Frauenwirtschaftstage in der Region

„Entscheidungen werden dort gefällt, wo die Kompetenzen liegen“

„#Baby, I’m from New Work“ in Baden-Baden


New Work? Ist das nicht eine Stadt in Amerika? Nicht ganz. Auch wenn Referent Marc Beys von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) in seinem Vortrag „#Baby, I’m from New Work“ gerne mit dieser Assoziation spielt. Oder ist New Work vielleicht der coole Kickertisch, der in einem grün bepflanzten Büro mit reichlich Obst im Obstkorb steht? Nein, auch das ist nicht New Work. Nicht einmal wirklich new ist New Work. Ende der 1970er Jahre hat der Philosoph und Anthropologe Frithjof Bergmann den Begriff geprägt. Auf seine Erkenntnis der Zukunftslosigkeit des Sozialismus und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus folgte ein Gegenmodell, die Bewegung der neuen Arbeit (New Work) in einer Zeit der zunehmenden Automatisierung. Dabei stand der Begriff Freiheit, genauer gesagt, Handlungsfreiheit, im Mittelpunkt. Zentrale Werte waren Selbständigkeit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Echte Freiheit erlebt der Menschen „erst dann, wenn er erkennt, was er in und mit seinem Leben wirklich tun möchte und wenn ihm die Umsetzung seiner Erkenntnis ermöglicht wird.“ 

Die diesjährigen landesweiten Frauenwirtschaftstage waren Bergmanns Begriff gewidmet, der in den vergangenen Jahren eine wahre Renaissance erlebt hat. In Baden-Baden beschäftigte sich Marc Beys virtuell mit dem Thema. Beys teilt New Work in vier Bereiche auf: Neues Verständnis von Arbeit, Sinnhaftigkeit, neues Führungsverständnis und Flexibilität. Es fallen Begriffe wie Selbstorganisation statt Top Down und hierarchisch, Arbeiten in interdisziplinären Teams, Agilität, schnelle Reaktion auf Veränderungen, Mehrwerte für die Nutzenden, Vertrauenskultur, Ergebnisse über Anwesenheit. „Es geht darum, bestehende Ansätze zu verknüpfen und ganzheitlich zu denken. Nur weil ein schöner Kickertisch im Büro steht, ist das noch lange kein New Work.“ 
Ganz zentral ist dabei der Wunsch danach, mit der eigenen Arbeit sinnstiftend zu wirken. Flexibel sollte sie außerdem gestaltet sein, zeitlich und räumlich. „Die Führungskraft nimmt eine neue Rolle ein als Visionärin oder Visionär, als Ermöglicherin oder Ermöglicher. Entscheidungen werden dezentral gefällt.“, so der Experte. „Die Führungskraft ist ein Coach, der für die Kompetenzentwicklung zuständig ist.“ Beys fasst die neue Arbeitswelt in einem Satz zusammen: „Nicht in Grenzen denken, sondern in Möglichkeiten.“ 
Zur Veranstaltung eingeladen hatten die Gleichstellungsbeauftragten der Städte Baden-Baden, Rastatt, Gaggenau und des Landkreises Rastatt so-wie die Arbeitsagentur Karlsruhe-Rastatt, die IHK Karlsruhe, die HWK Karlsruhe, die VHS Baden-Baden und Landkreis Rastatt, die Gründerzentren Rastatt sowie die Jobcenter Baden-Baden und Rastatt. 

Frauenwirtschaftstage Bruchsal blicken auf die Zukunft der Arbeit


Auch bei den Bruchsaler Frauenwirtschaftstagen im Hubwerk01 stand der Name Frithjof Bergmann im Raum. Caroline Hess, Coach, Personalentwicklerin und Organisationsbegleiterin, zitierte den New Work-Pionier: „Der Mensch dient nicht der Arbeit, sondern die Arbeit dem Menschen“. In ihrem Kurzvortrag zur „Zukunft der Arbeit“ sah sie in New Work nicht in erster Linie ein „Wohlfühlen“, sondern den Wunsch nach Veränderung, ganz nach dem Motto: „Wer loslässt hat beide Hände frei.“ Caroline Hess vergleicht die Arbeit der Zukunft mit dem Navigieren eines Segelschiffes: „Das geht nur spontan, aus der Situation heraus. Man muss direkt auf die aktuelle Windsituation reagieren.“.
Der Weg führe von der Exploitation zur Exploration. Von dem hierarchischen traditionellen Modell hin zu hierarchiearmen, kreativen und interdisziplinär agierenden Organisationen. 
Ihrer Ansicht nach ist keine radikale Umstellung notwendig. „Man kann nach einer Standortbestimmung das Unternehmen Stück für Stück verändern.“ Kreativität und Kompetenzen stehen für sie im Mittelpunkt einer hierarchiearmen Unternehmenskultur. „Kreativität darf allerdings nicht ausgebremst werden durch demotivierende Top Down-Entscheidungen. Entscheidungen sollten dort getroffen werden, wo die größte Kompetenz vorhanden ist“, betont Caroline Hess.
Einen anderen Aspekt der Arbeitswelt brachte Anastasia Timme von der IAS Prevent GmbH ein. In ihrem Vortrag ging es um die mentale Gesundheit. „Frauen sind keine kleineren Männer. Sie haben ganz andere Bedürfnisse, eine andere Form der Stressbewältigung und sind weitaus häufiger psychisch krank als die Männer.“ Ein Grund dafür: Sie werden sowohl privat als auch im beruflichen Umfeld überhäuft mit Care-Aufgaben. „Die Frauen müssen lernen, auch einmal liebevoll nein zu sagen. Sie müssen sich von ihrem Perfektionismus lösen und mehr Wert auf ausreichende Selfcare legen.“ 
Für den dritten Kurzvortrag hatte Eva-Marie Böker, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bruchsal, Lucie Prinz, Chief People Officer der Bruchsaler Volocopter GmbH, eingeladen. Die gebürtige Nordirin und Mutter von drei Kindern hat Belfast vor elf Jahren verlassen, weil sie raus wollte aus den politischen Zwängen ihrer Heimat. Für sie war selbstverständlich, dass Frauen arbeiten. Also hat sich die junge Mutter auf die Suche nach einer Arbeitsstelle begeben, in der die Firmensprache Englisch ist. Schnell wurde sie fündig und das auch noch direkt vor ihrer Haustür: Volocopter, ein Start-up, das seit seiner Gründung vor zehn Jahren rasant gewachsen ist und im kommenden Jahr Flugtaxis nach Paris liefern wird. „Als ich dort vor fünf Jahren angefangen habe, war ich die erste ausländische Mitarbeiterin, die zweite Mutter und die erste Person in Teilzeit. Das hat sich inzwischen komplett geändert. Wir arbeiten sehr flexibel, sind kulturell divers mit 60 Nationalitäten, haben ein Buddy-System für neue Mitarbeitende, das hilft, im Alltag zurecht zu kommen, ein Online-Onboarding und ein Employer Assistanc-Programme. „Ich finde besonders wichtig, dass wir auch auf der Arbeit Menschen bleiben, dass wir von unserem Privatleben erzählen und offen mit unseren Kolleginnen und Kollegen kommunizieren“, betont Lucie Prinz. 
Organsiert wurde die Veranstaltung vom Arbeitskreis „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ im Bruchsaler Bündnis für Familie, dem auch die IHK angehört und von der Wirtschaftsförderung von Stadt und Landkreis.


Arbeit neu gedacht bei den Frauenwirtschaftstagen Karlsruhe


Mit der (angeblichen) Glücksformel „Arbeit, Erfolg, Geld, Glück“ beginnt Optimierungsexpertin Linda Theurer ihren Vortrag bei den Frauenwirtschaftstagen Karlsruhe. „Wir alle werden schon in der Schule entsprechend geprägt. Aber wenn wir am Montag Morgen zur Arbeit kommen, sind wir nicht unbedingt glücklich.“ Sie wirft den Gedanken auf, was wohl passiert, wenn wir direkt beim Glück in die Formel einsteigen würden und stellt sich und den Gästen in der Agentur für Arbeit die Fragen: „Was braucht es denn, um glücklich zu sein? Was möchte ich eigentlich? Was hat mich erfüllt am Ende des Lebens?“ Hier ist man schnell beim viel zitierten Begriff „New Work“ angelangt. Für Linda Theurer geht es bei der neuen Arbeit darum, die Mitarbeitenden abzuholen, sie Verantwortung übernehmen zu lassen. Es geht um Liebe und Empathie, um Offenheit, Vertrauen und Wertschätzung. Für die Expertin gehört New Work ganz besonders in weibliche Hände, denn die benötigten Eigenschaften bringen vor allem sie in die Arbeit ein. 
Da Veränderungen von Außen oft auf Unmut stoßen, empfiehlt Linda Theurer, die Betroffenen miteinzubeziehen. „Man muss beim Menschen anfangen bei strukturellen Veränderungen“, erklärt sie. „Entscheidungen sollten im übrigen nicht drei Stufen über den eigentlichen Kompetenzen gefällt werden. Chefs, in der Mehrzahl weiße alte Männer, dürfen nicht der Flaschenhals sein. Man muss von der Kundin oder vom Kunden her denken. Ihre Kontaktpersonen und Gesprächspartner sollten auch die Entscheidungsbefugnis haben.“

Nach dem Vortrag von Linda Theurer hatten die Veranstaltenden, die Agentur für Arbeit, die IHK, die Handwerkskammer, Stadt und Landkreis Karlsruhe sowie die Jobcenter Stadt und Land, an vier Thementische geladen, wo beispielsweise Marcus Fränkle vom Hotel der Blaue Reiter eine Lanze für die Vier-Tage-Woche brach. Außerdem gab es Tipps für den Einstieg in die neue Arbeitswelt, Infos über flexible Arbeitsorte und flexible Betreuungsansätze am Beispiel des Landratsamts.  

Fazit: Um New Work zu finden, müssen wir nicht den Atlantik überqueren, sondern idealerweise nur unsere Bürotür öffnen.