Bildungshelden und TAG gewinnen den Sozialtransferpreis 2023

Das Astor Filmtheater ist normalerweise die Bühne, auf der berühmte Schauspieler für bewegende Momente sorgen. Doch bei der Verleihung des Sozialtransferpreises 2023 der IHK Braunschweig waren die wahren Stars die drei Nominierten. Schon im Vorabentscheid konnten sie die Jury mit ihrem beeindruckenden Engagement überzeugen. Doch der Höhepunkt war das große Finale vor der Kinoleinwand, als sie sich der Abstimmung des Publikums stellten, um den Sieger zu küren. Und der mit 10 000 Euro dotierte Hauptpreis geht an das Projekt „Haus der Bildung Berliner Straße 145”, eine bemerkenswerte Kooperation zwischen der sozialen Einrichtung Bildungshelden gGmbH und der TAG Wohnen & Service GmbH Salzgitter.
IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Florian Löbermann eröffnete die Preisverleihung mit den Worten: „Was wir heute sehen werden, wird uns berühren.“ Diese Ankündigung bewahrheitete sich, als Samir Roshandel von den Bildungshelden auf die Bühne trat. Jeder der Nominierten hatte die Gelegenheit, sich in einem Pitch vorzustellen und einen kurzen Film auf der Leinwand zu präsentieren. Der Bildungshelden-Geschäftsführer im Ehrenamt nutzte diese Gelegenheit, um zu erläutern, wie Kinder Freude am Lernen finden. „Sie kommen zu uns, weil sie Spaß haben“, betonte er.
Die Arbeit der Bildungshelden erstreckt sich weit über die reine Lernförderung hinaus. Aktuell betreuen sie knapp 500 Kinder an fünf Standorten in Salzgitter. Ihr Ansatz zielt darauf ab, Hilfe dort anzubieten, wo sie am dringendsten benötigt wird: in den sozialen Brennpunkten bei Familien, die sich sonst keine Nachhilfe leisten könnten. Die Bildungshelden konzentrieren sich gezielt auf „einkommensschwache und bildungsferne Haushalte“, erläuterte Samir Roshandel. Das Team umfasst insgesamt 90 Mitarbeiter, darunter sowohl Hauptamtliche als auch viele Ehrenamtliche.

Lernen als Erlebnis

Wertvolle Unterstützung erhalten die Bildungshelden von der TAG: Das Wohnungsunternehmen hat ihnen 1000 Quadratmeter Lern- und Spielfläche zur Verfügung gestellt, darunter auch in der Berliner Straße 145 in Salzgitter-Lebenstedt. An diesen Orten werden die Kinder nicht nur auf schulischen Erfolg vorbereitet, sondern auch dabei unterstützt, Selbstvertrauen zu entwickeln und ihre eigenen Stärken zu entdecken. Claudia Hoyer, Vorstand der TAG Immobilien AG, lobte die Bildungshelden für ihre Fähigkeit, „Kinder und Jugendliche für das Lernen zu begeistern“.
Sie tragen enorm dazu bei, den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft zu sichern.

Dr. Christine Arbogast

Die Bildungshelden sind in der Lage, eine echte Verbindung zu den Schülerinnen und Schülern herzustellen. Es ist keine einfache Aufgabe, sie nach einem anstrengenden Schulvormittag für weitere Lernförderung zu motivieren. Sie erreichen dies, indem sie Themen wie Ernährung und Umwelt in den Unterricht einbinden und Spielräume schaffen, wodurch das Lernen zu einem vielseitigen und lebensnahen Erlebnis wird. Claudia Hoyer hob hervor, dass die Bildungshelden den Kindern und Jugendlichen ermöglichen, ihr eigenes Leben zu gestalten, „unabhängig von den Strukturen, in die sie hineingeboren werden oder aufwachsen“.
Samir Roshandel hat diese Wirkung selbst erlebt. Er kam als Kind aus Afghanistan nach Deutschland, startete seine Bildungskarriere auf einer Sonderschule und erreichte schlussendlich das Abitur und ein Studium – Erfolge, die er der Unterstützung von Menschen verdankt, die an ihn glaubten. „Weil sie für mich da waren, darf ich hier vor Ihnen stehen.“ Heute ist er als Berater für Entrepreneurship-Education bei der Landesinitiative startup.niedersachsen im Innovationszentrum Niedersachsen tätig. Bei der Abstimmung des Publikums wurde deutlich, wie sehr seine Geschichte und die Arbeit der Bildungshelden geschätzt wurden: Stellvertretend für sein Team durfte Samir Roshandel den Sozialtransferpreis 2023 entgegennehmen.

Generationenlauf verbindet Jung und Alt

Seit dem Jahr 2010 würdigt die IHK Braunschweig Unternehmen für ihr herausragendes gesellschaftliches Engagement und ihre erfolgreiche Zusammenarbeit mit sozialen Einrichtungen. In diesem Jahr wurden auch die IT-Unternehmen Deerstone und Red Oak Consulting für ihre Verdienste geehrt. Gemeinsam mit den Royal Rangers der Ecclesia Gemeinde Braunschweig und ProSenis Haus Eichenpark hatten sie den Generationenlauf ins Leben gerufen – ein besonderes Event, das im vergangenen August stattfand und über 300 Besucher anzog. Der Generationenlauf bot eine wunderbare Gelegenheit für den Austausch und das Zusammenkommen von Jung und Alt.
Während der Präsentation teilte Sebastian Goebel, Geschäftsführer von Deerstone, seinen persönlichen Wunsch mit: „Sollte ich einmal in einem Pflegeheim leben, hoffe ich, dass dort jedes Jahr ein Generationenlauf stattfindet, an dem ich teilnehmen kann.“ Das Projekt fördert nicht nur die Inklusion, indem es sehbehinderte Heimbewohner und junge Pfadfinder in Zweierteams zusammenbringt, die gemeinsam einen Hindernisparcours bewältigen. Der Lauf stärkt auch den Gemeinschaftssinn über Altersgrenzen hinweg. Die gesammelten Spenden fließen in lokale Projekte wie die Obdachlosenhilfe, was die soziale Wirkung weiter verstärkt.

Den Helfern helfen

Wie der Generationenlauf wurde auch BRAWO pro bono mit einem Preisgeld von 5000 Euro ausgezeichnet. In unserer Region spielt dieser Verein eine bedeutende Rolle als Vermittler zwischen Juristen und gemeinnützigen Organisationen. Anwälte, die ihre Dienste ehrenamtlich zur Verfügung stellen, nutzen ihre fachliche Expertise, um diese Non-Profit-Organisationen bei verschiedenen rechtlichen Anliegen zu unterstützen. Ihr Motto lautet: „Wir helfen den Helfern“, wie Dr. Frank Fabian betont. Auf Initiative des Fachanwalts für Arbeitsrecht wurde das pro bono-Netzwerk in Zusammenarbeit mit der Volksbank BRAWO und dem EngagementZentrum gegründet.
Die zentrale Komponente dieses Netzwerks ist eine digitale Plattform, auf der gemeinnützige Organisationen ihre rechtlichen Anfragen stellen können. Anschließend werden sie mit Anwälten in den jeweiligen Rechtsbereichen verknüpft. Diese innovative Herangehensweise ermöglicht es den Organisationen, sich auf ihre Hauptziele zu konzentrieren, ohne von rechtlichen Herausforderungen behindert zu werden. Sie können sich, wie Frank Fabian es ausdrückt, auf ihre Kernaufgabe konzentrieren: „Gutes zu tun“.

Inspiration für die Zukunft

Auch wenn sie nicht zu den Top Drei gehörten: Es gab weitere Unternehmen, die in ihren Einreichungen für den Preis mit ihrem Engagement beeindruckten. In ihrer Festrede unterstrich Dr. Christine Arbogast, Staatssekretärin im Niedersächsischen Sozialministerium: „Mein herzlicher Dank gilt allen, die sich nicht nur mit Blick auf wirtschaftlichen Erlös, sondern auch auf soziale Verantwortung engagieren – und davon gibt es sehr viele. Sie tragen enorm dazu bei, den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft zu sichern.“
Selbstverständlich dürfen es gerne noch mehr werden. An die Preisträger gewandt sagte IHK-Vizepräsidentin Anja Junicke: „Ich wünsche Ihnen, dass Ihr Engagement gesehen wird und Sie damit in die Welt hinausgehen – und dass Sie eine Inspiration sind für alle, die Ihnen folgen werden und sich in Zukunft auch sozial engagieren.“
 
„Im Großen wie im Kleinen – jeder kann etwas tun“

Herr Roshandel und Frau Hoyer, herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des IHK-Sozialtransferpreises. Welche persönliche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie?

Samir Roshandel: Wir können darauf aufmerksam machen, dass es allein in unserer Region 5000 Kinder gibt, die von Bildungsarmut betroffen sind und in ärmlichen Verhältnissen leben – viele wissen das gar nicht. Es ist wichtig, dass wir gerade die Unternehmen für dieses Thema sensibilisieren. Viele klagen darüber, dass sie ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können, weil die Bewerber nicht qualifiziert genug sind. In Deutschland haben wir über 51 000 Schulabbrecher, also Jugendliche, die die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen. Die Bildungshelden tun etwas dafür, dass sich die Situation nicht noch weiter verschärft. 
Claudia Hoyer: Um das Projekt langfristig am Laufen zu halten, braucht es viel Unterstützung. Deshalb freue ich mich sehr über den Siegerscheck. Das ist viel Geld für die Bildungshelden und ihren Standort Salzgitter. Damit können tolle Projekte umgesetzt werden. Ich hoffe, dass die Auszeichnung dazu beiträgt, dass das Netzwerk von Unternehmen, die sich für die Bildungshelden engagieren, noch größer wird.

Wie wird die Arbeit der Bildungshelden finanziert?
Roshandel: Durch Fördermittel und Spenden, wobei jeder Cent zählt. Aktuell betreuen wir über 500 Kinder, und mit zusätzlichen finanziellen Mitteln könnten wir noch mehr Kindern helfen.
Hoyer: Was gemeinnützige Organisationen wirklich benötigen, ist eine kontinuierliche Unterstützung. Die Bildungshelden wollen die Kinder bis zum Ende der Schule begleiten und fördern. Deshalb wäre es großartig, mehr Unterstützer zu gewinnen, die regelmäßig helfen. So könnten die Bildungshelden mit mehr Planungssicherheit in die Zukunft blicken.

Was ist Ihnen bei der Arbeit mit den ­Kindern besonders wichtig?
Roshandel: Es ist nicht nur ein Schulfach und auch nicht allein das Thema Bildung – stattdessen tragen viele Faktoren dazu bei, ein Kind zum Erfolg zu führen. Es geht vor allem darum, den Kindern zu helfen, ihre eigenen Stärken zu erkennen und an sich selbst zu glauben. Durch Projekte im Bereich Entrepreneurship fördern wir unternehmerisches Denken und Handeln. Unser Ziel ist es, Kinder so zu stärken, dass sie eigenständig lernen und sich entwickeln können. Davon profitieren auch die Unternehmen und die Wirtschaft, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels.

Gibt es einen speziellen Moment in Ihrer Arbeit, der sich Ihnen besonders eingeprägt hat?
Roshandel: Als wir urlaubsbedingt schließen mussten und ein Kind davon erfuhr, war es ziemlich traurig und hat gesagt: „Was soll ich denn jetzt machen?“ Dies verdeutlicht, dass nicht alle Kinder sich auf die Ferien freuen, wenn sie nicht verreisen können und stattdessen sechs Wochen lang auf engem Raum mit ihrer Familie zusammenleben müssen. Daher ist unser Ferienprogramm so wichtig. Es geht dabei nicht nur um Bildung, sondern bietet den Kindern einen Raum, in dem sie sich austoben können.
Hoyer: Die Bildungshelden ermöglichen es Mädchen und Jungen, ins Kino zu gehen oder zu klettern. Solche positiven Erfahrungen außerhalb der Schule und des Zuhauses sind inspirierend und fördern die persönliche Entwicklung. Leider können viele Elternhäuser ihren Kindern solche Erlebnisse nicht bieten.

Welche Botschaft verbinden Sie mit Ihrem sozialen Engagement?
Hoyer: Im Großen wie im Kleinen – jeder kann etwas tun. Jedes Unternehmen und jeder Mensch sollte Verantwortung für ein besseres Zusammenleben in unserer Gesellschaft übernehmen. Wir leben in dieser Region und verdienen hier unser Geld. Deshalb ist es nur fair, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben. Wir merken in der TAG, dass es unserem Team wichtig ist. Im Jahr 2024 werden wir einen „Social Day“ einführen und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Tag freigeben, um sich sozial zu engagieren. 
Roshandel: Ich gebe den Kindern und Jugendlichen die Unterstützung weiter, die ich selbst erfahren habe. Ich bin Deutschland dankbar für die Chancen, die mir geboten wurden. Ich möchte den Eltern vermitteln: Deutschland eröffnet euch und euren Kindern Möglichkeiten, etwas aus euch zu machen. Mit meiner eigenen Migrationsgeschichte kann ich das Thema Bildungserfolg authentisch an Kinder und Jugendliche und vor allem an deren Familien vermitteln und als Vorbild dienen.

Was geschieht mit dem Preisgeld in Höhe von 10 000 Euro?
Roshandel: Wir planen, in den Sommerferien ein zweiwöchiges Camp für die Kinder zu veranstalten, wo sie mit allem versorgt sind – von der pädagogischen Betreuung bis zu Essen und Trinken. Unser Ziel ist es, auch in den weiteren Ferienzeiten ein außerschulisches Programm anzubieten, sofern wir weitere Unterstützung von Spendern erhalten.
1/2024