Kreis lenkt bei Berufsschulentwicklungsplan ein

Wäre es nach den neuen Berufsschulentwicklungsplänen der Stadt Darmstadt und des Landkreises Darmstadt-Dieburg gegangen, dürften Auszubildende aus dem Westkreis nicht mehr an den Darmstädter Berufsschulen unterrichtet werden. Sie hätten die weiter entfernte Landrat-Gruber-Schule in Dieburg besuchen müssen. Nach massiven Beschwerden von Ausbildungsbetrieben und intensiven Gesprächen zwischen IHK Darmstadt und dem Landkreis Darmstadt-Dieburg kündigt sich nun die geforderte Kurskorrektur an.
Text: Patrick Körber
Es war eine bewährte Praxis, die der Landkreis Darmstadt-Dieburg aufgekündigt hatte. Um auf rückläufige Zahlen der Berufsschüler*innen zu reagieren, sollte die sogenannte „Altkreisregelung“ ein Ende finden. Nach dieser Regelung konnten Auszubildende aus Betrieben südlich und westlich von Darmstadt – aus dem früheren Kreis Darmstadt – auch nach der Gebietsreform von 1974 weiterhin im Rahmen ihrer dualen Ausbildung die besser erreichbare Berufsschule in Darmstadt besuchen. Dafür hat der Landkreis Darmstadt-Dieburg jährlich einen Gastbeitrag pro Schüler*in an die Stadt Darmstadt überwiesen. Ab August 2026 sollte nach den Berufsschulentwicklungsplänen von Landkreis und Stadt damit Schluss sein. Alle Auszubildenden aus Betrieben des Landkreises hätten dann – sofern der Beruf dort beschult wird – nach Dieburg fahren müssen. Rund 350 IHK-Auszubildende von 70 Betrieben aus Erzhausen, Weiterstadt, Griesheim, Pfungstadt, Bickenbach, Alsbach-Hähnlein, Seeheim-Jugenheim, Mühltal, Modautal, Ober-Ramstadt, Roßdorf und Messel wären dann nicht mehr wie zuvor zur besser erreichbaren Berufsschule nach Darmstadt gefahren, sondern nach Dieburg an die Landrat-Gruber-Schule.

Zusätzlicher Zeit- und Fahrtaufwand

„Die Anzahl der Auszubildenden sinkt insgesamt. Die richtige Lösung für dieses Problem ist sicher nicht, Schüler an einen schlechter gelegenen Standort zu ziehen, obwohl der Beruf am etablierten Standort weiter angeboten wird“, sagt Dr. Marcel Walter, Geschäftsbereichsleiter Aus- und Weiterbildung der IHK Darmstadt. Denn: „Kein betroffener Betrieb hätte einen Wege- oder Zeitvorteil durch den Schulwechsel – auch nicht Betriebe aus Roßdorf, Ober-Ramstadt, Mühltal, Modautal oder Messel.“ Leider spielten die Interessen und Bedürfnisse der regionalen Wirtschaft bei der Verschiebung der Schüler*innenströme keine Rolle. Daher hatte sich auch der Berufsbildungsausschuss der IHK in einer Stellungnahme deutlich gegen die Pläne ausgesprochen und forderte, die pauschale Aufkündigung des Vertrages zurückzunehmen.
Die IHK Darmstadt hatte den zusätzlichen Zeit- und Fahrtaufwand anhand der aktuellen Ausbildungsverhältnisse ermittelt. Nach den IHK-Berechnungen hätte jeder betroffene Auszubildende durchschnittlich sechs Tage Ausbildungszeit verloren, die er/sie statt im Betrieb im Verkehr verbracht hätte. „Dies verringert die Ausbildungsqualität unnötig“, hatte der Berufsbildungsausschuss in seiner Stellungnahme kritisiert.
Für die betroffenen Betriebe wäre das drastisch gewesen: Sie würden in Summe 753 produktive Arbeitstage pro Jahr verlieren – die Fahrtzeit zwischen Schule und Betrieb ist seit 2025 gesetzlich als Arbeitszeit geregelt. Der Berufsbildungsausschuss der IHK warnte, dass die Entscheidung des Landkreises die Attraktivität der beruflichen Ausbildung in der Region senke: „Längere Wege schrecken potenzielle Auszubildende ab – bei ohnehin knappen Bewerberzahlen.“ Denn die Betriebe westlich von Darmstadt rekrutieren Auszubildende überwiegend zwischen Darmstadt und Groß-Gerau. Dem Wirtschaftsstandort werde ein Bärendienst erwiesen, moniert Walter. Die Gefahr von Vertragsauflösungen steige schon früh in der Ausbildung, wenn Gestattungsanträge für eine wohnortnahe Beschulung nicht genehmigt werden. „Über die gesamte Ausbildungszeit hinweg wird es zu weiteren Vertragsauflösungen kommen, weil Auszubildende lange Fahrtwege als Belastung wahrnehmen“, so Walter.
Grafik Berufsschulentwicklungsplan
Der neue Vorschlag des Landkreises Darmstadt-Dieburg sieht vor, dass Auszubildende von Betrieben aus Erzhausen, Weiterstadt, Griesheim und Pfungstadt weiterhin in Darmstadt auf die Berufsschule gehen können, sofern der Beruf dort beschult wird. Jedoch sollen Azubis aus den anderen Kommunen des Altkreises Darmstadt ab 2026 nach Dieburg auf die Berufsschule gehen.
Das auf Systeme zur Laserstrahldiagnose spezialisierte Unternehmen Primes aus Pfungstadt hatte ebenfalls deutliche Kritik geübt: „Diese Entscheidung zeigt doch ein typisches Kirchturmdenken, ohne überhaupt die Interessen der Betroffenen – besonders der Auszubildenden und Betriebe – zu berücksichtigen“, beschwerten sich die beiden Geschäftsführer Dr. Reinhard Kramer und Dr. Thomas Umschlag per Brief an den Landkreis. Die beiden rechneten vor, dass ihre Auszubildenden vom Firmensitz aus nun im Mittel 1 Stunde und 20 Minuten für die Fahrt nach Dieburg benötigen – 30 Minuten länger als nach Darmstadt. Berufsschüler*innen müssten für einen Schulbeginn um 8 Uhr bereits vor 6 Uhr morgens in den ÖPNV einsteigen, um pünktlich zu sein. „Eine Rückkehr der Auszubildenden nach der Berufsschule in die Betriebe ist damit ebenfalls sinnlos, weil ein Großteil der verbleibenden Ausbildungszeit für die Fahrzeiten verschwendet wird“, sagen die beiden Geschäftsführer. Und sie äußerten die Befürchtung: „Für uns als Ausbildungsbetrieb erschwert diese Entscheidung die Möglichkeit, unsere Ausbildungsplätze adäquat zu besetzen und uns als Firma weiterzuentwickeln.“
Die Kritik und die intensiven Gespräche der IHK Darmstadt mit dem Landkreis zeigten nun offenbar Wirkung. Der Erste Kreisbeigeordnete des Landkreises Darmstadt-Dieburg, Lutz Köhler, bringt einen neuen Vorschlag als Kompromiss ein: Dieser sieht nun vor, dass die Industriekaufleute, die Kraftfahrzeugmechatroniker*innen, Einzelhandelskaufleute, Verkäufer*innen und Kaufleute für Büromanagement, die in Unternehmen in Erzhausen, Weiterstadt, Griesheim und Pfungstadt ausgebildet werden, vorerst weiterhin in Darmstadt zur Berufsschule gehen können. „Wenn wir merken, dass wir auf der Landrat-Gruber-Schule mit den Schülerzahlen nicht hinkommen, dann müssen wir beim nächsten Berufsschulentwicklungsplan wieder umdenken“, sagt Köhler. Ferner wünscht sich Köhler, dass die Gastschulbeiträge auf den normalen Beitragssatz gesenkt werden. Bis dato muss der Landkreis das 1,5-Fache des vom Land festgesetzten Satzes zahlen. Der neue Vorschlag muss noch in eine Vereinbarung mit der Stadt Darmstadt überführt werden (Stand: 22. Juli 2025).

Gemeinsame Abstimmung nötig

IHK-Geschäftsbereichsleiter Walter zeigt sich erleichtert, dass nach hartem Ringen ein nachjustierter Vorschlag des Landkreises vorliegt, der zumindest für Betriebe aus Erzhausen, Weiterstadt, Griesheim und Pfungstadt bedeutet, dass die ihre Auszubildenden weiterhin nach Darmstadt in die Berufsschule schicken können. „Wir hätten uns allerdings auch für die Betriebe aus den anderen Kommunen gewünscht, dass sie weiterhin die näher gelegene Berufsschule besuchen dürfen.“ Zudem begrüßt Walter, dass die Metallberufe von Dieburg nach Darmstadt gehen, sodass der Ausbildungsberuf in Südhessen stabilisiert werden kann. „Hier nimmt der Landkreis eine wichtige Vorreiterrolle in der übergreifenden Berufsschulentwicklungsplanung ein.“
„Durch die zurückgehende Berufsschüler*innenzahlen müssen Anpassungen erfolgen, aber nicht als Insellösung“, sagt Bildungsexperte Dr. Walter. Da schon heute nicht mehr alle Berufe sinnvoll an mehreren Standorten in Südhessen beschult werden können, müssten sich alle Schulträger in Südhessen in eine gemeinsame Abstimmung begeben, um die vorhandenen Ausbildungsberufe in der Region zu halten. „Wenn die vom Kultusministerium geforderten Klassenstärken nicht erreicht werden, kann die Berufsschule kein Angebot machen. Also müssen wir bestimmte Berufe zusammenziehen“, so Walter. Und er mahnt die Schulträger, über den Tellerrand hinauszublicken und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: „Wir bilden nicht für die Berufsschule aus, sondern für die Wirtschaft.“
Der Berufsbildungsausschuss
Der Berufsbildungsausschuss ist das gesetzlich (Paragraf 79 Berufsbildungsgesetz) verankerte Gremium zur Entwicklung der beruflichen Bildung in Südhessen und setzt sich aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen zusammen. In der Task Force zur Erarbeitung der Stellungnahme finden sich namhafte Ausbildungsunternehmen wie Merck, Continental, Henschel und Segmüller sowie der DGB.
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 4/2025. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die Wirtschaftsdialoge” können Sie auch online als PDF-Datei herunterladen.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit