Fachkräfte

Arbeitskräfte aus Fernost

In kaum einer Branche ist der Fachkräftemangel so groß wie in der Gastronomie. Das spüren auch Thilo und Agnes Hanke, die das Darmstädter Restaurant Braustüb’l betreiben. Doch sie haben für sich eine Lösung gefunden – und Auszubildende aus Vietnam eingestellt.
TEXT Julia van Lottum FOTOS Dennis Möbus
Thoai Uyen Nguyen zapft ein Helles, während Hong Son Nguyen Gemüse schneidet. Seit gut einem Jahr absolvieren die beiden im Braustüb’l ihre Ausbildungen als Fachfrau für Restaurants und Veranstaltungsgastronomie und als Koch. Nicht nur die südhessische Küche, auch die deutsche Kultur ist neu für sie. Denn letztes Jahr sind sie für ihre Ausbildung aus Vietnam nach Deutschland gekommen. Für das Ehepaar Hanke, das das Braustüb’l seit fast 13 Jahren führt, sind die Azubis eine Antwort auf den Fachkräftemangel. „Wir bekommen nur wenige Bewerbungen auf Ausbildungsplätze, und die sind häufig nicht geeignet. Den Bewerber*innen fehlt es oft an der geistigen Reife oder sie haben durch TV-Kochshows unrealistische Vor- stellungen“, sagt Thilo Hanke, Vorsitzender des Kreisverbands Darmstadt-Dieburg beim Hotel- und Gastronomieverband Dehoga und Vorsitzender des IHK-Prüfungsausschusses Koch. So wie ihm geht es in Deutschland vielen Betrieben im Gastgewerbe: Über die Hälfte konnte laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) letztes Jahr nicht alle Ausbildungsplätze besetzen. Für Hanke gab es zwei Optionen: „Entweder du jammerst oder du machst was.“ Er entschied sich für Letzteres und rekrutierte vergangenes Jahr drei vietnamesische Auszubildende.

Vermittlungsagenturen helfen weiter

Auch mit dieser Entscheidung steht er nicht alleine da: Im Jahr 2023 begannen 181 Auszubildende in Südhessen eine Ausbildung in der Gastronomie; 62 von ihnen kamen aus dem Ausland. „Ohne Zuwanderung hätte die Branche große Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen“, sagt Henrik Richter, der bei der IHK Darmstadt Experte für den Themenschwerpunkt internationale Fachkräfte ist. Doch noch nicht alle Unternehmen mit offenen Stellen wagen diesen Schritt. „Bei der Einstellung von internationalen Fachkräften stellen die bürokratischen Hürden für die meisten Unternehmen die größte Herausforderung dar“, sagt Richter. Thilo Hanke wurden diese ein Stück weit abgenommen: „Ich werde oft von Vermittlungsagenturen angeschrieben und habe beschlossen, es auszuprobieren«, sagt er. Den Ablauf empfand er als „überraschend reibungslos“: „Wir haben der Agentur mitgeteilt, für welche Stellen wir Azubis suchen. Anschließend hat uns die Agentur Lebensläufe und Zeugnisse von Kandidat*innen geschickt und wir haben uns per Videokonferenz mit ihnen unterhalten.“ Waren die Gespräche erfolgreich, setzte Hanke die Ausbildungsverträge auf. Um die weitere Organisation – Visa, Flüge, einen Sprachkurs in Heidelberg und bei Bedarf sogar Wohnungen – kümmerte sich die Agentur. Vom ersten Kontakt bis zum Start der Ausbildung in Deutschland vergingen nur rund drei Monate.
„Ohne Zuwanderung hätte die Gastro-Branche große Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen.“

Henrik Richter, Experte für internationale Fachkräfte bei der IHK Darmstadt

„Bei der Einstellung von internationalen Azubis müssen, anders als bei Fachkräften, keine Berufsabschlüsse anerkannt werden«, erläutert IHK-Experte Richter. „Das erspart die teilweise zeitaufwendigen Anerkennungsverfahren.“ Grundsätzlich habe die Vermittlung von ausländischen Fachkräften über Agenturen stark zugenommen. In der Regel werde eine vierstellige Gebühr pro Fachkraft erhoben. „Eine Zertifizierung von empfehlenswerten Vermittlungsagenturen, etwa vonseiten der Bundesregierung, gibt es nicht«, sagt Richter. Auf dem Portal „Make it in Germany“ stellt die Bundesregierung jedoch eine Checkliste bereit, worauf Arbeitgeber bei der Auswahl einer Agentur achten sollten – gute Erreichbarkeit und Transparenz etwa zählen dazu. „Wenn die Agentur einen Standort in Deutschland hat, ist das ein Pluspunkt“, ergänzt Richter.

Deutschland als attraktives Ziel

Dies ist zum Beispiel bei der Frankfurter Agentur Jobssolution der Fall. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner vermittelt Tarik Mouhib marokkanische Interessent*innen als Fachkräfte oder Azubis an deutsche Unternehmen. In einer zugehörigen Sprachschule in Marokko werden diese zuvor auf das Leben in Deutschland vorbereitet. Für Marokkaner*innen sei Deutschland ein attraktives Ziel: „Sichere Jobs, Demokratie und ein gutes Ausbildungssystem ziehen viele Interessenten an“, erklärt der gebürtige Marokkaner, der vor 19 Jahren für sein Studium nach Deutschland kam. Deutsche Unternehmen erlebt Mouhib dagegen noch als reserviert, wenn es darum geht, zum ersten Mal einen Mitarbeitenden aus dem Ausland einzustellen. „Mehr Mut“, empfiehlt er daher. „Wir erstellen mit den Unternehmen ein Anforderungsprofil aus Vorkenntnissen, Qualifikationen und Sprachkenntnissen. Neben einem Video-Call können Unternehmen die Kandidaten auch persönlich in Marokko kennenlernen«, sagt er. Und sollte die Fachkraft innerhalb des ersten halben Jahres kündigen, erstatte die Agentur dem Unternehmen die Hälfte der Vermittlungsgebühr. Diese liege insgesamt bei einem Bruttomonatsgehalt der Fachkraft. Das Risiko halte sich daher aus seiner Sicht in Grenzen.
Neben privaten Agenturen stehen Unternehmen weitere Optionen offen: Eine staatlich organisierte Vermittlung bietet der Arbeitgeber-Service der Bundesagentur für Arbeit. Eine weitere Anlaufstelle ist beispielsweise das Projekt „UBA Connect“, das Unternehmen mit ausländischen Fachkräften für eine Anpassungsqualifizierung zusammenbringt. Was alle Vermittlungswege eint: Mit der Einstellung ist es nicht getan, die Begleitung vor Ort ist wichtig. „Die jungen Leute sind Anfang, Mitte zwanzig und leben in Deutschland oft zum ersten Mal allein“, sagt Mouhib. Er unterstützt sie daher auch nach ihrer Ankunft in Deutschland bei bürokratischen Herausforderungen wie Meldebescheinigung, Kontoeröffnung oder Versicherungen und begleitet sie beispielsweise am ersten Tag zur Arbeit.

Herausforderung Sprachkenntnisse

Doch auch die Betriebe sind gefragt: „Man muss sich kümmern, das ist kein Selbstläufer“, sagt Thilo Hanke vom Braustüb‘l. „Die Azubis sind intelligent und fleißig, aber die Sprache ist eine Herausforderung, trotz der Vorkenntnisse.“ Die Hankes haben daher für die Azubis einen weiteren Sprachkurs organisiert und erklären ihnen regelmäßig abends typische deutsche Ausdrücke. Einmal im Monat wiederholen sie mit ihnen zudem Inhalte aus der Berufsschule. „Dabei reden wir auch darüber, ob alles in Ordnung ist“, sagt Thilo Hanke. „Im Alltag ist dafür wenig Zeit.“
Ein erhöhter Aufwand, der sich für Hanke dennoch lohnt. Zum 1. August hat er erneut zwei Azubis aus Vietnam eingestellt. Sechs von sieben seiner Nachwuchskräfte kommen damit aus dem Ausland. „Mein Ziel ist es, den Fachkräftebedarf über die Ausbildung im eigenen Betrieb zu decken«“, erklärt er. Aktuell seien alle Stellen besetzt und die Fluktuation niedrig. „Aber ein Drittel des Teams ist etwas älter, da blicke ich bereits fünf Jahre nach vorne.“ Seine Strategie: „Wir holen uns Leute, die wir von null auf 100 hoch- ziehen und im besten Fall behalten.“
Informationen zur Fachkräfteeinwanderung

Ausländische Fachkräfte gewinnen: Im Leitfaden „Ausländische Fachkräfte beschäftigen“ finden Unternehmen wertvolle Hinweise und Erläuterungen. Der Leitfaden, den mehrere IHKs entwickelt haben, führt Unternehmen durch den Rekrutierungsprozess und gibt praktische Tipps.

UBA Connect: Das Projekt bringt Unternehmen mit Fachkräften aus Drittstaaten zusammen. Diese machen eine Anpassungsqualifizierung in Unternehmen, um ihren Berufsabschluss anerkennen zu lassen. Idealerweise gewinnen die Unternehmen sie so dauerhaft als Fachkräfte.
Weitere Informationen über das Projekt UBA Connect.

Make it in Germany: Das Portal der Bundesregierung unterstützt bei der Rekrutierung und Integration von internationalen Fachkräften und Auszubildenden. Indem Sie „Vermittlungsagenturen erkennen“, „Rekrutierungsweg“ und „Stellenanzeige“ in die Suche eingeben, finden Sie hilfreiche Infos zu diesen Themen.
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin “Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 5/2024. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die “Wirtschaftsdialoge” können Sie seit Oktober 2023 auch online als PDF-Datei herunterladen.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit