„Ich sehe nicht, dass dadurch ein Wald gerettet wird“

Wie die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte zum Risiko für Unternehmen wird.
Anika Tholl schaut auf den Computerbildschirm, scrollt durch Satellitenkarten, sucht Koordinaten. Sie ist Key Account Managerin, Marketingverantwortliche. Und jetzt auch: Beauftragte für die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EUDR) in ihrem Betrieb. Tholl soll dokumentieren, dass für das Kleintierzubehör, dass ihr Arbeitgeber HUGRO aus Saerbeck produziert, kein Wald gerodet wurde. „Ich sehe aber nicht, dass dadurch ein Wald gerettet wird“, sagt sie – und hebt einen kleinen Tunnel hoch, gefertigt aus Mahagoni. Ein Symbol für das Dilemma: harmlos im Regal, schwerwiegend in der Lieferkette.

Die Verordnung, die viel ändert

Anika Tholl
Anika Tholl © HUGRO
Die EUDR ist ein Regelwerk mit klarem Ziel: Sie soll das Klima schützen, ihren Beitrag zur Artenvielfalt leisten. Kein Produkt aus illegal entwaldeten Wäldern soll mehr in die EU gelangen. Doch was gut gemeint ist, wird in der Praxis zur Hürde.
Wer beispielsweise Rohstoffe wie Holz, Kaffee oder Kautschuk erstmalig in der EU bereitstellt, muss Herkunftsnachweise liefern. Mit Koordinaten. Zeitstempeln. Risikoanalysen. „Die Verordnung greift tiefer in die Lieferkette ein, weil sie sicherstellen will, dass entwaldungsfreie Standards schon am Ursprung eingehalten werden und nicht erst am letzten Verarbeitungsschritt“, erklärt Madleen Leufker, Außenwirtschaftsexpertin bei der IHK Nord Westfalen. Betroffen sind unter anderem Unternehmen der Möbel-. Papier- und Lederwarenindustrie. Und wie HUGRO eben auch Produzenten von Käfigeinstreu, Kleintierhäuschen und Rückzugstunnel für Kaninchen, Meerschweinchen und Co.

Der Wald von Saerbeck

Anika Tholl weiß genau, wo das Holz für HUGRO herkommt. Zum Beispiel aus dem Kreis Steinfurt. „Der Händler gibt uns die benötigten Daten nicht weiter. Wozu auch? Der Förster, von dem er das Holz hat, weiß doch, was er tut.“ Sie füllt Fragebögen aus. Stuft das Gebiet als Niedrigrisiko ein. Nutzt Satellitenbilder als Beweis. „Das soll zeigen: Aha, vor zehn Jahren sah es dort genauso aus wie jetzt. Da war keine Entwaldung.“ Das alles kostet Zeit, Nerven und Geld.

Und dann: Asien

Ein Teil des Holzes, aus dem HUGRO-Produkte „geschnitzt“ sind, kommt aus Indonesien. Der Händler vor Ort kauft das Holz auf dem Markt. „Zertifikate oder andere Herkunftsnachweise gibt es nicht. Indonesien sieht nicht ein, warum das Land nun Drohnen über die Felder schicken soll, um Gebiete abzumessen.“
In China ist das anders – dort gibt es Nachweise. Gegen Aufpreis. „Da zahlen wir 15 Prozent mehr, wenn wir Holz mit Zertifikat wollen. Ob der Nachweis echt ist? Keine Ahnung.“
Bürokratiedschungel
© Hartmann/IHK
Auch bei der IHK Nord Westfalen sieht man die Lage kritisch. Leufker sagt: „Das Ziel der EUDR ist sinnvoll – aber vor allem für kleine Unternehmen kaum umsetzbar. Es fehlt nicht an Engagement, sondern an Personal, Zeit und technischer Infrastruktur. Außerdem ist vieles noch unklar, weil es bei einigen Praxisfragen von den Behörden keine eindeutigen Vorgaben gibt.“
Bei HUGRO gibt es 15 Beschäftigte. Neben dem Geschäftsführer Günter Leugers und Anika Tholl arbeiten fünf Personen in der Produktion, drei im Lager. Weitere fünf verteilen sich auf Verkauf, Export, Buchhaltung. „Mein Chef hat die Faxen dicke. Er wollte schon alle Produkte aus Holz aus dem Sortiment nehmen“, erklärt Tholl. „Aber was dann? Dann sind wir irgendwann weg vom Fenster.“

Beratung bei der IHK

Tholl hat sich von der IHK Nord Westfalen beraten lassen. „Der größte Knackpunkt ist die Rückverfolgbarkeit in der Lieferkette“, weiß Leufker. „Importeure oder Erstinverkehrbringer müssen für betroffene Produkte unter anderem die exakten Geodaten der Anbau-, Produktions- oder Einschlagsflächen liefern und über ein Portal eine sogenannte Sorgfaltserklärung erstellen, um die Entwaldungsfreiheit der Produkte nachzuweisen – und das möglicherweise bei jeder Lieferung.“
Darüber hinaus muss zu jeder Sorgfaltserklärung die entsprechende Referenznummer an den nächsten in der Lieferkette weitergegeben werden. Bei Betrieben, die jeden Tag mehrere Sammellieferungen bekommen oder keine getrennte Lagerhaltung haben, wird genau das zur Herausforderung werden. „Daher sieht es in der nachgelagerten Lieferkette, also bei allen Unternehmen nach dem Importeur oder Hersteller, noch schwieriger aus“, so Leufker. „Da droht ein undurchsichtiger Datendschungel, den man nicht mehr bewältigen kann.“

Die Uhr tickt, der Druck steigt

Obwohl die EUDR für kleine Betriebe wie HUGRO erst Ende Juni 2026 gilt, tickt die Uhr. Denn für mittlere und große Unternehmen ist der 30. Dezember 2025 der Stichtag. „Die großen Händler – Hellweg, Globus oder Fressnapf – haben verständlicherweise keine Lust, jetzt erst bei den Großen anzufragen und im halben Jahr bei den Kleinen von vorne zu beginnen. Sie fordern die Nachweise jetzt an. Und wenn sie sie nicht bekommen, verkaufen sie ab Anfang nächsten Jahres unsere Produkte nicht mehr.“
Leufker befürchtet, dass vor allem kleinen und mittleren Betrieben durch die EUDR ein Wettbewerbsnachteil entsteht. „Es braucht Augenmaß und Umsetzungssicherheit. Die Anforderungen müssen so gestaltet sein, dass sie für alle Unternehmensgrößen machbar sind, und nicht dazu führen, dass Unternehmen ihre Lieferketten aufgeben oder ihre Produkte auslisten“, so Leufker. Tholl hält mit ihrem Ärger über die Belastung nicht hinter dem Berg: „Die schaffen es, mit ihren ganzen Regeln die deutsche Wirtschaft kaputt zu machen.“

Das Ziel ist gut, der Weg fraglich

Denn der Ablauf ist komplex: Für die zuerst zu erstellende Sorgfaltserklärung muss Tholl die Geodaten und detaillierten Produktinformationen erfassen und einpflegen. Diese Erklärung wird im EU-Informationssystem hinterlegt. Die dort generierte Referenznummer ist wiederum zwingend für die Ein- und Ausfuhr notwendig – und muss bei jedem Schritt entlang der Lieferkette weitergegeben werden.
Anika Tholl arbeitet sich weiter durch. Doch am Ende glaubt sie nicht, dass all die Mühe hilft. „Keiner außer denen, die dafür bezahlt werden, wird ins System schauen, die Nummer abgleichen und ermitteln, ob das Holz entwaldungsfrei ist.“
Und dann sagt sie ihn noch einmal. Diesen Satz, der bleibt. „Ich sehe nicht, dass dadurch ein Wald gerettet wird.“

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