Der IHK-Sommerempfang 2025 in Bad Harzburg - Von der Region in die Welt

Das historische Vollblutgestüt in Bad Harzburg fungierte zumindest für einige Stunden als Mittelpunkt der hiesigen Kammerwelt, als sich die regionale Wirtschaftsprominenz zum traditionellen Sommerempfang der IHK Braunschweig am 19. Juni zusammenfand. Zwischen Fachgesprächen und heiterem Plausch an einem inszenierten Tresen dauerte es nicht lange, bis IHK-Präsident Tobias Hoffmann, Hauptgeschäftsführer Dr. Florian Löbermann und Gastgeber Dirk Junicke ihre nur scheinbar private Unterhaltung ins Publikum verlagerten und die über 600 Gäste, darunter auch Festredner David McAllister, offiziell willkommen hießen.
Nach dem lockeren Einstieg wechselte die Stimmung rasch zu ernsteren Tönen. Hoffmann und Löbermann zeichneten ein Bild einer Wirtschaftslage, die sich seit dem letzten Sommerempfang kaum gebessert hat: Geopolitische Spannungen, allgemeine Abwärtsrisiken und diffuse Handelspraktiken – vor allem aus den USA – belasten Unternehmen zunehmend. Dr. Löbermann fand klare Worte: „Die Wirtschaft unserer Region kommt aus dem Stimmungstief leider nicht heraus.“
Hilfreiche Signale empfing die Zuhörerschaft in einem digitalen Einspieler von Ministerpräsident Olaf Lies, der internationale Wettbewerbsfähigkeit als unerlässlich für die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft im Braunschweiger Land herausstellte und gleichzeitig den regionalen Schwerpunktreichtum in Mobilitätsindustrie, grüner Stahlerzeugung sowie Rohstoffgewinnung und -recycling betonte. „Es sind große Herausforderungen, aber in einer Zeit, in der es auch Lust macht, Zukunft zu gestalten. Wir brauchen eine starke Gemeinschaft aus Unternehmen und eine starke IHK“, gab sich Lies optimistisch.
Die Wirtschaft unserer Region kommt aus dem Stimmungstief leider nicht heraus.

Dr. Florian Löbermann

Dickes Wolkenband überzieht die Wirtschaft

In seiner Eröffnungsrede rechnete ­Tobias Hoffmann mit den nach wie vor hohen Energiepreisen, den halbherzigen Zielvorgaben der Großen Koalition und einem hemmungslos wuchernden Bürokratieungetüm ab – allesamt Bremsklötze, die Investitionen und Innovation unaufhörlich im Keim ersticken und die internationale Wettbewerbsfähigkeit stören. Statt Wachstum stehe vielerorts nur noch der Erhalt bestehender Strukturen im Vordergrund. Mittelständler und Global Player litten gleichermaßen unter unsicheren Rahmenbedingungen, freie Stellen seien im Jahresvergleich um 18 Prozent zurückgegangen. Handel und Gastronomie spüren bereits eine wachsende Konsumzurückhaltung, während Kommunen durch zusätzliche Aufgaben ohne ausreichende Finanzmittel unter Druck geraten. ­Hoffmann sprach nicht zu Unrecht von einer „wirtschaftsfeindlichen Politik“, die ihren Ursprung nicht nur in Washington und Peking hat, sondern auch in Brüssel, Berlin und Hannover.
Weitere Herausforderungen bleiben zum Unmut der Unternehmerinnen und Unternehmer nicht aus: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sorge kurioserweise für eine Bürokratiezunahme und stelle aus Sicht der Wirtschaft ohnehin eine redundante Dopplung mit Blick auf die in Kürze gültige EU-Regelung dar. Kritik richtete er explizit an Brüssel, wo etwa die CSRD-Richtlinie im Zuge der Nachhaltigkeitsberichterstattung unnötige Belastungen schaffe. Hoffnung setzt die IHK dagegen auf die geplante „Omnibus-Verordnung“ der EU, die Nachhaltigkeitsvorschriften vereinfachen und den Wettbewerbsnachteil mindern soll.
Die Elektrifizierung ist der Schlüssel zur Dekarbonisierung und sie bietet neue Chancen.

Tobias Hoffmann

Auf lokaler Ebene bestehe vor allem beim Thema Mobilität

Verbesserungsbedarf: Der seit Langem geforderte Lückenschluss der A 39, ein gut ausgebauter ÖPNV und eine bessere Anbindung wichtiger Wirtschaftsstandorte – etwa der Volkswagen-Batteriezellfabrik in Salzgitter-Beddingen – seien unverzichtbar. Dass es bislang keine Buslinie zwischen dem Braunschweiger Hauptbahnhof und diesem Zukunftsprojekt gebe, bezeichnete er als „paradox“. Ebenso forderte er lebenswertere Innenstädte, die nicht durch pauschale Ablehnung des motorisierten Individualverkehrs geschwächt werden. „Die Elektrifizierung ist der Schlüssel zur Dekarbonisierung und sie bietet neue Chancen; Parkmöglichkeiten dürften jedoch nicht weiter abgebaut werden, um Einzelhandel und Gastronomie zu schützen“, so der IHK-Präsident, der damit auch eine unmissverständliche Botschaft an alle anderen Mitgliedsunternehmen sendete: Mit besonderem Nachdruck würden die Belange der Unternehmenslandschaft auf dem politischen Spielfeld vertreten.

Lichtblicke geben Zuversicht

Trotz aller Herausforderungen blickt die IHK auch nach vorn. Der 250. Geburtstag von Carl-Friedrich Gauß – dem ältesten Sohn der Stadt – soll im Jahr 2027 genutzt werden, um die bei zahlreichen jungen Menschen in Ungnade gefallenen naturwissenschaftlichen Fächer salonfähiger zu machen. Vor diesem Hintergrund wird erstmals auch der IHK-Technologietransferpreis bundesweit ausgeschrieben. „Wir müssen weiterhin dafür Sorge tragen, dass Braunschweig weiterhin als ‚place to be‘ für angehende Forschungen aller Art erachtet wird“, bekräftigte Hoffmann. Als eine der forschungsintensivsten Regionen Europas müssten die Löwenstadt und ihre Anrainer ohnehin mehr fürs eigene Image tun. Hilfe erhält die Stadt immerhin von ihren zahlreichen Wirtschaftsverbünden, „denn Standortmarketing funktioniere nur gemeinsam“.
Ein besonderes Augenmerk legte Hoffmann auf die sicherheitspolitische Stabilität im paneuropäischen Kontext. Der geplante „Sicherheitspolitische Dialog Niedersachsen“ soll Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Bundeswehr und Verbände an einen Tisch bringen, um Verteidigungs- und Logistikszenarien durchzuspielen, der mit Blick auf den weiter ausufernden russischen Angriffskrieg in der Ukraine unverzichtbar sei. „Wir müssen dieser bitteren Realität ins Auge blicken, denn dazu zwingt uns der Aggressor“, bekannte sich Hoffmann am Ende seiner Rede.

Europäische Stärke und globale Verantwortung

Festredner David McAllister brachte auf der langen Autofahrt von Brüssel nach Bad Harzburg nicht nur internationalen Flair mit ins Harzvorland, sondern auch ein beherztes Plädoyer für den Standort Europa, wenngleich gegenwärtige Krisen das komplexe Gebilde ins Wanken bringen – nicht zuletzt durch die Kapriolen des Brexits. Als Vizepräsident der Europäischen Volkspartei (EVP) und aktiver Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament verlieh er dem Abend eine klar europäische Perspektive und blickte auf die 75-jährige Erfolgsgeschichte der Europäischen Union und ihrer Vorgängerorganisationen zurück und erinnerte dabei an Konrad Adenauer, durch dessen Wirken das zerstörte Deutschland in die europäische Gemeinschaft reintegriert wurde. Die historische Entwicklung, so McAllister, sei ein Beweis dafür, wie aus einem jahrhundertelangen Konfliktgebiet ein stabiler Staatenbund wurde – das Fundament für Wohlstand und Frieden, ohne Zutun externer Mächte.
Europa muss seine Hausaufgaben machen.

David McAllister

Doch McAllister beließ es nicht bei Rückblicken. Er forderte eine deutlich stärkere Konsolidierung der europäischen Politik, um geopolitischen Risiken wie dem russischen Angriffskrieg oder der wirtschaftspolitischen Unberechenbarkeit der USA begegnen zu können. „Gerade ein Donald Trump könne dazu beitragen, dass Europa enger zusammenrückt und seine Eigenständigkeit stärkt. Die tagtäglichen Unberechenbarkeiten zwingen Europa fast schon dazu, sowohl in der Wirtschafts- als auch in Außenpolitik eine einheitliche Strategie zu formen“, so der frühere niedersächsische Ministerpräsident.
Er sprach sich entschieden gegen nationalistische Abschottungstendenzen aus und betonte die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Linie in Handel, Sicherheit und Migration. Europa sei auch auf qualifizierte Einwanderung angewiesen, müsse zugleich aber irreguläre Migration eindämmen und Fluchtursachen bekämpfen. „Das nationalistische Gespenst darf unter keinen Umständen wieder sein Unwesen treiben“, appellierte McAllister eindringlich.
In der Handelspolitik könne die EU ihre Stärken offensiver ausspielen. Der Binnenmarkt sei „eine einzigartige Erfolgsgeschichte“ und das Rückgrat des europäischen Wohlstands, offene Grenzen daher unverzichtbar. Mit Blick auf lange Lkw-Staus an den Grenzen mahnte ­McAllister, Handelshemmnisse konsequent abzubauen. Ebenso sei es Zeit, die außenpolitische Handlungsfähigkeit zu erhöhen – vom Umgang mit dem Ukraine-Krieg bis zur eigenständigen militärischen Absicherung. „Europa muss seine Hausaufgaben machen“, schloss McAllister, „denn ohne mehr Geschlossenheit, wirtschaftliche Stärke und sicherheitspolitische Eigenständigkeit wird es schwer, im globalen Wettbewerb zu bestehen.“

Internationaler Dialog bildet Abschluss

Der anschließende von Dr. Löbermann moderierte Thementalk mit Melanie Vogelbach, Bereichsleiterin Internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftsrecht der DIHK, und dem live zugeschalteten Geschäftsführer der AHK USA in San Francisco, Sven Potthoff, startete mit einer Einschätzung von ­Katharina Felgenhauer, Geschäftsführerin der AHK Marokko, die ebenfalls eine digital zugespielte Botschaft parat hatte: „Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern langsamer, was sich entsprechend in der Konkurrenzfähigkeit niederschlägt.“ ­Vogelbach bestätigte diese Einschätzung und sprach von einer „weitaus weniger abgestimmten und strategisch präzisen“ Position Deutschlands im globalen Wettbewerb. Potthoff wiederum schilderte die Sorgen vieler deutscher und amerikanischer Unternehmen in den USA, die vor allem unter der unberechenbaren Zoll- und Handelspolitik eines immer unvorhersehbarer werdenden Präsidenten Trump litten. Willkürlich geänderte Zollsätze und Regularien erschwerten nicht nur die Planbarkeit, sondern auch den langfristigen Marktzugang. „Die Unternehmen vor Ort werden immer nervöser. Während die republikanische Regierung die Zollpolitik als Erfolg verbucht, steht die Stimmung vieler Betriebe dieser Einschätzung diametral gegenüber“, so Potthoff.
Trotz dieser Risiken wurden auch Chancen sichtbar: Die Abwanderung von Spitzenwissenschaftlern in den vergangenen Jahren könnte sich teilweise umkehren, wenn sich neue Rahmenbedingungen und Förderprogramme in Deutschland und Europa etablieren. Auch die Diversifizierung internationaler Partnerschaften, etwa mit Staaten in Nordafrika, böte Potenzial für neue Absatzmärkte und technologische Kooperationen.
Zum Ausklang des Abends griff die IHK auf eine liebgewonnene Tradition zurück: den Wurf eines 1,50 Meter großen Dartpfeils. Unter Applaus der Gäste landete dieser auf einer überdimensionalen Dartscheibe in Helmstedt – und legte damit den Austragungsort des nächsten IHK-Empfangs fest. Am 13. Januar 2026 wird dort das nun wieder als Neujahrsempfang stattfindende IHK-Event die Gelegenheit bieten, viele der an diesem Tag diskutierten Themen erneut aufzugreifen.
Weitere Eindrücke des Abends finden Sie hier.
jk
6/2025