Südhessen baut Zukunft

Um als Wirtschaftsstandort attraktiv zu bleiben, benötigt Südhessen eine intakte Verkehrsinfrastruktur. Der regionalen Rohstoffsicherung kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Doch werden ihr etliche Steine in den Weg gelegt, wie drei Beispiele aus dem IHK-Bezirk zeigen.
Text: Stephan Köhnlein
Schotter, Sand, Splitt, Kies oder Granit – jeder Mensch in Deutschland benötigt nach Schätzungen des Bundes verbands Mineralische Rohstoffe (MIRO) umgerechnet etwa ein Kilogramm Steine pro Stunde. Mineralische Gesteinsrohstoffe werden nicht nur beim Haus-, Straßen- und Gleisbau eingesetzt, sondern sind auch in Glas und Porzellan enthalten – und sogar in Zahnpasta. Der Bedarf ist also enorm. Ihn zu decken ist eine große Herausforderung für die regionale Bauwirtschaft.
Die Krieger-Gruppe hat ihren Sitz in Neckarsteinach. Die Wurzeln des im Jahr 1891 gegründeten Familienunternehmens liegen in der Binnenschifffahrt. Heute basiert das Geschäft auf den drei Säulen Rohstoffgewinnung, Logistik und Verarbeitung, wie Geschäftsführer Michael Krieger erklärt. Er leitet das Unternehmen zusammen mit Lorenz Krieger in der vierten Generation.
Michael Krieger unterstreicht den immensen Bedarf an Rohstoffen und verweist unter anderem auf den massiven Bau- und Sanierungsstau, den es in der Infrastruktur und auf dem Wohnungsmarkt gibt. Die Region Südhessen sei eigentlich reich an Materialien, vor allem Kies und Sand, aber auch Muschelkalk, Buntsandstein, Quarzporphyr oder Ton. Doch der Zugang zu den Rohstoffen gestalte sich schwierig. „Leider haben wir direkt in der Region keine Gewinnungsstätte“, sagt Krieger.

Genehmigungs- statt Rohstoffknappheit

Die Standorte der Krieger-Gruppe befinden sich zwischen Mannheim und Stuttgart. Der größte Teil des Sandes und des Kieses kommt dabei vom Oberrhein. Beides sind für das Baugewerbe unverzichtbare Rohstoffe. Insgesamt ist die Gewinnung eine sehr regionale Industrie. „Statistisch gesehen wird das Material in einem Umkreis von rund 40 Kilometern um das Kieswerk herum transportiert“, sagt Michael Krieger.
Jeder braucht Rohstoffe, jeder nutzt sie. Aber keiner möchte die Gewinnung vor der eigenen Haustür haben.

Michael Krieger, Geschäftsführer der Krieger-Gruppe

Das Problem bei der Erschließung neuer Gewinnungsstätten liegt für den Unternehmer vor allem in den oft schier endlosen Verfahren: „Zeiträume von zehn bis 15 Jahren, um eine Genehmigung zu erhalten, sind keine Seltenheit.“ Und dann seien die Genehmigungen oft nur für zehn oder 15 Jahre ausgestellt. Gleichzeitig gelte das St.-Florians-Prinzip: „Jeder braucht Rohstoffe, jeder nutzt sie. Aber keiner möchte die Gewinnung vor der eigenen Haustür haben.“ Der Unternehmer fordert von der Politik mehr Effizienz: „Wir brauchen verschlankte Verfahren, auch mit Blick auf mögliche Klagewege. Und wir brauchen Planungssicherheit.“ Eine Rohstoffknappheit sieht er nicht. „Wir haben vielmehr eine Genehmigungsknappheit.“

Wo die Binnenschifffahrt punktet

Um Widerstände in der Bevölkerung abzubauen, setzt das Unternehmen auf Dialog und Transparenz: „Wir bieten Führungen an, Tage der offenen Tür, gerade Schulklassen haben wir oft bei uns in den Betrieben“, sagt Michael Krieger. Auch die Umwelt spiele eine Rolle: „Gewinnungsstätten wie Baggerseen sind enorm wichtig. Manche Tiere auf der Rote Liste der gefährdeten Arten würde es gar nicht mehr geben, wenn wir diese Flächen nicht hätten.“ Dafür habe man sogar einen Diplom-Biologen eingestellt, der in Kooperation mit dem NABU Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität entwickelt.
Ein besonderes Merkmal der Krieger-Gruppe ist die Binnenschifffahrt. Damit könne man schwere Materialien wie Sand, Kies oder Steine in großen Mengen über weite Distanzen vergleichsweise umweltfreundlich transportieren, sagt der Geschäftsführer. Und anders als Straße oder Schiene hätten die Wasserstraßen noch Kapazitäten.
In der Baubranche werde bereits intensiv recycelt – das betreffe bis zu 90 Prozent der wiederverwertbaren Materialien. Allerdings könnten damit aktuell gerade einmal zehn Prozent des Rohstoffbedarfs gedeckt werden und selbst bei maximaler Ausschöpfung liege das Potenzial nur wenig höher. Denn viele recycelte Rohstoffe könnten nur als Füllmaterial verwendet werden. Deswegen führe kein Weg an Primärrohstoffen vorbei, sagt Michael Krieger.

Geschlossene Kreisläufe auf der Baustelle

Die in Trebur ansässige Unternehmensgruppe 360 Materials hat in den vergangenen Jahren einen tiefgreifenden Wandel vollzogen. Ursprünglich ein klassischer Baustoffhandel, versteht sich das Unternehmen heute als Recycler von Wertstoffen und damit als ein wichtiger Akteur in der Kreislaufwirtschaft, wie Geschäftsführer Marius Horbank sagt. Er begann vor 15 Jahren zu Studienbeginn in dem Unternehmen, hat die Transformation des Unternehmens vollständig erlebt.
Wie in einem riesengroßen Sandkasten: Auf dem Betriebsgelände von 360 Materials in Rüsselsheim werden Wertstoffe recycelt. © 360 Materials
Das Geschäftsmodell verbindet heute die Lieferung von Baustoffen mit Recycling und Entsorgung: „Wir haben schnell gemerkt, dass unser Job über die Lieferung von Baustoffen hinausgeht; denn die Baustelle fängt viel früher an, nämlich mit Abriss, Erdbau und Entsorgung.“ So wird Abbruchmaterial aufbereitet und als Kabelsand, Pflanzboden oder Tragschicht wieder zurück an Baustellen geliefert. Damit gelingt es, geschlossene Materialkreisläufe praktisch umzusetzen.
Ein Schwerpunkt liegt auf mineralischen Rohstoffen. Marius Horbank erläutert: „Wir bekommen von einem Kunden ein Abbruchmaterial und liefern dann dem Garten- und Landschaftsbauer den Schotter oder den Splitt aus genau diesem Abbruch.“ Besonders eindrücklich seien Baustellen, auf denen derselbe Stoffstrom vom Abbruch bis zur Wiederverwendung vollständig intern zirkuliert.
Es gilt nach wie vor als nicht besonders sexy für Gemeinden, Recyclinganlangen zu haben.

Marius Horbank, Geschäftsführer bei 360 Materials

Trotz der vielen Fortschritte in den vergangenen Jahren sieht der Geschäftsführer weiterhin große Herausforderungen. So gehe es darum, die Entsorgung in einer Deponie zu vermeiden, was nach wie vor der einfachere Weg sei. Bei der Suche nach geeigneten Flächen für Recyclinganlagen und der Genehmigung stößt auch er immer wieder auf Widerstand. „Es gilt nach wie vor als nicht besonders sexy für Gemeinden, Recyclinganlagen zu haben“, sagt Marius Horbank.
Und schließlich könnte die Akzeptanz von recyceltem Material noch deutlich steigen. „Die Vorbehalte gegenüber Sekundärrohstoffen sind nach wie vor sehr groß“, sagt er. Das betreffe Städte, Kommunen, aber auch die Autobahn AG oder die Deutsche Bahn. Besonders schwierig sei es, Überzeugungsarbeit zu leisten, damit Recyclingmaterialien bei Ausschreibungen überhaupt berücksichtigt werden.

Junges Geschäftsfeld Betonrezyklate

Die Diskussion um Ressourcenknappheit unterstreicht für Marius Horbank die Bedeutung des Recyclings: „Wir wissen alle, dass die Verfügbarkeit dieser Primärrohstoffe nicht besser wird. Deswegen müssen wir uns intensiv mit dem Thema Sekundärrohstoffe beschäftigen.“ Während der Corona-Zeit habe sich gezeigt, dass selbst Grundrohstoffe wie Sand und Kies zeitweise knapp wurden, auch weil die private Nachfrage nach Rohstoffen stark stieg.
Der Geschäftsführer von 360 Materials sieht im Recycling enormes Marktpotenzial. Das zeige das Wachstum der vergangenen zwei Jahre. Besonders häufig verarbeitet das Unternehmen Oberböden für Garten- und Landschaftsbauer, sandige Böden für Kabelsand, Abbruchmaterialien für Frostschutz- und Tragschichten und als relativ junges Geschäftsfeld Betonrezyklate. Wirkliche Grenzen beim Recycling sieht er nicht. „Es gibt immer irgendwie eine Lösung. Bis jetzt haben wir für die Produkte, auf die wir uns konzentrieren, sehr gute Möglichkeiten.“
Deutschland habe im Vergleich zu anderen Staaten wie den Niederlanden noch Aufholbedarf. „Wir sind schon spät dran“, sagt Marius Horbank. Die Politik spiele dabei eine Schlüsselrolle: „Das Ganze muss von oben gelebt werden. Da muss noch viel passieren.“ Dennoch ist er optimistisch, dass die Branche bald schneller wachsen wird: „Die, die von Anfang an dabei waren, werden von der Entwicklung profitieren.“

Das Kreuz mit den Brücken

Wie wichtig und verletzlich die Infrastruktur ist, hat sich zuletzt am Beispiel der Zeller Brücke gezeigt. Durch die plötzliche Sperrung der maroden Talbrücke Ende April und ihre Sprengung Ende Juli wurde ein großer Teil des Odenwaldkreises abgehängt – mit erheblichen Folgen für Unternehmen und Pendler. So weit hätte es unter Umständen bei regelmäßiger Instandhaltung und Sanierung nicht kommen müssen, sagt Bernhard Schröckenschlager. Nachdem er mehrere Jahre im Büro eines mittelständischen Gerüstbauers gearbeitet hatte, wurde er Geschäftsführer von BS Mietservice in Lampertheim. Das 2002 als Weiland Hebetechnik gegründete Unternehmen hat ein umfangreiches Angebot an Arbeitsbühnen, Hebetechnik und Baumaschinen. Aktuell bemüht sich Bernhard Schröckenschlager um die Zulassung eines neuen mobilen Gerüstsystems zur Instandhaltung und Sanierung von Brückenbauwerken.
Bei der Brückensanierung wird oft so lange gewartet, bis nichts mehr geht und ein Abriss unausweichlich ist.

Bernhard Schröckenschlager, Geschäftsführer von BS Mietservice

„Bei der Brückensanierung wird oft so lange gewartet, bis nichts mehr geht und ein Abriss unausweichlich ist“, sagt er. „Dabei sind die regelmäßige Wartung und ein rechtzeitiges Sanieren wesentlich sinnvoller. Das kostet viel weniger als ein Neubau, behindert den Verkehr nicht und ist deutlich besser für die CO2-Bilanz.“
Auf einer Fachmesse der Baumaschinenbranche ist er im Jahr 2022 auf das System Flydeck des italienischen Herstellers Pilosio aufmerksam geworden. Der Clou dabei: Das Gerüst arbeitet mit einem Vorschubsystem aus Aluminium. Es ermöglicht einen abstützfreien Vorbau, weil es von unten an die Brücke gehängt wird. So können Arbeiten schnell und effizient ausgeführt werden, ohne ein aufwendiges Einrüsten von unten oder erhebliche Fahrbahneinschränkungen.

Ein langwieriges Genehmigungsverfahren

Laut Hersteller bringt das neue System bis zu 50 Prozent Zeitersparnis gegenüber herkömmlichen Gerüstsystemen durch den geringeren Materialbedarf und das einfache Handling. Mehr als 300 Projekte gibt es demnach mit Flydeck bereits, unter anderem in Italien, England und Saudi-Arabien. Schon auf der Messe Bauma nahm Bernhard Schröckenschlager Kontakt mit den Italienern auf. Schließlich verständigte man sich auf eine Kooperation.
Ein großer Vorteil von Flydeck-Systemen ist, dass während der Sanierungsarbeiten an Brücken keine Fahrspuren gesperrt werden müssen. © Flydeck-Systeme
Das System nach Deutschland zu bringen, gestaltet sich allerdings schwierig. „Das deutsche Baurecht ist strenger als das europäische. Wir brauchen eine allgemeine Bauabnahme. Das ist ein langwieriges Verfahren.“ Je nach Art und Anzahl der einzelnen verwendeten Gerüstbauteile und deren Anwendung im Aufbau kann die Zulassung beim Deutschen Bauinstitut in Berlin zwischen mehreren Monaten und Jahren dauern. Weil man nur den Einsatz unter der Brücke genehmigen lassen wolle, hofft der Geschäftsführer auf einen positiven Bescheid bis Jahresende. Dabei gäbe es genügend Einsatzgebiete. „Es geht vor allem um große und hohe Brücken – auch über Wasser“, sagt Bernhard Schröckenschlager.
Regionale Rohstoffe sichern: Die Vollversammlung der IHK Darmstadt hat ein Positionspapier zur regionalen Rohstoffsicherung verabschiedet, das von der Metropolregion Rhein-Neckar getragen wird.

Die zuverlässige und sichere Versorgung mit Rohstoffen ist eine Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Stabilität und Wachstum. Globale Krisen wie die Corona-Pandemie und geopolitische Konflikte haben die Fragilität internationaler Lieferketten deutlich gemacht. Rohstoffe aus der Region bieten eine nachhaltige Lösung: Sie reduzieren Abhängigkeiten, stärken lokale Wertschöpfungsketten und minimieren Umweltbelastungen durch kurze Transportwege.

Im Kontext des Europäischen Grünen Deals, des Net-Zero Industry Acts und der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie gewinnt die regionale Rohstoffversorgung zusätzlich an Bedeutung. Der Europäische Grüne Deal strebt an, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen und die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber 1990 zu senken. Um diese Ziele zu erreichen, ist eine resiliente und nachhaltige Rohstoffversorgung nötig – durch weniger Importabhängigkeit und eine gezielte Stärkung heimischer Ressourcengewinnung.

Die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie der Bundesregierung zielt darauf ab, den Ressourcenverbrauch zu verringern und die Ressourceneffizienz zu steigern. Eine regionale Rohstoffversorgung unterstützt diese Ziele, indem sie die Nutzung von Sekundärrohstoffen fördert und die Kreislaufwirtschaft stärkt. Dies trägt nicht nur zum Umweltschutz bei, sondern sichert auch die Versorgung der Industrie mit notwendigen Materialien.

Unsere zentralen Forderungen

Flächen für Rohstoffabbau langfristig sichern
Genehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen
Recycling-Baustoffe fördern
Kreislaufwirtschaft voranbringen
Akzeptanz für Rohstoffabbau stärken
Partnerschaften zwischen Naturschutz und Rohstoffwirtschaft ausbauen
Zukunftstechnologien und Quellen strategischer Rohstoffe nutzen

Weitere Informationen: Das komplette Positionspapier inklusive detaillierte Erklärungen zu den einzelnen Forderungen.
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 5/2025. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die Wirtschaftsdialoge” können Sie auch online als PDF-Datei herunterladen.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit