IHK-Präsident Christian Jöst fordert rasche Abschaffung des nationalen Lieferkettengesetzes

Im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung angekündigt, das nationale Lieferkettengesetz abzuschaffen. Doch über ein halbes Jahr nach Amtsantritt steht die Umsetzung weiterhin aus. Das Gesetz verursacht immense Dokumentationspflichten, die schätzungsweise ein Drittel bis die Hälfte aller deutschen Unternehmen täglich Arbeitszeit kosten. IHK-Präsident Christian Jöst fordert die Regierung daher auf, die Wirtschaft schnellstmöglich durch die Abschaffung des Gesetzes zu entlasten.

Pressemeldung vom 18. November 2025

Vergangene Woche hatte das EU-Parlament für Lockerungen der EU-Lieferkettenrichtlinie gestimmt, die bis 2027 in nationales Recht überführt werden soll. Den damit geplanten Bürokratieabbau wertet der Darmstädter IHK-Präsident als Schritt in die richtige Richtung. In Deutschland ist die Lage jedoch eine andere: Seit Anfang 2023 gelten hier – anders als in den meisten EU-Ländern – bereits die strengen Regeln des nationalen Lieferkettengesetzes, die erhebliche Dokumentationspflichten für Betriebe mit sich bringen.
Für Christian Jöst, Präsident der Industrie- und Handelskammer Darmstadt Rhein Main Neckar, klang der Passus im Koalitionsvertrag vielversprechend. Das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sollte abgeschafft, insbesondere die Berichtspflicht sofort gestrichen werden. Jöst hatte sich dafür mehrere Jahre unter anderem im Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung eingesetzt.
Doch die Abschaffung des nationalen Lieferkettengesetzes scheint für die Bundesregierung nicht mehr prioritär zu sein. Zwar hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie nach einem Regierungsentwurf im September 2025 erste Maßnahmen ergriffen. Die zuständige Kontrollbehörde BAFA (Bundesamt für Ausfuhrkontrolle) wurde angewiesen, die Prüfung von Unternehmensberichten einzustellen und Bußgelder nur noch bei schweren Pflichtverstößen im Zusammenhang mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu verhängen.
Der vorgelegte Gesetzentwurf reicht Christian Jöst jedoch nicht aus. „Die Bundesregierung muss schnellstmöglich liefern. Denn betroffen sind nicht nur rund 5.000 Unternehmen, wie die Regierung angibt. Wir gehen aufgrund des Trickle-Down-Effekts entlang von Lieferketten davon aus, dass sich ein Drittel bis die Hälfte aller Betriebe in Deutschland täglich mit Dokumentationspflichten durch das Gesetz beschäftigen muss.“
Christian Jöst fordert daher – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – die schnelle Abschaffung des nationalen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, um insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen von Bürokratie zu entlasten. Auf EU-Ebene erwartet er zudem, dass die Bundesregierung auch nach den jüngsten Beschlüssen des EU-Parlaments aktiv bleibt und in den finalen Verhandlungen zur EU-Lieferkettenrichtlinie ein deutliches Signal sendet: „Unternehmen können nicht weltweit die Einhaltung der Menschenrechte durchsetzen – das ist die Aufgabe von Staaten. Damit schafft man in Unternehmen wieder mehr Freiraum, sich betrieblichen Belangen zu widmen. Das trägt zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas bei.“
Hintergrund: Die Bundesregierung geht in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) davon aus, dass es etwa 4.800 bis 5.200 betroffene Unternehmen gibt. Die geschätzte Einsparung für die Wirtschaft wird mit lediglich rund 4,1 Mio. Euro pro Jahr kalkuliert. Die durchschnittliche Kostenersparnis pro LkSG-pflichtigem Unternehmen liegt auf dieser Basis bei 788 bis 854 Euro pro Jahr, was keinen substanziellen Bürokratieabbau darstellt.

Diese Zahlen entbehren aus Sicht der IHK einer reellen Grundlage. Was die Bundesregierung unter anderem völlig außer Acht lässt, ist der Trickle-Down-Effekt (Kaskadeneffekt), weil die betroffenen Unternehmen ihrerseits ihre Lieferanten und deren Zulieferer zur Einhaltung von Menschenrechten befragen.

Ein beispielhafter Blick in die Praxis verdeutlicht den entstehenden Arbeitsaufwand: Ein südhessischer mittelständischer Unternehmer mit 60 Mitarbeitenden, der mit seinem Jahresumsatz nicht unter das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz fällt, muss dennoch an seine rund 200 Kunden berichten. Sie senden ihm Fragebögen bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte zu oder fordern ihn auf, online in Portalen seine Angaben zu hinterlegen. Wer die Fragebögen nicht beantwortet, läuft Gefahr, als Lieferant „ausgelistet“ zu werden.

Die Fragebögen reichen von 60 bis 160 Fragen. Durchschnittlich ist der Unternehmer pro Fragebogen mindestens eine Stunde beschäftigt. Allein die Beantwortung kostet fünf Wochen Arbeitszeit, in der der Unternehmer sich nicht um Vertrieb oder Innovationen kümmern kann.

Geht man davon aus, dass rund 30 bis 50 Prozent der Betriebe von dem Trickle-Down-Effekt betroffen sind, kostet das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz jährlich allein in Südhessen geschätzt 2.000 bis 3.100 Jahre an Arbeitszeit. Rechnet man dies auf Hessen hoch, kann man die Zahl verzehnfachen. Da in Hessen rund zehn Prozent der deutschen Unternehmen ansässig sind, ist das auf Bundesebene nochmal mit dem Faktor zehn zu multiplizieren.

Die Entlastung durch die Abschaffung des Gesetzes ist daher potenziell weitaus umfangreicher, als es der Gesetzentwurf glauben macht.
Julia van Lottum
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Social Media