Wenn das Auge das Herz berührt - 75 Jahre Kunstgalerie in der Schuhstraße 42

Ist das wirklich so: In den 50er-Jahren changierte der Kunstgeschmack zwischen piefig und miefig, mit den 60ern kam Schwung in die Kunstmarktbude, und der viel geliebte und später ebenso viel bespöttelte röhrende Hirsch über dem Kaminsims verschwand in der Mottenkiste? Und die Moderne hielt Einzug? Gewiss, der Kunstmarkt ist in den letzten Jahrzehnten äußerst unberechenbar, aber für den Braunschweiger Galeristen Olaf Jaeschke trotzt in all den Jahren ein Kriterium quasi sturmfest und erdverwachsen den Launen der Exzentriker, das den Publikumsgeschmack früher wie heute prägt: „Das Kunstwerk muss es einem Wert sein.“ Poetischer bringt es dieser Satz auf den Punkt, den man wohl als Jaeschkes Firmenphilosophie beschreiben darf: „Kunst ist, wenn das Auge das Herz berührt.“
In der Schuhstraße 42 in Braunschweigs Innenstadt wurde in der Nachkriegszeit ein „Haus aus Restgerümpel“, so Jaeschke, zusammengebaut, in dem 1950 eine Galerie einzog. Horst Wiedemann aus Chemnitz eröffnete hier seine Bilder-Etage. Horst ­Jaeschke, der zunächst als Buchhalter bei Wiedemann arbeitete, übernahm zehn Jahre später. Sohn Olaf verantwortet die Geschäfte seit 1994, dem Geburtsjahr von Tochter Jana, mit der er sich mittlerweile die Geschäftsführung teilt.
Kunst ist, wenn das Auge das Herz berührt.

Olaf Jaeschke

Adi Holzer hat er einfach angesprochen

Von dem Restgerümpel der Anfangsjahre ist nichts geblieben. Lichtdurchflutete 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche werden heute von Vater und Tochter sowie zwölf Mitarbeitenden bespielt. Werkstatt, Lager und Digitaldruckerei sind in einer großen Halle in Rautheim untergebracht. Um ein bisschen in die Anfänge einzutauchen, muss der Galerist also aus dem Nähkästchen plaudern. Bei Vater Horst habe er immer den Drang ausgemacht, „ins Moderne zu wollen“. Voller Ideen sei er gewesen, immer bereit, Neues zu wagen. Der legendäre Galerist Rolf Schmücking, ein weltläufiger Kunstkenner mit Dependancen auf Sylt und in Basel, habe den ein oder anderen Kontakt vermittelt. „Das war ein gutes Entree.“ Vater Horst sei aber auch nicht zu bang gewesen auf Künstler zuzugehen: „Adi Holzer hat er in Klagenfurt einfach angesprochen.“
Adi Holzer und Hans-Georg Assmann, „den wir Jahrzehnte begleitet und für dessen Nachlass wir Verantwortung übernommen haben“, sind nur zwei klingende Namen von vielen, die während unseres Gesprächs fallen werden. Aber ebenso sei seinem Vater und auch ihm die solide kaufmännische Seite der Galerie stets ein Anliegen gewesen. „Der Ast, auf dem man sitzt, sind Rahmung, Restaurierung, klassische Kunst.“ So hätten die klassischen Gemälde Horst Jaeschke erst ermöglicht, eine moderne Galerie zu entwickeln.

„Viel Heide, viele Hirsche. So ging das los bei Papa“

„Erzähl doch mal von Zschiedrich“, sagt Jana Jaeschke. Olaf schmunzelt: „Alfred Zschiedrich kam jede Woche mit großen Rollen seiner Schinken. Viel Heide, viele Hirsche. So ging das los bei Papa.“ Als die junge Geschäftsführerin in die Galerie einstieg, entdeckte sie „gefühlt 5000 Rollen Zschiedrich“ auf dem Dachboden. Und weil Jana ganz in der Tradition ihres Vaters und Großvaters operiert, entwickelte sie auf Grundlage der alten Schinken eine pfiffige Idee, die auf originelle, moderne Weise Kunst, Nachhaltigkeit und Event verschmilzt. Für Firmen, Gruppen oder „Mädelsabende mit Prosecco“ bietet die Galerie Action Painting der anderen Art an: die Gemälde von Zschiedrich werden nach eigenem Gusto der Gäste aufgemöbelt. Übermalt, übersprüht, überschrieben – je nach Fasson der Dachboden-Fundstück-Nachverwerter.
Da stehst du dann schon mal in Socken auf der Matratze und turnst über das Bett des Kunden, um Bild um Bild an die Wand zu halten.

Olaf Jaeschke

Im Laden stehen und der Kundschaft harren, die von selbst irgendwie den Weg in die Galerie findet, und Rahmen und Kunst verkaufen – diese Warteposition entspricht nicht dem Selbstverständnis beider Geschäftsführer. „Ich möchte den Nachwuchs fördern, gern Frauen die Chance geben, in der Kunstszene gesehen zu werden.“ Mit der Braunschweiger Weinbar Tomrobins hat sie eine Kooperation eingefädelt, in der IHK Lüneburg-Wolfsburg stellt sie Anna Lipski aus.

Meisterschüler muss ein Kunstvermittler nicht sein

Mal eine ganz andere Frage: Muss man eigentlich malen können, um Kunst vermitteln, verkaufen zu können? Jana Jaeschke lacht und wirft das lange Haar in den Nacken. Sie sei nicht besonders begabt, kassierte schon mal eine vier in Kunst auf dem Zeugnis, was wiederum ihren Vater derart auf die Zinnen brachte, dass er ein Gespräch mit der Kunsterzieherin suchte und dieser seine Sicht, was Kunst sei, verklickerte. Kurz gesagt: Nein, man muss kein Meisterschüler sein. Jana wollte nach dem Abitur erst mal raus, „was lernen, was erleben“. Sie arbeitete als Fernsehredakteurin bei RTL, mit 24 nahm sie sich eine Auszeit für Work & Travel in Australien. „Ich hing gerade in einem Campingstuhl, irgendwo in der Pampa, als ich Papa am Handy hatte, der mich fragte, ob ich in die Galerie einsteige.“ Sie ließ das sacken, studierte noch BWL und Kunstgeschichte in Berlin, machte Praktika, sammelte erste „tolle Erfahrungen“ beim Einrichten der Arbeiten von Heinz Mack bei der Biennale in Venedig 2022.

Lieben lernen, mit Kunst zu leben

Bei Olaf Jaeschke war es nicht anders: nach dem Abitur erst mal raus. Lehre bei der Galerie Vogel in Heidelberg, danach zwischen einer Leistenfabrik in München und Sotheby‘s London reichlich Erfahrungen sammeln. 1994 übernahm er dann von Vater Horst. Früher wie heute „sind das Kerngeschäft die Ausstellungen, die Gespräche, die Kundenpflege“. Jaeschke sieht sich auch als jemanden, der Hemmschwellen abbauen will, der möchte, dass Menschen sich Kunst zutrauen, ihren eigenen Geschmack formen und es lieben lernen, mit Kunst zu leben. Wie muss man sich so einen Kunstkauf eigentlich konkret vorstellen? Na, da kämen schon oft Leute mit ihrer Tapete oder einem Stück Stoff herein. Und dann beginnt die Arbeit, dann muss man schauen, wie bereit sie sind, sich auf etwas einzulassen. Was es ihnen wert ist. 35 000 Euro für ein paar Nägel in einem buchkleinen Objekt? Ein Werk von Günther Uecker, okay, aber schon happig, oder? Da sind die Diskussionen damals wie heute manchmal ganz ähnlich.

Mit Socken im Bett der Kunden rumturnen

Und dann geht‘s natürlich ab nach Hause zu den Kunden. „Da stehst du dann schon mal in Socken auf der Matratze und turnst über das Bett des Kunden, um Bild um Bild an die Wand zu halten.“ Namen nennen die beiden nicht, Diskretion ist selbstverständlich, nur so viel: es sind auch einige bekannte Namen aus Wirtschaft und Musikszene darunter. Noch schöner als der Promiglanz sind Geschichten wie diese für Jaeschke: Einmal quatschte ihn am Büfett ein Berg von einem Mann von der Seite an: „Meinen ersten Dali habe ich bei ihrem Vater gekauft.“ Der Zugang zur Kunst war gelegt, die Leidenschaft entfacht, der Mann, von Berufs wegen in einem ganz und gar kunstfernen Metier unterwegs, wurde zu einem großen Sammler. Und glücklich. Und was hängt bei der Juniorchefin? Den Berliner Cevin Parker findet man bei ihr ebenso wie Straßenkünstler aus Lissabon. Olaf Jaeschke schenkte ihr zum Bachelor ein Werk von Jörg Döring, seit Jahren immer mal wieder mit einer Ausstellung in der eigenen Galerie vertreten.
Ich möchte den Nachwuchs fördern, gern Frauen die Chance geben, in der Kunstszene gesehen zu werden.

Jana Jaeschke

Verantwortung ist das Lebensgefühl des Galeristen

Ein Wort, das sich wie ein roter Faden durch das Gespräch zieht, ist Verantwortung. Olaf Jaeschke liegen die Innenstadt und ein florierender Handel am Herzen, seit Jahren ist er IHK-Vizepräsident und Vorsitzender des Handelsausschusses. Selbst wenn Tochter Jana nicht in die Geschäftsführung eingestiegen wäre, hätte er für den Fortbestand der Galerie gesorgt. Dass so eine Institution einfach aus der Stadt verschwindet, das hätte seiner Verantwortung widersprochen. Klar, es gibt mittlerweile auch einen Onlineshop, aber der Ausstellungsort, der Raum für Gespräche sei nach wie vor das Herz der Galerie.
Er habe sich stets nicht nur als Vermittler und Verkäufer gesehen, sondern als jemanden, der Spuren hinterlässt. Die lebensechten und zugleich überlebensgroßen Figuren von Christel Lechner und deren reich gedeckter Tisch vor dem Schloss, der sich zum Selfie-Hotspot mauserte, werden noch vielen in Erinnerung bleiben. Das Rizzi-Haus ist noch so eine markante Spur eingangs des Magniviertels, ebenso die Deckenmalerei von Enrico Pellegrino in der Zwiebelturmkirche in Timmerlah sowie Wandgemälde im Marienstift und Kirchenfenster in der Emmauskirche von Adi Holzer. Jana setzt diese Spuren fort, verantwortete nun im Neubau des Marienstifts Farbschema und künstlerische Ausgestaltung, unter anderem mit Ottmar Hörls Schutzengeln. Egal, ob es die Kooperation mit der Kunstwerkstatt Villa Luise der Evangelischen Stiftung Neuerkerode ist, der Karnevalsorden oder die Weihnachtskugeln – Kunst im Dienste des guten Zwecks hat Olaf Jaeschke auch ein ums andere Mal angeschoben.
suja
3/2025