durch die Vernetzung über die Auslandshandelskammern. Eine treibende Kraft ist die IHK bei der Zusammenarbeit mit unseren niederländischen Freunden in der Grenzregion. Durch die Initiative TECH.LAND hat diese Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft ein ganz neues Niveau an Gemeinsamkeit und Verbindlichkeit erreicht.
Dr. Benedikt Hüffer kandidiert bei den Wahlen zum Präsidenten nicht mehr.
Seit 15 Jahren IHK-Präsident: Dr. Benedikt Hüffer kandidiert bei den Wahlen zum Präsidenten nicht mehr. © Mensing/IHK Nord Westfalen
Krüdewagen: Gibt es ein Ereignis während Ihrer Präsidentschaft, auf das Sie mit besonderer Freude blicken?
Hüffer: Wenn ich mich auf ein Ereignis beschränken soll: Die Eröffnung des IHK-Bildungszentrums am 7. September 2017. Es ist der in Glas, Stahl und Beton gegossene Anspruch, junge und jung gebliebene Menschen auf ihrem beruflichen Erfolgsweg zu begleiten und zu unterstützen. Zugleich ist es sichtbares Zeichen der Wertschätzung für die Menschen, die eine betriebliche Aus- und Weiterbildung absolvieren. Nicht ohne Grund ist unsere IHK eine der führenden fünf Aus- und Weiterbildungskammern in Deutschland.
Krüdewagen: Was hat nach Ihrer Einschätzung nicht so gut funktioniert?
Hüffer: Da denke ich zum Beispiel an das Thema der Anerkennung von Zeugnissen ausländischer Menschen, um sie in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Hier hätten wir als IHK-Organisation mehr bewegen können und müssen, um Teil einer stärker arbeitsmarktorientierten Einwanderungspolitik bei uns im IHK-Bezirk wie auch im Land insgesamt zu sein. Auch in der Digitalisierung der IHK-Organisation gibt es bei allen Fortschritten der letzten Jahre noch eine Menge zu tun.
Krüdewagen: Was hätte im Miteinander mit der Politik anders laufen können?
Hüffer: Im Land hatte die IHK-Organisation wie auch viele Verbände in den letzten Jahren einen Gutteil ihrer Zeit damit zu verbringen, Gesetzesvorhaben der Regierung, die die wirtschaftliche Entfaltung der Unternehmen beinträchtigen oder hemmen, zu diskutieren, im Idealfall zu stoppen. In den meisten Fällen ist das leider nicht oder nur mäßig gelungen. Genannt seien hier die Datenschutz- Grundverordnung, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das Barrierefreiheitsgesetz, das Hinweisgeberschutzgesetz et cetera, et cetera.
Die Deindustrialisierung ist ein Faktum, das sich an der Verlagerung von Investitionen und ganzen Betriebsstätten ins Ausland feststellen lässt.

Dr. Benedikt Hüffer

Krüdewagen: Sie meinen die Bürokratie?
Hüffer: Ja. Oft liegen solchen Gesetzen gut gemeinte Motive zugrunde. Aber für die Umsetzung solcher Gesetze entstehen für Unternehmen erhebliche Aufwände, Dokumentationspflichten und vieles mehr. Ein Beispiel für eine solche staatliche Fehlsteuerung ist das neue Baurecht. Dieses sieht Vorschriften zur Inklusion und Nachhaltigkeit vor, die Neubauprojekte selbst in guten Lagen unattraktiv werden lassen. Die Zeche für eine solche Politik zahlt zunächst die Bauwirtschaft. Am Ende zahlen sie aber viele Mieterinnen und Mieter, für die gerade in Ballungsräumen kein bezahlbarer Wohnraum mehr angeboten werden kann. Hier wäre jetzt ein kluger Gesetzgeber gefordert.
Krüdewagen: Ist nicht Konsens aller Parteien, dass Bürokratie abgebaut werden soll?
Hüffer: Das stimmt, doch die Bürokratie wächst weiter, nur etwas langsamer. Die Frage ist doch: Wie sollen sich gerade kleine und mittlere, aber auch große Unternehmen unter diesen Bedingungen noch frei entfalten und entwickeln können? Kleine und mittlere Unternehmen leiden besonders unter vielfach anzutreffender politisch beschlossener und behördlich umzusetzender „Regulatorik“. Die großen Firmen ebenso, aber sie nutzen dann mittlerweile öfter die Möglichkeit, ins Ausland abzuwandern, wo für sie bessere Rahmenbedingungen herrschen. Die Deindustrialisierung ist ein Faktum, das sich an der Verlagerung von Investitionen und ganzen Betriebsstätten ins Ausland feststellen lässt.
Krüdewagen: Was ist Ihrer Ansicht nach zu tun?
Hüffer: Diese Bedingungen in Deutschland sind nicht „vom Himmel gefallen“. Sie sind „menschengemacht“. Sie sind Ergebnis von Mehrheitsentscheidungen. Sie können also auf demokratischem Wege auch wieder verändert werden. Um solche Aufbrüche für eine bessere Zukunft zu bewirken, brauchen wir einen grundlegenden Wechsel in der Wirtschaftspolitik. Wir brauchen wieder mehr unternehmerische Freiheit und Technologieoffenheit, um zu zukunftsfähigen Lösungen zu kommen, mit denen wir im internationalen Wettbewerb bestehen.
Krüdewagen: Welche Erwartungen haben Sie an eine neue Bundesregierung?
Hüffer: Um nur zwei Beispiele herauszugreifen: Erstens sollten Planungs- und Genehmigungsverfahren verkürzt werden. Sie senken die Investitionsbereitschaft von Unternehmen. Wenn viele Jahre oder gar Jahrzehnte von der Bedarfsfeststellung bis zum ersten Spatenstich vergehen, können sich Rahmenbedingungen durch technischen Fortschritt und neue Informations- und Abstimmungsbedarfe verändern. Als echte Investitionsbremse wirkt zudem die Verbandsklage. Auch hier ist der Gesetzgeber gefordert. Zweitens: Bürokratieabbau. Wir brauchen nicht nur eine Atempause bei neuen Gesetzen, sondern einen Abbau von bestehenden rechtlichen Vorschriften. Deshalb sollte die Bundesregierung sich selbst rechtsverbindlich dazu verpflichten, in Deutschland eine möglichst schlanke und praxisorientierte Umsetzung der EU-Regulierungen sicherzustellen, die nicht über die EU-Regelungen hinausgeht.
Krüdewagen: Herr Dr. Hüffer, herzlichen Dank für das Interview.