Außenhandel in stürmischen Zeiten

Die US-Zollpolitik, Handelsbeschränkungen im Zuge des Krieges in der Ukraine oder die aggressive Konkurrenz durch Billig- Produkte aus China – südhessische Unternehmen stehen im internationalen Handel unter Druck. Doch mit neuen Produkten und Strategien können sie punkten.
Text: Stephan Köhnlein
Kaum im Amt, hat der US-amerikanische Präsident Donald Trump ein wahres Zollgewitter losgelassen, dessen Einschläge rund um den Globus zu vernehmen waren und das die weltweiten Lieferketten durcheinanderbringt. Innerhalb weniger Tage wurden neue Zölle angekündigt, alte auf Eis gelegt oder Ausnahmeregelungen getroffen. Niemand konnte vorhersehen, welcher Schlag als Nächstes folgt. Es herrscht noch immer eine große Verunsicherung bei den Marktteilnehmern.
Für die Weltwirtschaft, aber auch für die US-Konjunktur, ist ein solches Klima reines Gift, urteilte in einer Analyse Roland Rohde, Washington-Korrespondent von Germany Trade and Invest (GTAI), einer Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing. Der Internationale Währungsfonds (IWF) korrigierte seine Wachstumsaussichten für Deutschland nach unten – auf 0,0 Prozent. Trumps Zollpolitik zwinge die Analysten dazu, bisherige Prognosen über Bord zu werfen, räumte der IWF ein.

Der Wettbewerbsdruck steigt auch hierzulande

Die Auswirkungen sind auch in Südhessen zu spüren, wo die Außenhandelsverflechtung sehr hoch ist. Von 100 Euro Umsatz erzielt die südhessische Industrie 63 Euro im Ausland. Zum Vergleich: In Hessen sind es nur 54 Euro, bundesweit 52 Euro. Die USA sind für die hessischen Exporteure Zielland Nummer eins – 11,7 Prozent aller hessischen Exporte mit einem Wert von 9,3 Milliarden Euro gingen 2024 in die Vereinigten Staaten. Mit einem Volumen von 4,2 Milliarden Euro nehmen chemische und pharmazeutische Produkte den Spitzenwert ein, auch die Ausfuhr von Maschinen landete mit 1,0 Milliarden Euro auf den vorderen Plätzen.
Ob die USA wieder zu einem verlässlichen Handelspartner werden, steht sprichwörtlich in den Sternen. Trumps wechselhafte Handelspolitik bietet Chancen und Risiken für Deutschland. So dürfte China, ein wichtiger Anbieter von Kapitalgütern wie Maschinen, durch die hohen Zölle für die USA künftig teilweise wegfallen. Deutsche Firmen könnten die sich auftuende Lücke schließen, sagte GTAI-Experte Roland Rohde. Außerdem eröffneten die chinesischen Gegenzölle auf US-Importe zugleich neue Absatzchancen im Reich der Mitte. Allerdings dürften chinesische Unternehmen ihre Exportanstrengungen Richtung EU verstärken, um die Waren abzusetzen, die sie auf dem amerikanischen Markt nicht verkaufen können. Dadurch steigt auch hierzulande der Wettbewerbsdruck. Hinzu kommt eine große Portion Ungewissheit: Die vielen indirekten Folgen von Trumps Handelspolitik lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt nur erahnen, fasste Rohde zusammen.

Produktfoto: Pinsel steckt in einem Plastikverschluss
Der Pinselverschluss ist eines der wenigen Produkte, die Reindel noch nach Russland liefern darf. © Inter Actio
Bereits seit gut drei Jahren stellen die Folgen des russischen Angriffskriegs Unternehmen vor große Herausforderungen. Das erlebt Max Reindel, Geschäftsführer der Inter Actio Engineering and Foreign Trade aus Darmstadt, am eigenen Leib. Seit Anfang der 90er Jahre pflegte er enge Geschäftsbeziehungen nach Russland. Bei seiner Tätigkeit für das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt hatte der studierte Elektrotechniker damals einen russischen Gastwissenschaftler kennengelernt. Das war die Zeit von Glasnost und Perestrojka. Und da wollten wir mit Handel eine Brücke zwischen Deutschland und Russland bauen, erinnert er sich.
Die ehemalige Sowjetunion habe in dieser Zeit einen riesigen Nachholbedarf beim Thema Verpackungstechnik gehabt – eine Lücke, in die Max Reindel und sein Kompagnon stießen. Wir haben unter anderem dem größten Kronenkorkenhersteller auf die Beine geholfen, indem wir in Ostdeutschland eine gebrauchte Anlage eingekauft haben, die dort bei minus zehn Grad lauffähig präsentiert wurde, erzählt er. Später habe man die bedruckten Bleche geliefert, aus denen die Korken gestanzt wurden. Und schließlich habe man sich auf Anlagen für die Produktion von Fässern und Verschlüssen fokussiert.
Praktisch alles, was aus Metall ist, durfte ich nicht mehr liefern. Damit fielen 60 bis 70 Prozent unseres Umsatzes weg.

Max Reindel, Geschäftsführer der Inter Actio Engineering and Foreign Trade

Auch wenn russische Unternehmen zunehmend in der Lage gewesen seien, sich Maschinen und Materialien selbst auf dem Weltmarkt zu besorgen, seien die Geschäftsbeziehungen dorthin über Jahre gut und stabil gewesen. Erst die Sanktionen ab Anfang 2022 sorgten für eine Zäsur. Wir waren davon sehr schnell und sehr massiv betroffen, sagt Max Reindel. Praktisch alles, was aus Metall ist, durfte ich nicht mehr liefern. Damit fielen 60 bis 70 Prozent unseres Umsatzes weg.

Neuausrichtung der Geschäfte

Max Reindel musste sein Geschäft neu ausrichten. In Europa hat er Kunden, auch in China und Südafrika, sogar in Peru konnte er mit seiner langjährigen Expertise neue Geschäftsbeziehungen aufbauen. Mit dem Wissen von heute würde er sich möglicherweise nicht mehr so stark auf Russland fokussieren. Anderseits seien die engen Beziehungen lange auch von der Bundesregierung angeschoben worden. »Es wurden Pipelines gebaut, es gab Wirtschaftskooperationen, und auch wir wurden mehrfach gefördert, um auf Messen in Russland auszustellen«, sagt er. Doch als dann die Sanktionen gekommen seien, habe man die Unternehmen – anders als bei den Corona Hilfspaketen – weitgehend im Regen stehen lassen.
In die Zukunft blickt der 65-Jährige mit gemischten Gefühlen. Aber unterkriegen lassen will er sich nicht. Hoffnung gibt da auch ein ehemaliger Geschäftskontakt aus der Ukraine, der in führender Position für einen großen Metallverpackungshersteller des Landes gearbeitet hatte. Das Unternehmen fiel kurz nach der Invasion in russische Hände, der Mann floh in die Westukraine, wo er nun versucht, ein neues Unternehmen aufzubauen. Der dengelt praktisch auf seinen Knien Fässer. Und wir unterstützen ihn dabei – auch in der Hoffnung, dass das morgen wieder ein Kunde für uns wird.

Wie China einem Hidden Champion zusetzte

Mit der Billig-Konkurrenz aus China sieht sich dagegen die Firma Georg + Otto Friedrich aus Groß- Zimmern konfrontiert. Das Familienunternehmen, das seit 75 Jahren besteht und drei Produktionsstätten mit rund 190 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Deutschland betreibt, ist auf Wirkwaren spezialisiert. Dabei handelt es sich um eine Art der textilen Flächenherstellung. Der heutige Geschäftsführer Lothar Vorbeck ist seit 1995 im Unternehmen. Als ich hier angefangen habe, machte Bekleidung 80 Prozent unseres Geschäfts aus. Zehn Jahre später waren es noch fünf Prozent, sagt er.
Wir hatten damals mit als Erste erkannt, welche Möglichkeiten darin liegen, wenn man Wirkwaren digital für Werbeanwendungen druckt, erklärt er. Die Produkte von Friedrich findet man im Messebau, bei der Werbung in Leuchtkästen, aber auch bei Fahnen für Großevents wie die Olympischen Spiele oder die Fußball-Weltmeisterschaften. Das macht inzwischen bis zu 70 Prozent des Geschäfts aus. Wir haben die Ware weltweit verkauft. Wenn es Angebote aus China im europäischen Markt gab, dann stand da immer drauf: Fast so gut wie von der Firma Friedrich.
Das Unternehmen galt lange als Hidden Champion, etablierte sich immer wieder in Marktnischen. Doch jedes Mal, wenn die Nische zu groß wurde, musste man umsteuern. Der Geschäftsführer illustriert das an einem Beispiel: Mitte der 90er Jahre haben wir riesige Mengen an Warnwestenstoffen verkauft. Dann hat die EU die Warnwesten für alle Pkw verbindlich vorgeschrieben und wir haben gedacht: Wie sollen wir das alles nur produzieren? Doch mit dem Tag der verbindlichen Vorschrift war es vorbei. Denn ab da kamen die Warnwesten aus China.

Deutschland lebt von Flexibilität und Innovation. Wir werden uns schneller verändern müssen als früher.

Lothar Vorbeck, Geschäftsführer bei Georg + Otto Friedrich.

Was Lothar Vorbeck bis heute ärgert, seien die häufig durchlässigen Tests der Ware aus China. Diese hätten zwar das CE-Zeichen getragen, das darauf hinweist, dass ein Produkt vom Hersteller geprüft wurde und alle EU-weiten Anforderungen an Sicherheit, Gesundheitsschutz und Umweltschutz erfüllt. Aber wir haben die Warnwesten testen lassen. Und sie haben die Tests nicht bestanden, sagt er. Bei den verantwortlichen Stellen sei man damit jedoch auf taube Ohren gestoßen. Niemand wollte das wissen.
Ähnlich geht es dem Unternehmen heute mit den Stoffen für den Digitaldruck. Wenn man die importierte Ware gegenkontrollieren lasse, würden die Anforderungen oft nur teilweise oder gar nicht erfüllt. Aber auch diesmal wolle das niemand wissen. Für die Kundschaft zeigt der Unternehmer grundsätzlich Verständnis. Wenn wir Stoffe für 3,50 Euro anbieten und die bekommt diese als Importware für 1,80 Euro, dann können die großen Player an diesen Vorteilen nicht vorbeigehen, wenn sie im Markt bleiben wollen, sagt er.

Weltweit ungleiche Bedingungen

Der Grund für die niedrigen Preise: Die chinesische Ware habe den Vorteil, dass sie extrem subventioniert werde. Und während Qualität, Sicherheit und Produktionsbedingungen in Deutschland und Europa streng kontrolliert würden, könnten chinesische Anbieter immer wieder die Lücken im System ausnutzen. Es würde vollkommen ausreichen, wenn die Bedingungen für alle Seiten gleich wären, sagt er.
Doch Lothar Vorbeck will nicht klagen. Deutschland lebt von der Flexibilität und von der Innovation, sagt er. Also müssen wir als Mittelständler uns die nächste Nische suchen. Wir werden uns schneller verändern müssen als früher. Wir sind klein genug, um Lücken zu finden. Wir sind groß genug, um die Zeit zu haben, diese Lücken auch auszufüllen. Von daher würde ich sagen, stehen wir in diesem ganzen Chaos weiterhin recht gut da.
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 3/2025. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die Wirtschaftsdialoge” können Sie auch online als PDF-Datei herunterladen.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit