Die digitale Schiene nimmt Tempo auf – mit Sicherheit

Am Tag unseres Interviewtermins ist Albrecht Teich, na klar, mit der Bahn von Mannheim nach Braunschweig gefahren. Um diese Wegstrecke zurückzulegen, ziehe ihn nichts auf die A5 und die A7 in das Auto, sagt er. „Ich reise lieber mit dem Zug und genieße meine Fahrt.“ Er habe reibungslos auf seinem reservierten Sitz Platz nehmen können; auf der Route sei das WLAN durchgängig verfügbar gewesen, sodass er seine lange E-Mail-Liste abarbeiten konnte; und am Zielort Braunschweig sei sein Zug fahrplangerecht angekommen. Kurzum: „Heute ist die Bahn unschlagbar gewesen.“
Albrecht Teich ist Geschäftsführer der Stadler Signalling Deutschland GmbH. Signalling – zu Deutsch: Signaltechnik – ist die Übermittlung von Information zu Steuerungszwecken. Neue Hochgeschwindigkeitszüge sind mit hohem Tempo unterwegs, sie erreichen Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 300 Stundenkilometern. Damit sie und alle anderen Züge sicher auf den viel befahrenen Gleisen unterwegs sein können, gibt es Zugsicherungssysteme. Diese digitalen Systeme steuern und überwachen den Verkehr auf der Schiene – wie das vielzitierte European Train Control System (ETCS), das den Triebfahrzeugführern zur Seite steht, die Abstände der Züge zueinander erkennt und im Notfall in die Zugsteuerung eingreift.
Um den sicheren Zugverkehr zu gewährleisten, erfüllt Stadler Signalling eine wichtige Rolle. Das Produktportfolio reicht von der Einzelweichensteuerung über Fahrsignalanlagen bis hin zur komplexen Zugsicherung mit elektronischen Stellwerken und der dazugehörigen Leittechnik. „Mit unseren Produkten garantieren wir die sichere Fahrt entlang der Strecke – und wir sorgen dafür, dass der Zug automatisch stoppt, wenn es die Situation erfordern sollte“, sagt Albrecht Teich.
Auch Systeme zur dynamischen Fahrgastinformation zählen zum Leistungsangebot der Braunschweiger. An den Bahnhöfen informieren sie die Fahrgäste über einfahrende Züge, die Wagenreihung und Anschlussverbindungen. Zwar tragen diese Systeme keine Verantwortung für die Sicherheit, von hoher Bedeutung sind sie dennoch. Sie stillen das Informationsbedürfnis der Fahrgäste, weisen ihnen die richtigen Wege und sind ein wichtiger Faktor für die Kundenzufriedenheit.
Stadler Signalling Deutschland ist Teil der Stadler Rail Group. Der Systemanbieter von Lösungen im Schienenfahrzeugbau produziert seit mehr als 80 Jahren Züge und hat seinen Hauptsitz im schweizerischen Bussnang. In 23 Ländern sind über 13 500 Mitarbeitende an vielen Produktions-, Engineering- und Servicestandorten tätig – darunter das Team der im Jahr 1990 gegründeten BBR Verkehrstechnik GmbH. Von einem Ingenieurbüro hatte man sich zu einem erfolgreichen mittelständischen Unternehmen entwickelt, das seit 1. Januar 2022 unter dem Namen Stadler Signalling Deutschland firmiert. Mit der Übernahme verfolgt die Stadler Rail Group ein strategisches Ziel. „Es geht darum, im Bereich Signalling das Know-how auszubauen und so die Unabhängigkeit zu erhöhen“, betont Albrecht Teich.
Bisher musste die Stadler Rail Group die Systeme zur Sicherung und Beeinflussung von Zügen von Drittunternehmen beziehen. Das gehört nun der Vergangenheit an. In den vergangenen fünf Jahren hat die Gruppe ihren neuen Geschäftsbereich Signalling auf- sowie Schritt für Schritt ausgebaut – und in dieser Entwicklung ist die Einbindung der Braunschweiger Expertise für moderne digitale Signaltechnik-­Lösungen ein großer Meilenstein.
„Viele Kunden wünschen sich schlüsselfertige Gesamtsysteme aus einer Hand, die neben den Schienenfahrzeugen unter anderem auch die Stellwerke umfassen“, erklärt der Diplom-Ingenieur. „Stadler kann diese Anforderung erfüllen und die Signalling-Technologie in die Fahrzeuge einbeziehen.“ Aus dem Nichts diese Kompetenz mit eigenen Mitteln aufzubauen, wäre ein schwieriges Unterfangen gewesen und hätte viel Zeit erfordert. Im ­sicherheitskritischen Bereich „würde keiner ein solches System ohne den Nachweis kaufen, dass es sich viele Jahre erfolgreich bewährt hat“.
Der Großteil der 280 Mitarbeitenden von Stadler Signalling Deutschland sind Elektro-, Hardware- und Softwareingenieure – ausgestattet mit einem besonderen Händchen für die Systemintegration. Im internationalen Schienenverkehr herrscht große Dynamik. Zurzeit werden unzählige Streckenkilometer und tausende Fahrzeuge mit dem besagten Zugbeeinflussungssystem ETCS ausgerüstet. Der gemeinsame europäische Standard soll dem grenzüberschreitenden Zugverkehr neuen Schub verleihen.
Bei dieser Modernisierung und Digitalisierung der Schiene übernehmen die Braunschweiger eine wichtige Integrationsaufgabe. Neben der Entwicklung von On-Board-Equipment und Leit- und Sicherungstechnik für die Infrastruktur sind die Braunschweiger auch damit betraut, diese digitalen Lösungen in die Bestandstechnik einzubinden. „Wir fügen unsere modernen Komponenten mit der klassischen, konventionellen Technologie zum sicheren Gesamtsystem zusammen“, sagt Albrecht Teich.

Braunschweig und Baden-Württemberg wachsen zusammen

Der 56-Jährige besitzt zwei verschiedene Visitenkarten. Die eine weist ihn als Verantwortlichen am Standort Braunschweig aus, die andere als Chef der Stadler Mannheim GmbH. Das Unternehmen entwickelt Soft- und Hardwarekomponenten für die Fahrzeugsteuerung und hieß bis zu seiner Übernahme VIPCO. Bereits zuvor hatten die Baden-Württemberger und ihr Geschäftsführer Albrecht Teich eng mit Stadler zusammengearbeitet – bis der Schweizer Schienenfahrzeughersteller die Frage stellte: Könnt ihr euch vorstellen, wichtiger Bestandteil unserer Gruppe zu werden? „Ich habe dann erst einmal meine Mitarbeitenden gefragt, was sie davon halten würden“, erinnert sich Albrecht Teich zurück. Offensichtlich eine ganze Menge, denn vor drei Jahren wurde das Miteinander perfekt gemacht.
Wenn es darum geht, Unternehmen in die Stadler Rail Group einzubinden, ist ­Albrecht Teich also Experte. So ist es folgerichtig, dass man ihn und keinen anderen damit beauftragt hat, in Braunschweig die Verantwortung zu übernehmen und das neue Familienmitglied erfolgreich in die Stadler-Welt zu integrieren. Vor knapp einem Jahr hat er damit begonnen und seitdem die Doppelfunktion in Braunschweig und Mannheim inne. „Ich habe mir genau überlegt, ob ich diesen Schritt gehen möchte. Heute kann ich sagen: Die Entscheidung ist richtig. Mein Leben ist um eine wunderbare Aufgabe reicher geworden.“

Die Projektliste ist lang

Zahlreiche Kunden aus dem In- und Ausland, darunter Betriebe des öffentlichen Personennahverkehrs, Privat- und staatliche Bahnen, vertrauen auf die sicherheitsrelevanten Systeme von Stadler Signalling Deutschland. Die Projektliste ist lang, abwechslungsreich und international. In Norwegen hat man die Strecke von Bergen nach Fyllingsdalen und zwei Depots mit Fahrsignalanlagen ausgestattet. Sie dienen der Sicherung und dem Betrieb von verzweigenden Streckenabschnitten, darunter Abstellanlagen und Streckenzusammenführungen. Auch in der kanadischen Stadt Edmonton werden diese Systeme eingeführt.
Zurzeit erneuert Stadler die elektronischen Stellwerke in Guadalajara in Mexiko. Unter Berücksichtigung von Gleisbelegungen, Weichenzustandsmeldungen und ­Signalständen gewährleisten sie die Sicherheit entlang der Strecke und speisen den Zuglenkrechner mit wichtigen Informationen. Bereits im vergangenen Jahr unterzog man die elektronischen Stellwerke in Bursa in der Türkei und die der Ammertalbahn in Baden-Württemberg einer Verjüngungskur.
Mit der neuesten Generation von digitalen Zugbeeinflussungssystemen stattet Stadler die Stadtbahnen im kanadischen Calgary aus. Sie machen es möglich, dass häufig wiederkehrende Betriebshandlungen weitgehend von selbst ausgeführt werden und das Bedienungspersonal entlastet wird. Zur Übertragung und Auswertung von Informationen sind sowohl induktive Systeme als auch Koppelspulen im Einsatz.
Wir gestalten Mobilitätslösungen für die Zukunft

Albrecht Teich

In der Mobilitätswende ist Stadler treibende Kraft. Die Schiene gilt als umweltfreundlichstes Verkehrsmittel – sowohl im Hinblick auf den Transport von Gütern als auch bei der Beförderung von Fahrgästen. Im Vergleich zu Flugzeug und Auto hat die Bahn einen viel kleineren CO2-Fußabdruck. Um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, ist sie ein wesentlicher Baustein.
Es ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach der Bahn und der Verkehr auf den Schienen steigen wird – doch in jüngster Zeit hat die Anzahl der Schienenkilometer nicht zu-, sondern abgenommen. Die Leistungsfähigkeit des Schienennetzes gelangt an ihre Grenzen. „Im Prinzip haben wir nur die Chance, das Netz besser auszunutzen“, sagt Albrecht Teich. „Eine Möglichkeit ist, den Verkehr zu verdichten, indem man den Abstand von Fahrzeug zu Fahrzeug reduziert.“

Bahn muss an Pünktlichkeit und Komfort arbeiten

Moderne Leit- und Sicherungstechnik sorgt für die nötige Ordnung. Sie ist der Garant dafür, dass auf den Strecken mehr Züge mit weniger Verspätungen fahren können und der Verkehr auf den Straßen abnimmt. Vorausgesetzt, die Menschen sind vom Angebot überzeugt und steigen gerne in die Bahn ein. Aus diesem Grund ist es auch auf anderer Ebene erforderlich, dass sich die Dinge zum Besseren wenden. „Damit die Akzeptanz der Bahn weiter steigt, ist es wichtig, dass Pünktlichkeit und Komfort besser werden.“
Durch das gestiegene Umweltbewusstsein hat das Image der Schiene eine kräftige Aufwertung erfahren. Sie gilt als Hoffnungsträger für eine emissionsfreie Zukunft. „Früher war die Schiene nicht en vogue im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern. Heute ist das anders: Wir gestalten Mobilitätslösungen für die Zukunft“, sagt Albrecht Teich.
Auf dem Arbeitsmarkt macht er die Erfahrung, dass Auszubildende, Fachkräfte & Co größeres Interesse an den Karrierechancen zeigen, die ihnen der Schienenverkehr eröffnet. Da trifft es sich gut, dass unter dem Dach der Technischen Universität Braunschweig das Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrssicherung und das Institut für Verkehrswesen, Eisenbahnbau und -betrieb ansässig sind. „Studierende finden bei uns gute Möglichkeiten vor“, sagt Patrick Trost, Abteilungsleiter Vertrieb & Projekte bei Stadler Signalling. Die Aussicht, an internationalen Standorten unterschiedliche Aufgaben übernehmen und mit Kollegen und Kunden aus mehreren Ländern zusammenarbeiten zu können, ist eine starke Trumpfkarte beim Finden und Binden guter Mitarbeiter.

Bahnbegeisterung in die Wiege gelegt

Schon von Kindesbeinen an ist Albrecht Teich großer Bahn-Enthusiast, er brennt regelrecht für den Schienenverkehr. Sein Vater war in derselben Branche tätig und nahm den Sohn mit, wenn neue Loks zu ihren Jungfernfahrten aufbrachen. „Die Leidenschaft für die Eisenbahn wurde mir eingeimpft“, sagt er lachend.
Was bedeutet, dass er nun genau am richtigen Ort ist. Die Region ist eng mit der Erfolgsgeschichte der Bahn verbunden. In ihr liegt die Wiege der ersten deutschen Staatseisenbahn, die im Jahr 1838 zu ihrer Premierenfahrt aufbrach und sich auf den Weg von Braunschweig nach Wolfenbüttel machte; in Vienenburg ist der älteste noch erhaltene deutsche Bahnhof beheimatet; und in den Sammlungen des Braunschweigischen Landesmuseums befindet sich das erste deutsche Stellwerk, das einst für den Bahnhof Börßum errichtet wurde.
Die Leidenschaft für die Eisenbahn wurde mir eingeimpft

Albrecht Teich

Auch über diese besondere Ausprägung der regionalen Industriekultur hinaus fühlt sich Albrecht Teich in Braunschweig ausgesprochen wohl. „Ob in Mannheim oder in der Schweiz: Überall mache ich mit großer Überzeugung Werbung für Braunschweig. Die Stadt ist bildhübsch und hat unglaublich viel zu bieten. Im Sommer vergangenen Jahres war ich erst wenige Tage hier – und schon durfte ich in der Arena auf dem Burgplatz der Open-Air-­Inszenierung von Aida beiwohnen und dem großartigen Orchester zuhören.“ Viele Jahre sei er wider besseres Wissen immer an der Stadt vorbeigefahren. „In Deutschland sollte viel bekannter sein, wie attraktiv Braunschweig ist.“

Neuer Betriebsleiter kommt nach Braunschweig

In Kürze hat Albrecht Teich mehr Freiraum in seinem Terminkalender, um die schönen Seiten der Stadt noch besser kennenlernen zu können. Stadler Signalling bekommt Unterstützung durch einen neuen Betriebsleiter, der aus der Schweiz nach Braunschweig zieht. Neben dem Ausbau der Mitarbeitenden ist auch die Erweiterung der Betriebsstätte in der Pillaustraße der Beleg dafür, dass sich das Unternehmen eine Menge vorgenommen hat.
Dass an einer Gebäudemauer noch das Logo der BBR Verkehrstechnik zu sehen ist, sei nicht der Rede wert. „Unser Standort definiert sich nicht nur über die Produkte, sondern auch über seine besondere Identität“, betont Albrecht Teich. Die ersten 30 Jahre der Unternehmensgeschichte hätten daran wesentlichen Anteil gehabt. „Unsere mittelständische Mentalität mit den Vorzügen einer internationalen Gruppe erfolgreich zu verknüpfen – darauf kommt es an.“