Generationswechsel professionell gestalten

Kommunikation ist alles: Dieses Prinzip stellte Prof. Anne Heider beim 9. IHK-Forum Unternehmensnachfolge in Dorsten ganz nach vorn, wenn eine Firmenübergabe gelingen soll. | Text: Tobias Hertel
Die Wissenschaftlerin vom Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) rückte vor allem die Übergabe von Eltern auf ihre Kinder in den Blickpunkt. Ein solcher Generationswechsel liegt bei so vielen Unternehmen an, dass IHK-Vizepräsidentin Melanie Baum von einem bevorstehenden „Umbruch mit einer großen gesellschaftlichen Dimension“ sprach: „41.000 Unternehmen in Nord-Westfalen steht in den kommenden zehn Jahren eine Übergabe bevor, davon sind rund 220.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte betroffen“, erklärte sie vor mehr als 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Moderator Lennart Hemme machte im CreativQuartier Fürst Leopold eine Probeabstimmung: Wer beschäftigt sich mit einer bevorstehenden Übergabe, wer steckt gerade mitten im Nachfolgeprozess? Viele Hände gingen in die Höhe. Die meisten der Unternehmerinnen und Unternehmer erwarteten folglich konkrete Tipps aus Wissenschaft und Praxis – und die bekamen sie.

Faktor Zeit: Früh anfangen

Entscheidend ist der Faktor Zeit: „Bereiten Sie sich rechtzeitig und professionell auf den Generationswechsel vor“, empfahl Sven Wolf, IHK-Geschäftsbereichsleiter Unternehmensförderung und Weiterbildung, eindringlich. „Der Prozess einer Unternehmensnachfolge ist sehr komplex und selten geradlinig. Wer früh beginnt, verschafft sich die Zeit, um die Optionen sorgfältig abzuwägen“, so Wolf weiter.
Solche Optionen gibt es viele: Übergabe innerhalb der Familie, aus dem Kreis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder lieber eine externe Lösung? Baum, die selbst 2009 von ihrem Vater die Baum Zerspanungstechnik in Marl übernommen hat, riet dazu, sich auch außerhalb der Familie nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten umzusehen, selbst wenn dies zusätzlich Zeit koste. Ein Unternehmen sei schließlich kein Vermächtnis. Eine solche Suche könne mühselig sein. „Deshalb muss man Extraschleifen einkalkulieren“, erklärte sie.
Im Schnitt 15 Jahre nehmen sich japanische Unternehmen für die Übergabe Zeit, „dort entsteht Nachfolge durch Nachahmung“, beschrieb Heider das Prinzip, bei dem der Nachfolger dem Chef über die Schulter schaut. Ganz so lang brauchen heimische Betriebe nicht, aber auch für sie heißt es: früh anfangen. „Wir müssen schon unsere Kinder fürs Thema Nachfolge sensibilisieren“, erklärte sie. Den Nachwuchs mitnehmen in die Werkshalle und aufs Betriebsfest, das sind aus ihrer Sicht gute Möglichkeiten, Unternehmertum als Selbstverständlichkeit vorzuleben.

Faktor Familie: Unternehmertum wird weiblicher

Dieser positive Blick aufs Unternehmen sei notwendig, gerade weil es einen „Familienautomatismus“ längst nicht mehr gebe, erklärte Baum. „Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass die nächste Generation übernimmt“, so die Unternehmerin. Laut aktuellem IHK-Nachfolgereport strebt nur knapp die Hälfte der Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten eine familieninterne Nachfolgelösung an. In der IHK-Studie von 2016 waren es noch 71 Prozent.
Damit die interne Lösung in der Familie gelingt, brauche es „Kommunikation und Zusammenhalt“, betonte Heider. Ein sensibles Thema: Erwartungshaltungen müssten geklärt werden, oft schwinge Angst mit. Familienkonflikte schlagen mitunter voll auf die Firma durch. Dafür lägen Vorteile auf der Hand: die langfristige Perspektive durch das Denken in Generationen oder die starke Unternehmenskultur zum Beispiel. „Unternehmerfamilien müssen sich professionalisieren“, folgerte sie. Rollen sollten klar definiert sein: Wann ist man Vater, wann Chef?
Bleibt die Frage, welches Kind übernimmt. „Der älteste Sohn ist nicht mehr automatisch gesetzt“, stellt die Wissenschaftlerin eine allmähliche Änderung in der Haltung vieler Unternehmerfamilien fest. Eine Alternative ist das Tandem mit zwei oder sogar eine Lösung mit mehreren Geschwistern. „Die Aufgaben müssen klar abgegrenzt und die Entscheidungsfähigkeit darf nicht gefährdet werden“, nannte sie die Voraussetzungen. Auch die Töchter rücken stärker in den Blick: „Unternehmertum wird weiblicher“. Und: „Hier liegt ungenutztes Potenzial für erfolgreiche Nachfolgeregelungen“.
So wie es Helmut Schulte gemacht hat. Der Chef von Werner & Co. Gewürze holte 2018 Johanna, seine jüngste Tochter, ins Gelsenkirchener Unternehmen. Sie hatte dort schon als Jugendliche mitgearbeitet. „Dies half mir dabei, dass mich auch die älteren Mitarbeiter direkt respektiert haben.“ Als die Übergabe anstand, vereinbarte sie mit ihrem Vater ein Probejahr. „Dadurch hatte ich die Chance auszusteigen, falls es mir nicht gefallen hätte“. Es gefiel ihr aber sehr gut, weshalb das Unternehmen in der Familie geblieben ist – was auch ihre beiden Geschwister freut.
Für Robert Menke stand „von Kindesbeinen an fest, dass ich den Betrieb übernehme“. Der Betrieb: Das ist die Industrienäherei Schuckenberg in Sassenberg. „Ich bin mit dem Unternehmen aufgewachsen“, berichtete der Industriekaufmann, der außerdem einen Abschluss als Master im Controlling hat. Eine wirtschaftlich schwierige Situation hat er als Jungunternehmer schon gemeistert und mit dem Segment Gartenmöbel ein neues Geschäftsfeld entwickelt.

Externer Nachfolger mit frischem Blick

Sein Vater, Friedbert Menke, steckt als Übergebender nun zum zweiten Mal in einem Nachfolgeprozess. Vor fast 20 Jahren war er der Übernehmende, der allerdings nicht aus der Unternehmerfamilie kam. Er war als erster Teilnehmer des IHK-Nachfolge-Clubs zur Industrienäherei gestoßen. Zuvor hatte er sich Baumärkte, Autohäuser und eine Drahtbinderei angesehen. „Das ist zeitaufwändig. Man braucht etwas Eigenkapital – und auch ein etwas masochistisches Wesen“, schmunzelte er. Oder, wie es Prof. Heider formulierte: „Motivation und Wille entscheiden“. Auf sie komme es stärker an als auf ein BWL-Studium, denn viele Fertigkeiten ließen sich nachträglich erwerben: „Bilanzen lesen kann jeder lernen.“
Ein weiteres Beispiel für eine erfolgreiche externe Übernahme lieferte André Hesseling, Geschäftsführer von Bußkamp & Becker in Südlohn-Oeding. Vorteil dieser Lösung aus seiner Sicht: „Externe gehen mit frischem Blick ins Unternehmen.“ Eine vermeintlich ungünstige Konstellation sieht er als Vorteil: Die frühere Inhaberin ist noch im Unternehmen tätig. Ihre Erfahrung schätzt Hesseling: „Sie arbeitet zu, aber ich entscheide – das funktioniert.“ Auch, weil die Vorgängerin abgeben kann. Die Bereitschaft, loszulassen, ist auch für Friedbert Menke entscheidend: „Ein kleines Unternehmen hat keinen Platz für zwei Alphatiere.“

Beratung sichern, Übergabe nicht allein durchstehen

Das Gute am komplexen Übergabeprozess: Niemand muss ihn allein durchstehen. Alle Unternehmerinnen und Unternehmer, die beim Nachfolgeforum auf dem Podium standen, fanden kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bei der IHK. Baum erinnerte sich an ihre Anfänge als Unternehmerin, die sie als „Sprung ins kalte Wasser“ empfand. Ihr Rat: „Nutzen Sie die Angebote der IHK. Sie bekommen die Informationen und obendrein ein großes Netzwerk.“
Wenn es um Steuer- und Unternehmensberatung, rechtliche Fragen oder einen Kredit geht, empfahl Friedbert Menke, auf einen guten persönlichen Draht zu achten: „Es muss nicht nur fachlich, sondern auch menschlich passen“. Das gilt erst recht, wenn es zu Streit innerhalb der Unternehmerfamilie kommt oder das Unternehmen buchstäblich krank macht: „Holen Sie sich professionelle Hilfe“, empfahl Heider eindringlich. Gerade angesichts der Dynamiken zwischen Eltern, Kindern und Geschwistern gilt ihr Leitsatz: „Kommunikation ist alles!“
Michael Meese
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