Kreislaufwirtschaft 1|2024

Der Weg zur zirkulären Wirtschaft

Die Kreislaufwirtschaft bietet große Chancen für mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit, Versorgungssicherheit und Klimaschutz. Unternehmen, die sich in dem Bereich als Innovationsführer in Position bringen, können die Zukunft aktiv mitgestalten. | Text: Melanie Rübartsch
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Produzieren, benutzen, wegwerfen. Das sind die Grundsäulen eines linearen Wirtschaftssystems. Ein System, das nicht nur wegen der endlichen Ressourcen der Rohstoffe mehr und mehr an seine Grenzen gelangt. Aufgrund geopolitischer Veränderungen ist die Rohstoffversorgung bei der Produktion von Wirtschaftsgütern zunehmend angespannt, was sich an hohen und schwankenden Preisen sowie an Lieferengpässen zeigt.  Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels sowie die weltweit wachsenden Müllberge.
Es sind also Lösungen gefragt, die auch die deutsche Wirtschaft unabhängiger von Lieferanten neu gewonnener Rohstoffe machen. Und die dazu führen, im Lebenszyklus der Produkte Ressourcen und Energie zu sparen. „Einen wichtigen Beitrag dazu wird die Kreislaufwirtschaft leisten, beziehungsweise das zirkuläre Wirtschaften“, betont Dr. Eckhard Göske, Leiter der Industrieabteilung der IHK Nord Westfalen.

EU-Green-Deal zur Kreislaufwirtschaft

Die generelle Richtung zur Zirkularität ist durch die EU inzwischen vorgegeben: Im März 2020 wurde der zweite EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft im Rahmen des europäischen Green Deals von der Europäischen Kommission verabschiedet. Er zielt darauf ab, über die bestehende Abfallwirtschaft hinaus schon am Anfang der Produktionskette anzusetzen. Langlebigkeit, Reparierbarkeit und zuletzt auch Recycling von Rohstoffen sollen bereits beim Produktdesign prioritär verfolgt werden. Nicht mehr der Input, sondern der Output, also das Produkt, sollen der Ansatz für eine echte Kreislaufwirtschaft sein.
Bei der zirkulären Wirtschaft bleiben Materialien und Rohstoffe so lange wie möglich in geschlossenen Kreisläufen. Vermeintliche Abfälle werden im besten Fall vollständig wieder nutzbar gemacht – und das in oft über Verfahren, die weniger Energie verbrauchen als die Neuproduktion. „Die Transformation zu einer zirkulären Ökonomie ist aber auch mit enormen Herausforderungen verbunden“, so Göske. So müssten zunächst die Abfälle beziehungsweise Wertstoffe gesammelt, aufbereitet und transportiert werden. Damit dies wirtschaftlich erfolgen kann, müssten je nach Wertstoff entsprechend große Mengen zusammenkommen.

Unternehmen sollen mitgestalten

Auch in Deutschland stehen die Zeichen auf Zirkularität. Im Koalitionsvertrag hat sich die Regierung verpflichtet, eine Kreislaufwirtschaftsstrategie zu entwickeln. Das Bundesumweltministerium führt aktuell einen umfangreichen Beteiligungsprozess zur Entwicklung dieser Strategie auf Basis des Green Deals durch. Ziel ist, die „Circular Material Use Rate“ (CMR), die Wiederverwendung von recyceltem Material, von aktuell 13,4 Prozent deutlich zu erhöhen.
Nur zu 13,4 Prozent wird recyceltes Material bisher wiederverwendet.
Gesetzgeber auf EU- und Bundesebene sind mit Hochdruck dabei, Modelle, Regelungen und Rahmen für eine zirkuläre Wirtschaft zu entwickeln. „Unternehmen sollten jedoch nicht auf die Regulierungen warten, sondern selbst die Chance ergreifen, die zirkuläre Zukunft aktiv mitzugestalten“, rät der Experte. First Mover könnten sich als Innovationsführer und Gestalter in Sachen Forschung, Logistik oder dem Aufbau eigener zirkulärer Geschäftsprozesse etablieren. Verschiedene Unternehmen in Nord Westfalen haben das bereits beispielhaft getan.
Die Vorteile des zirkulären Wirtschaftens für die Industrie sind vielfältig. Unternehmen können ihre Beschaffung besser diversifizieren und ressourcenschonender wirtschaften. Darüber hinaus entwickeln sich nicht zuletzt aufgrund der abzusehenden politischen Vorgaben verstärkt Geschäftsmodelle und Produkte einer Kreislaufwirtschaft.

Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik

Um die Transformation hin zu einer zirkulären Wirtschaft zu meistern, sind jedoch Lösungen und Innovationen in zwei wichtigen Bereichen erforderlich: „Es geht zum einen darum, technische Verfahren zu entwickeln, die eine sortenreine Trennung und Wiedergewinnung der Rohstoffe in einer Form gewährleisten, dass diese so lange wie möglich ohne Qualitätsverlust wieder eingesetzt werden können“, erklärt Göske. Zudem ist die Logistik ein Thema: Auf welche Art und Weise werden die Materialien überhaupt gesammelt und sortiert? „Beides muss am Ende für alle Unternehmen wirtschaftlich darstellbar sein – also vor allem einfach und günstig“, so Göske. Dies werde nur gelingen, wenn Unternehmen einerseits in Forschung und Entwicklung investieren und andererseits zusammenarbeiten. „Die Kreislaufwirtschaft besteht nicht aus Insellösungen“, sagt Lars Baumgürtel, CEO der ZINQ Group und Vizepräsident der IHK Nord Westfalen. „Wirtschaft, Industrie, Politik und Verbraucher müssen in einen ständigen Austausch kommen, Kooperationen suchen und Produkte, Lieferketten und Stoffströme gemeinsam neu denken.“

Wie Kreislaufwirtschaft gefördert werden kann

Die Rolle des Gesetzgebers sieht die IHK Nord Westfalen dabei vor allem als Ermöglicher und weniger als Steuerer. Um die Potenziale des Recyclings und der Verwertung zu erschließen, sind auch neue Regelungen notwendig, heißt es in einem aktuellen IHK-Positionspapier. Dies wurde von den Unternehmern in der IHK-Vollversammlung verabschiedet. Die Vorgaben sollten möglichst bürokratiearm ausgestaltet werden und Innovationen nicht einschränken. Dafür sei etwa denkbar, die vergaberechtlichen Bestimmungen anzupassen, so die Position.
„Öffentliche Auftraggeber könnten verstärkt als Nachfrager zirkulärer Produkte auf dem Markt auftreten und darüber die Entwicklung fördern“, schlägt Göske vor. Ebenfalls sei eine Überprüfung von DIN-Normen erforderlich. Diese dürften einem Einsatz von recycelten Produkten, die die technischen Qualitätsanforderungen ebenso erfüllen wie neue Produkte, nicht im Wege stehen.
Göske

Durchsichtiger Lebenszyklus

„Entscheidend ist zudem eine leistungsfähige Öko-Design-Richtlinie“, fordert Michael Schneider, Sprecher des Recyclingunternehmens Remondis. Aktuell arbeitet die EU an einer Reform der bestehenden Regelungen. Ziel ist unter anderem, Hersteller daran zu hindern, die Produktlebensdauer durch Konstruktionsmerkmale zu begrenzen. Aus Schneiders Sicht geht das jedoch noch nicht weit genug: „Produzenten und Verpackungshersteller müssten dazu verpflichtet werden, von vornherein so zu produzieren und zu konstruieren, dass am Ende des Lebenszyklus von Produkt oder Verpackung die darin enthaltenen Inhaltsstoffe möglichst zu 100 Prozent identifiziert und sauber getrennt werden können.“
Allein eine Erhöhung des Recyclatanteils verbessere außerdem nicht automatisch das zirkuläre Design eines Produktes, ergänzt Lars Baumgürtel. „Insbesondere bei Recyclaten, die aufgrund ihrer Ausgangsstoffe hochbelastet sind, fährt man auch die Verschmutzung dann letztlich im Kreis.“ Für eine wirksame Kreislaufführung müssten Produkte aus Materialien in zirkulärer Qualität hergestellt sein und im Hinblick auf Lebensdauer, Gebrauchsfähigkeit und Wiederverwertung optimiert werden.

Digitaler Produktpass

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist der ebenfalls von der EU geplante digitale Produktpass (DPP). Entstehen soll eine Art digitaler Zwilling des Produkts, der die eingesetzten Materialien und deren Eigenschaften im Hinblick auf Gebrauch und Wiederverwertbarkeit für ein Produkt über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg zusammenfasst. (siehe www.ihk.de/nw/wirtschaftsspiegel; Nr. 5951426 sowie dieses Heft Seite 22) Die Details sind aktuell in der Abstimmung. „Für Unternehmen bietet der DDP die Möglichkeit, das Ökodesign von Produkten zu verbessern und gemeinsam mit Lieferanten Lieferketten effizienter zu gestalten“, ist Baumgürtel überzeugt. Der Gesetzgeber kann bei der Kontrolle umweltrechtlicher Pflichten auf die notwendigen Informationen zugreifen.

Schritt für Schritt zur Transformation

”Wichtig ist, dass sich alle Unternehmen auf den Weg in Richtung zirkuläre Wirtschaft machen”, sagt Göske. Nicht immer würde dabei direkt der große Wurf in Form von bahnbrechenden neuen Produktionsverfahren oder Produktrezepturen gelingen. Aber auch schon kleinere Maßnahmen könnten einen Schritt in die zirkuläre Wirtschaft bringen. Es gehe in einer ersten Analyse darum, die eigenen Möglichkeiten im Unternehmen einzuschätzen, Potenziale zu identifizieren und Lösungen in Angriff nehmen, so Göske. „Möglicher Startpunkt können Zertifizierungen sein, um die sich ein Unternehmen bemüht“, rät der IHK-Experte. Dazu zählen etwa Umweltmanagementsysteme auf Grundlage der ISO 14001 oder des EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) sowie produktbezogene Zertifizierungen wie Cradle-to-Cradle.