Marktüberwachung und Produktsicherheit: Verordnung (EU) 2019/1020

Mit der Verordnung (EU) 2019/1020 über Marktüberwachung und die Konformität von Produkten gelten seit dem 16. Juli 2021 neue Regelungen in Zusammenhang mit verschiedenen Produktvorschriften und insbesondere mehreren CE-Richtlinien. Diese betreffen insbesondere auch den Online-Handel.

Was regelt die Verordnung 2019/1020?

Die Verordnung 2019/1020 legt Neuerungen rund um die Marktüberwachung und Konformität von Produkten fest. Von einer effektiveren und einheitlichen Marktüberwachung sollen europäische Unternehmen in Form fairer Wettbewerbsbedingungen sowie größerer Hürden für das Inverkehrbringen nicht konformer Produkte aus Nicht-EU-Staaten profitieren. Auf zusätzliche umfangreiche Dokumentations- oder Registrierungspflichten wird für die Unternehmen verzichtet, die sich an die Vorschriften halten und in die Entwicklung und das Inverkehrbringen sicherer Produkte investieren. Der bürokratische Aufwand soll damit begrenzt werden. Für Hersteller mit Sitz in der EU sollten sich in der Regel keine größeren Auswirkungen auf das Produktdesign oder dessen Kennzeichnung ergeben. Einführer (Importeure) müssen insbesondere die Pflichten gemäß Artikel 4 beachten.
Die beschriebenen Pflichten für Unternehmen beziehen sich insbesondere auf Produkte, die unter eine oder mehrere der harmonisierten europäischen Regelungen gemäß Anhang I fallen.
Die Verordnung 2019/1020 umfasst insbesondere drei Bereiche:
  • Ergänzende Vorschriften zur Produktsicherheit und -kennzeichnung, die sich in erster Linie an Wirtschaftsakteure wie Hersteller und Einführer (Importeure) richten. Zudem werden sogenannte Fulfillment Dienstleister adressiert, außerdem wird der Begriff des Inverkehrbringens beim Onlinehandel konkretisiert.
  • Umfangreiche Vorschriften zur Marktüberwachung
  • Rechtlicher Rahmen für die Kontrolle von Waren, die in den EU-Binnenmarkt eingeführt werden
Der nicht verbindliche Anwendungsleitfaden zur Verordnung 2019/1020 erläutert die Regelungen. Dort sind auch ein Entscheidungsdiagramm zur Ermittlung des verantwortlichen Wirtschaftsakteurs sowie verschiedene Beispiele und Hinweise zur praktischen Umsetzung der Anforderungen in der jeweiligen Rolle als Wirtschaftsakteur enthalten.

Wer hat welche Pflichten?

  • Artikel 3 definiert die möglichen “Rollen” (zum Beispiel als Wirtschaftsakteur) und “Verantwortlichkeiten” (zum Beispiel Inverkehrbringen eines Produkts). Viele Unternehmen dürften damit als Hersteller oder Einführer agieren und für das Inverkehrbringen verantwortlich sein.
  • Artikel 4 enthält die wichtigsten unmittelbaren Regelungen für Hersteller beziehungsweise Einführer. So muss für Produkte, die unter die in Absatz 5 genannten Vorschriften fallen, ein Wirtschaftsakteur in der EU vorhanden sein, der die im Folgenden definierten Aufgaben übernimmt. Bei diesem Verantwortlichen kann es sich um einen Hersteller mit Sitz in der EU handeln, um einen Einführer (wenn der Hersteller nicht in der EU sitzt), um einen schriftlich mit den im Folgenden beschriebenen Aufgaben (durch den Hersteller) beauftragten Bevollmächtigten oder um einen Fulfillment Dienstleister mit Sitz in der EU, sofern keine der genannten anderen Personen existiert. Durch die Einbeziehung der Fulfillment Dienstleister soll sichergestellt werden, dass keine Konstellationen entstehen können, in denen kein Akteur mit Sitz in der EU existiert, der für die Erfüllung der Pflichten verantwortlich ist.
  • Die Pflichten für die genannte Person (also Hersteller, Einführer, Bevollmächtigter oder Fulfillment Dienstleister) umfassen insbesondere eine Überprüfung, ob für das jeweilige Produkt eine EU-Konformitätserklärung sowie die vorgeschriebenen technischen Unterlagen erstellt wurden. Für den Fall einer Anforderung durch Marktaufsichtsbehörden ist eine Kopie der Konformitätserklärung vorzuhalten. Zudem muss sichergestellt werden, dass die technischen Unterlagen den Marktüberwachungsbehörden auf begründetes Verlangen zur Verfügung gestellt werden können und zwar – unbeschadet der Regelungen der anwendbaren Harmonisierungsrechtsvorschriften – in einer Sprache, die für die Behörde leicht verständlich ist. (Erläuterung im Anwendungsleitfaden: “Die Sprache ist mit der Behörde auszuhandeln. Dabei muss es sich nicht um die Landessprache handeln.”)
Einführer (Importeure) müssen insbesondere die Pflichten gemäß Artikel 4 beachten. In jedem Fall muss ein Ansprechpartner für die Marktüberwachungsbehörden existieren, der
  • seinen Sitz in der EU hat (zum Beispiel Einführer, für die neuen Pflichten schriftlich Bevollmächtigter oder ein Fulfillment Dienstleister),
  • eine Kopie der EU-Konformitätserklärung für den Fall der Anforderung durch Marktüberwachungsbehörden bereithält,
  • prüft (und idealerweise mit dem Hersteller schriftlich abstimmt), dass die gemäß jeweils anwendbarer Richtlinien und Verordnungen erforderlichen technischen Unterlagen erstellt wurden sowie
  • sicherstellt (zum Beispiel durch Vereinbarung mit dem Hersteller), dass die technischen Unterlagen auf Anforderung einer Marktüberwachungsbehörde vorgelegt werden können und diese in einer für die Behörde leicht verständlichen Sprache abgefasst ist. Hierbei sollte auch an Szenarien gedacht werden, in denen ein Zulieferer in einigen Jahren nicht mehr verfügbar sein könnte. Nach Möglichkeit sollten technische Unterlagen daher so umfangreich wie möglich angefordert werden.
Wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass eine Gefahr von einem in Verkehr gebrachten Produkt ausgeht, sind die Marktüberwachungsbehörden hierüber zu informieren. Gegebenenfalls sind geeignete Korrekturmaßnahmen einzuleiten, die der verantwortliche Wirtschaftsakteur selbst einleiten kann. Korrekturmaßnahmen dürfen damit nicht ausschließlich nur von den Marktüberwachungsbehörden festgesetzt werden.

Fernabsatz / Onlinehandel

Laut Artikel 6 der Verordnung gilt ein Produkt als “auf dem Markt bereitgestellt”, wenn es online oder mit anderen Mitteln des Fernabsatzes zum Verkauf angeboten wird und sich das Angebot an Endnutzer in der Union richtet. Dies wird beispielsweise auf Basis der Sprache des Angebots sowie Liefer- und Bezahlmöglichkeiten bewertet. Diese Regelung zielt in erster Linie darauf ab, Online-Angebote nicht konformer Produkte durch Marktüberwachungsbehörden untersagen zu können.
Darüber hinaus ergibt sich daraus ein entscheidender weiterer Punkt, den Hersteller bzw. Einführer (Importeure) beachten müssen: Das “Inverkehrbringen” ist als “erstmalige Bereitstellung” von Produkten definiert. Auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens beziehen sich verschiedene Pflichten beziehungsweise Fristen wie beispielsweise die Verfügbarkeit von Konformitätserklärungen und technischen Unterlagen oder die Aufbewahrungsfrist von mindestens 10 Jahren ab dem Inverkehrbringen (des einzelnen Produkts, nicht der Serie).
Anbieter von Informationsdiensten werden zudem verpflichtet, Risiken durch nicht konforme Produkte zu vermeiden bzw. zu mindern und mit den Marktüberwachungsbehörden zu kooperieren. In der Praxis könnte sich hieraus beispielsweise das Löschen oder Sperren von Angeboten nicht konformer Produkte auf Online-Plattformen oder Websites ergeben.
Online-Händler müssen neben den Vorgaben der Verordnung 2019/1020
  • die für sie in den jeweils anzuwendenden, produktspezifischen Richtlinien (z. B. CE-Richtlinien) definierten Pflichten beachten;
  • Vorhandensein der CE-Kennzeichnung prüfen (sofern gemäß CE-Richtlinien vorgesehen);
  • Vorhandensein weiterer Pflichtkennzeichnungen prüfen (insbesondere Name und Anschrift des Herstellers beziehungsweise Einführers sowie eine Möglichkeit zur Identifizierung des Produkts);
  • Prüfung, ob erforderliche Unterlagen wie insbesondere Betriebsanleitungen und Sicherheitsinformationen beigefügt sind und ob diese in der für den jeweiligen Staat vorgesehenen Sprache abgefasst sind.
  • Gehen von einem Produkt Gefahren aus, müssen Händler dies der Marktaufsicht melden.
Falls (Online-)Händler bei der Prüfung der o.g. Punkte Unstimmigkeiten feststellen, ist in der Regel der Hersteller beziehungsweise der Einführer (Importeur) die erste Anlaufstelle für Rückfragen.

Marktüberwachung

In Artikel 14 sind umfangreiche Rechte der Marktüberwachungsbehörden definiert. Diese reichen von der Anforderung bestimmter Nachweise wie der technischen Unterlagen über unangekündigte Vor-Ort-Kontrollen bis hin zur Veranlassung der Entfernung von Online-Inhalten bezüglich nicht konformer Produkte oder der Aufnahme entsprechender Warnhinweise.
Die Mitgliedsstaaten übertragen ihren Marktüberwachungsbehörden zumindest
  • die Befugnis, von Wirtschaftsakteuren die Vorlage von relevanten Dokumenten, technischen Spezifikationen, Daten oder Informationen über die Konformität und technische Aspekte des Produkts zu verlangen, einschließlich des Zugangs zu eingebetteter Software, sofern die Vorlage für die Bewertung erforderlich ist. Dies gilt für jede Form und jedes Format und unabhängig von Speichermedium oder Speicherort der Dokumente, technischer Spezifikationen, Daten oder Informationen. Die Marktüberwachungsbehörden dürfen Kopien anfertigen;
  • die Befugnis, von Wirtschaftsakteuren die Vorlage relevanter Informationen zur Lieferkette, zu den Details des Vertriebsnetzes, zu den auf dem Markt befindlichen Produktmengen und zu anderen Produktmodellen zu verlangen, die dieselben technischen Merkmale wie das betreffende Produkt aufweisen, sofern diese für die Bewertung von Belang sind;
  • die Befugnis, von Wirtschaftsakteuren Informationen zur Feststellung des Eigentums an Websites zu verlangen;
  • die Befugnis, unangekündigte Inspektionen vor Ort und physische Überprüfungen von Produkten durchzuführen;
  • die Befugnis, alle Räumlichkeiten, Grundstücke oder Beförderungsmittel zu betreten, die der Wirtschaftsakteur für Zwecke im Zusammenhang mit seiner gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit nutzt, um Nichtkonformitäten festzustellen und Beweismittel zu sichern;
  • die Befugnis, die Wirtschaftsakteure zur Ergreifung geeigneter Korrekturmaßnahmen (Berichtigung einer formellen Nichtkonformität, Beseitigung von Sicherheitsrisiken, Anbringen von Warnhinweisen, Übersetzungen in die Sprache des Anwenders) aufzufordern oder wenn der Wirtschaftsakteur keine geeigneten Maßnahmen ergreift bzw. wenn die Nichtkonformität oder das Risiko trotzdem bestehen bleibt, geeignete Korrekturmaßnahmen (z. B. Marktbeschränkungen oder -verbote, Rückrufe, Produktwarnungen, Vernichtung des Produkts) zu ergreifen;
  • die Befugnis, Sanktionen gemäß Artikel 41 (geregelt in den jeweiligen nationalen Vorschriften) zu verhängen,
  • die Befugnis, auch unter falscher Identität Produktproben zu erwerben, sie zu überprüfen und im Wege der Nachkonstruktion (reverse engineering) zu analysieren;
  • sofern es keine anderen Möglichkeiten gibt, ein ernstes Risiko zu beseitigen, die Befugnis,
    • die Entfernung von Inhalten von einer Online-Schnittstelle, in der auf die betreffenden Produkte Bezug genommen wird, zu verlangen oder die ausdrückliche Anzeige eines Warnhinweises für Endnutzer, die auf die Online- Schnittstelle zugreifen, zu verlangen oder
    • sofern eine Aufforderung nach Ziffer i nicht befolgt wurde, Anbieter von Webplattformen anzuweisen, den Zugang zu der Online-Schnittstelle einzuschränken.
Die Marktüberwachungsbehörden können alle Informationen, Dokumente, Erkenntnisse, Aussagen oder jede andere Information unabhängig von ihrem Speicherformat oder -medium als Beweismittel für die Zwecke ihrer Ermittlungen verwenden.
Ob die Marktüberwachungsbehörden von den einschlägigen Wirtschafts­akteuren die Erstattung sämtlicher Kosten ihrer Tätigkeit im Zusammenhang mit Fällen von Nichtkonformität verlangen dürfen, wird über nationales Recht geregelt.
Die zuständigen Marktüberwachungsbehörden können über das “Informations- und Kommunikationssystem für die pan-europäische Marktüberwachung” (ICSMS) ermittelt werden.
Die Verordnung enthält neben der Marktüberwachung auch Regelungen für Kontrollen durch den Zoll. So soll dieser insbesondere die Vollständigkeit erforderlicher Unterlagen, die korrekte Produktkennzeichnung, die Angabe des verantwortlichen Wirtschaftsakteurs oder sonstige Hinweise auf Unstimmigkeiten im Kontext von Produktvorschriften überprüfen. Bei Feststellung von Mängeln erfolgt keine Freigabe für den freien Warenverkehr und der Vorgang wird zur Prüfung an die zuständige Marktüberwachungsbehörde weitergegeben.

Rechte der Wirtschaftsakteure

Die Marktüberwachungsbehörden sind verpflichtet, dem betroffenen Wirtschaftsakteur Maßnahmen, Entscheidungen oder Anordnungen unverzüglich bekannt zu geben sowie die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel und Fristen mitzuteilen.
Bevor die Marktüberwachungsbehörden eine Maßnahme, Entscheidung oder Anordnung ergreifen bzw. erlassen, müssen sie den betroffenen Wirtschaftsakteuren i.d.R. eine angemessene Frist von wenigstens zehn Arbeitstagen geben, um sich zum Sachverhalt zu äußern.
Dabei muss die Entscheidung, ob mit einem Produkt ein ernstes Risiko verbunden ist oder nicht, auf der Grundlage einer angemessenen Risikobewertung (Art der Gefahr und Eintrittswahrscheinlichkeit) getroffen werden. Mit einem Produkt ist dabei nicht automatisch ein ernstes Risiko verbunden, wenn ein höherer Sicherheitsgrad möglich wäre oder weniger gefährliche Produkte am Markt verfügbar sind.

Informationen für Wirtschaftsakteure

Die Europäische Kommission stellt den Wirtschaftsakteuren über das Your Europe Portal und über das Portal Access2Markets Informationen über Produktvorschriften und ihre daraus resultierenden Pflichten zur Verfügung. Unter anderem steht dort eine Datenbank zur Verfügung, mittels derer anhand von Produkt-Codes eine erste unverbindliche Identifikation potenziell anwendbarer Produktvorschriften möglich ist. Zudem können hierüber die nationalen Umsetzungen der EU-Vorschriften ermittelt werden, welche häufig beispielsweise spezifische Regelungen zur Sprache bestimmter Dokumente wie Betriebsanleitungen oder Sicherheitsinformationen enthalten.
(Quellen IHK Bodensee-Oberschwaben, IHK Lippe)