Fit für den Green Deal

Nachhaltige Immobilienwirtschaft und Flächennutzung

Der Gebäudesektor ist in der Europäischen Union für 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Er wird die Klimaziele des Green Deal verfehlen.
Gleichzeitig steht die Bau- und Immobilienwirtschaft vor erheblichen Herausforderungen mit Blick auf kontinuierlich steigende Baukosten. Aus diesem Grund wird erwartet, dass das Gebäudeenergiegesetz und seine enthaltenen Standards spätestens im Jahr 2023 erneut auf den Prüfstand kommen.
In Deutschland verursachte der Gebäudesektor im Jahr 2021 Emissionen in Höhe von 115 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Gemäß dem Klimaschutzgesetz überschreitet der Gebäudesektor bisher die Jahresemissionsmengen, welche bei rund 113 Millionen Tonnen CO2 Äquivalenten liegen. Aufgrund der Zielverfehlung des Gebäudesektors sind zukünftig weitere Maßnahmen der Bundesregierung für mehr Klimaschutz zu erwarten.

Die Rahmenbedingungen im Gebäudesektor

Seit November 2020 ist das Gebäudeenergiegesetz (GEG) in Kraft getreten und hat das Energieeinsparungsgesetz, die Energieeinsparverordnung und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz in einem Gesetzestext zusammengefasst. Es enthält Anforderungen an die energetische Qualität von Gebäuden, die Erstellung und die Verwendung von Energieausweisen sowie an den Einsatz von erneuerbaren Energien in Gebäuden.
Beim Neubau, der Neuvermietung oder dem Verkauf einer Immobilie ist das Vorhandensein eines Energieausweises verpflichtend. Käufer oder Neu-Mieter haben ein Recht auf Informationen über die Energieeffizienz der Immobilie. International sind Energieausweise als EPC (Energy Performance Certificate) bekannt. Energieausweise haben eine Gültigkeit von zehn Jahren.
Ein weiterer regulatorischer Rahmen ergibt sich indirekt aus der EU-Taxonomie zur Klassifizierung nachhaltiger wirtschaftlicher Tätigkeiten. So gilt für den Gebäudebestand, dass Gebäude nur dann als nachhaltig einzustufen sind, wenn ein Energieausweis der Klasse A vorliegt. Gemäß Anhang I der Taxonomie sind Neubauten mit Blick auf das Umweltziel des Klimaschutzes nur dann nachhaltig, wenn der Primärenergiebedarf mindestens zehn Prozent unter den nationalen Werten des Niedrigstenergiegebäudestandards liegt. Für Renovierungs- beziehungsweise Sanierungsmaßnahmen gilt, eine Reduzierung des Primärenergiebedarfs von mindestens 30 Prozent, um taxonomie-konform zu sein. Hinsichtlich des Umweltziels „Anpassung an den Klimawandel″ muss die Identifikation der Klimarisiken vorliegen und Anpassungslösungen für Gebäude existieren.

Die Standards in der Bau- und Immobilienwirtschaft

Im Gebäudesektor wurden unterschiedliche Standards eingeführt, welche alle das Ziel verfolgen den Energieverbrauch transparent abzubilden. Diese Standards lassen sich auf Neubauten und Bestandsgebäude anwenden. Neben dem Niedrigstenergiegebäudestandard sind dies der Passivhaus-Standard oder der Null-Energiehaus-, der Plus-Energiehaus-Standard oder die KfW-Effizienzhäuser 40 und 55.

Niedrigstenergiegebäude

In Deutschland ist der Niedrigstenergiegebäudestandard im Gebäudeenergiegesetz (GEG) geregelt. Er leitet sich aus der EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffzienz von Gebäuden ab. Dieser entspricht dem Standard der ENEV 2016 und stellt damit bisher keine Verschärfung dar. Eine Überarbeitung des Standards ist für das Jahr 2023 vorgesehen.

Der Passivhaus-Standard

Der Passivhaus-Standard sorgt für eine überwiegende Abdeckung des Wärmebedarfs durch passive Energiequellen wie Solarenergie, Abwärme von Personen und technischen Geräten. Des Weiteren wird bei dem Gesamtbedarf „Erneuerbarer Primärenergie“ in Passivhaus Classic, Passivhaus Plus und Passivhaus Premium unterschieden.

KfW-Effizienzhaus-Standards

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat KfW-Effizienzhaus-Standards eingeführt, bei denen eine Förderung möglich ist. Gefördert werden die Varianten KfW-Effizienzhaus 40, KfW-Effizienzhaus 40 Plus und KfW-Effizienzhaus 55 mit unterschiedlichen Fördersätzen. Ab Februar 2022 entfällt jedoch die beliebte Neubau-Förderung für den Effizienzhausstandard KfW 55.

Null- und Plusenergiehaus

Ein weiterer Standard ist das Nullenergiehaus. Hier entspricht die produzierte Strommenge im Jahresverlauf rechnerisch dem Energieverbrauch des Hauses. Außerdem gibt es noch den Plusenergiehaus-Standard und das Effizienzhaus Plus. Bei diesen Standards ist die Menge der erzeugten Energie im Jahresverlauf größer als der Verbrauch.

Chancen und Trends

Nachhaltige Gewerbeflächen

Immer mehr Unternehmen planen in den kommenden Jahren eine massive Reduzierung ihrer Treibhausgase und wollen einen klimaneutralen Unternehmensstandort. Für Bestandsflächen bedeutet dies einen erheblichen Investitionsbedarf und zusätzliche Abstimmungsprozesse zwischen der kommunalen Verwaltung und regionalen Unternehmen. Gemeinschaftlich muss die Infrastruktur den neuen Anforderungen angepasst werden, Mobilitätskonzepte entwickelt und Planungs- wie Genehmigungsverfahren für den Einsatz innovativer Versorgungstechnologien beschleunigt werden.

Nachwachsende Rohstoffe

Die Holzbauweise hat sich seit ein paar Jahren zum Trend entwickelt.  Hessen zählt zu den waldreichsten Bundesländern. Eine Holzbauoffensive wird für das Land Hessen mit der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen diskutiert, um die regionale Wertschöpfung zu fördern und das Klima zu schonen.  Das Bauen mit Holz bringt viele Vorteile mit sich. Holz ist ein nachwachsender Rohstoff, welcher zusätzlich Kohlenstoffdioxid speichert. Zugleich bietet diese Bauweise die Chance der Vorfertigung von Bauteilen bis hin zu Raummodulen. Dadurch wird Bauzeit vor Ort gespart und Belästigungen der Anwohner minimiert

Baustoffrecycling und Ressourcenschutz

Allein in Hessen werden jährlich über 30 Millionen Tonnen Bauminerale (Kies, Kalkstein, Sand, Ton, Natursteine) gewonnen und als Primärbaustoff verwendet. Im Gegenzug stellen „Mineralische Abfälle“ mit mehr als 218 Millionen Tonnen den bundesweiten Spitzenwert dar. Bisher wird nur ein Teil des mineralischen Bauschuttes bei der Verfüllung von Abgrabungen verwendet. Im Juni 2021 beschloss die Bundesregierung die Ersatzbaustoffverordnung, die sowohl den Bodenschutz, die Altlastenverordnung und die Gewerbeabfallverordnung darauf abstimmt, dass der Einsatz recycelter Baustoffe möglich wird. In Hessen tritt sie zum 01. August 2023 in Kraft. Weiterführende Informationen erhalten Sie hier. Abzusehen ist, dass der Anteil an Recyclingstoffen in der Bauwirtschaft zunimmt. Die öffentliche Hand kann als Vorbild den Einsatz von Recyclingbaustoffen bei ihren Bauvorhaben vorantreiben.

Digitalisierung der Bauwirtschaft

Die Bauwirtschaft entwickelt sich immer weiter und auch hier nimmt die Digitalisierung eine große Rolle ein. Durch digitale Tools können Effizienzen gesteigert und Kosten gesenkt werden. Building Information Modeling (BIM) ist eine Methode um die Planung, Ausführung und Bewirtschaftung mithilfe von Software und Vernetzung zu optimieren. Es werden alle Bauwerksdaten digital modelliert und ein Computermodell erstellt. Die Analyse von Daten wird immer relevanter, um weitere Einsparpotentiale zu erschließen. Darüber hinaus unterstützt die Digitalisierung die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft, weil beim Um- oder Rückbau eines Gebäudes die in einem BIM enthaltenen Kenntnisse zu verwendeten Baumaterialien und Baustoffen die Wiederverwendung und Verwertung erleichtern.

Neue Förderangebote

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie setzte mit der „Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude“ (BEG), die energetische Gebäudeförderung des Bundes neu auf. Die Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude fördert:
  • die Sanierung von Wohnhäusern,
  • die Sanierung von Nichtwohnhäuser und
  • Einzelmaßnahmen zur energetischen Sanierung.
Ziel der Förderung ist es, die Zugänglichkeit der verschiedenen Förderprogramme zu vereinfachen. Die Förderung wird stetig weiterentwickelt und durch weitere Themen ergänzt.
Für die Förderung zuständig sind das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrollen (BAFA) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das Antragsverfahren ist zwei-stufig und geschieht im Regelfall mit einem Energieeffizienz-Experten. Lediglich bei Anlagen zur Wärmeerzeugung oder zur Heizungsoptimierungen ist die Beteiligung eines Energieeffizienz-Experten nicht zwingend vorgeschrieben. Der Antrag wird über ein elektronisches Antragsformular gestellt. Die Antragsberechtigten sind in der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) nachzulesen.

Gefahren und Herausforderungen

Ansteigende Zielkonflikte

Die Immobilienbranche steht vor der Mammutaufgabe, die Klimaneutralität bis 2045 in Deutschland umgesetzt zu haben. Gleichzeitig sollen zahlreiche neue Gebäude errichtet und zu bezahlbaren Preisen dem Wohnungsmarkt zur Verfügung gestellt werden. Hierbei sind nicht nur die Kosten für die Gebäude und Versorgungstechnik selbst, sondern auch der Ausbau der notwendigen Infrastruktur zu berücksichtigen. Bereits heute wird ersichtlich, dass sich der Zielkonflikt in der Bau- und Immobilienbranche im Rahmen der drei Säulen der Nachhaltigkeit - Ökonomie, Ökologie und Soziales - zuspitzt.  Entsprechend ist stets eine Balance aus Bau-, Wohn- sowie Infrastrukturkosten einerseits und einem ökologischen Design andererseits zu finden.

Mangelnde Klimaanpassung

Durch den Klimawandel kommt es immer häufiger zu Wetterextremen wie Hitzewellen oder Starkregen mit Überschwemmungen und Hochwasser. Bei Hitzewellen und fehlenden Klimaanpassungsmaßnahmen im Gebäude kommt es zunehmend zu Produktivitätsverlusten der Mitarbeiter sowie einem erhöhten Kältebedarf im Produktionsprozess. Hinzu kommen rechtliche Grenzwerte. Laut der Arbeitsstättenverordnung darf die Raumtemperatur am Arbeitsplatz maximal 35 Grad Celcius betragen ohne geeignete Gegenmaßnahmen. Wird diese Temperatur überschritten, darf in den Räumen nicht mehr gearbeitet werden und der Betrieb kommt im schlimmsten Fall zum Stillstand.

Fehlende Fachkräfte

Die politisch gewollte Sanierungsrate von jährlich über zwei Prozent sowie die ansteigende Nachfrage im Neubausegment führen zu einer Verknappung verfügbarer Fachkräfte und Handwerker. Bereits heute besteht ein erheblicher Mangel an Fachkräften, um die Nachfrage zu bedienen. Entsprechend wird mit einer Verdopplung der Sanierungsrate im Gebäudesektor der Fachkräftemangel zunehmend zur Herausforderung. In der öffentlichen Verwaltung, dem Tiefbau und der Bauplanung fehlen bereits heute zahlreiche Experten. Zwei von drei Unternehmen geben den Fachkräftemangel als größtes unternehmerisches Risiko an, wie die Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) bei Bauunternehmen ergab. Dieser Mangel an ausreichend ausgebildeten Arbeitskräften führt zu langen Wartezeiten. Die Folge ist, dass viele Baustellen nicht fertiggestellt werden und Bauphasen über Jahre andauern. Zusätzlich führt der Fachkräftemangel zu Preisanstiegen, wodurch die Baukosten zusätzlich belastet werden.

Rohstoffknappheit

Wegen der weltweiten Lieferengpässe fehlen nicht nur Waren in den Regalen und Rohstoffe, auch die Preise ziehen bereits deutlich an. Davon betroffen sind viele Unternehmen und insbesondere die Bau- und Immobilienbranche. Dies führt zu erheblichen Verzögerungen bei Bauprojekten, weil Materialien nicht geliefert werden können. Zusätzlich steigen die Baukosten im zweistelligen Prozentbereich kurzfristig an. Bereits in der IHK-Konjunkturumfrage 2/2021, die im Mai veröffentlicht wurde, bezeichneten 40 Prozent aller Unternehmen in Südhessen die Entwicklung der Energie- und Rohstoffpreise als Risiko für die weitere wirtschaftliche Entwicklung ihres Unternehmens.

Die Position der IHK Darmstadt

Das Gebäudeenergiegesetz und seine enthaltenen Standards sollen spätestens im Jahr 2023 erneut auf den Prüfstand kommen. Momentan liegt der Niedrigstenergiegebäudestandard im Gebäudeenergiegesetz hinter den technischen Bewertungskriterien der Taxonomie-Verordnung. Ebenso dürften mit den vorliegenden Kriterien die nationalen Klimaziele im Gebäudesektor nicht erreicht werden. Gleichzeitig steht die Bau- und Immobilienwirtschaft vor erheblichen Herausforderungen und Zielkonflikten.

Forderungen der IHK Darmstadt Rhein Main Neckar

  1. Digitale Schlüsseltechnologien müssen vorangetrieben werden, um Baukosten zu senken und Bauzeiten zu beschleunigen. Dabei ist der Mittelstand frühzeitig einzubinden und eine internationale Spitzenposition des Standorts anzustreben.
  2. Antrags- und Genehmigungsverfahren müssen online zugängig und in einen digitalen Workflow integriert werden, um die notwendigen Verwaltungsprozesse zu beschleunigen und kontinuierlich zu optimieren.
  3. Von Detailregulierung sollte Abstand genommen werden. Besser sind Effizienz- und Umweltstandards, die transparent und technologieoffen zu erreichen sind. Die Gesetzgebung sollte Treiber für Innovationen statt zusätzlicher Bürokratie sein.
  4. Eine prosperierende Wirtschaft braucht schnell verfügbare und bezahlbare Industrie- und Gewerbeflächen. Daher müssen weiterhin marktfähige Gewerbe- und Industriegebiete angeboten und Kommunen bei der strategischen Flächenplanung unterstützt werden.
  5. Die Renovierungswelle ist nur zu bewältigen, wenn qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen. Ausbildungs- und Weiterqualifizierungen müssen attraktiv und zeitgemäß mit dem wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technologischen Strukturwandel modernisiert werden.
Die IHK Darmstadt Rhein Main Neckar erarbeitet regelmäßig Positionen im Themenbereich der Bau- und Immobilienwirtschaft.