BW 03/2021 – Agenda

Kurs gesetzt – aber der Weg ist noch weit

Auch wenn der Status quo häufig als bequemste Variante des Wirtschaftens erscheint, ist er keine gute Lösung, denn: Die Digitalisierung ist gekommen, um zu bleiben
Eine Managementweisheit besagt „Don’t fix what is not broken“. Im Grundsatz ist daran nichts falsch, aber die Potenziale und Geschwindigkeiten, mit der digitale Technologien Arbeits- und Lebensverhältnisse angenehmer, effizienter und nachhaltiger machen, zeigen oft erst rückblickend, ob etwas „zu fixen“ war oder eben nicht. Der notwendige Wandel dafür kann zum einem auf der menschlichen Ebene zu Ablehnung führen, und zum anderen ist die Einführung von neuen Technologien anfangs kostspielig, unbequem sowie komplex, und der Status quo erscheint vielfach als die bequemste Variante des Wirtschaftens.
Als zweite Managementweisheit gilt: „Die Digitalisierung ist gekommen, um zu bleiben.“ Wobei diese sich noch stärker in den Köpfen von Unternehmern und Mitarbeitern festsetzen muss. Denn Veränderungsresistenz verursacht in Unternehmen oft höhere Kosten als der Wandel. Dazu zählen die verspielte wirtschaftliche Zukunft, fehlendes Wachstum und der letztendlich entgangene Gewinn. Unter Ökonomen werden diese Kosten als Opportunitätskosten bezeichnet, und mit der Corona-Pandemie wurden die Konsequenzen schlagartig klarer und spürbarer. Dass ein erster digitaler Kurs in der Berliner Wirtschaft gesetzt ist, zeigt die IHK-Digitalisierungsumfrage, die im Dezember 2020 durchgeführt wurde. Darin verdeutlichen über 300 Unternehmen, dass es für die erfolgreiche Unternehmensentwicklung und für den Berliner Wirtschaftsstandort als Ganzes mehr als zwei Managementweisheiten braucht.

Selbsteinschätzung der Wirtschaft

Mit ihrer Selbsteinschätzung zum Stand der Digitalisierung auf einer Notenskala von 1 (voll entwickelt) bis 6 (wenig entwickelt) geben sich die Berliner Unternehmen im Durchschnitt die Note 2,9. Damit liegen sie gleichauf mit dem Bundesergebnis. Aber Potenzial nach oben gibt es mit der Note „befriedigend“ reichlich.
Betriebe sehen vielfältige Potenziale der Digitalisierung. Die Hauptmotive sind dabei die strategische Unternehmensentwicklung (61 Prozent) und die Flexibilisierung des Arbeitens beziehungsweise neue Arbeitsmodelle. Dem schließt sich die Realisierung von Kostensenkungspotenzialen (Material, Energie, Zeit) mit 51 Prozent an, knapp gefolgt von der Nutzensteigerung der Produkte und Dienstleistungen (50 Prozent). Als Sondereffekt wirkt sich 2020 die Corona-Pandemie aus. 42 Prozent der Unternehmen geben Covid-19 als einen der Hauptgründe an, die für sie die Digitalisierung notwendig gemacht haben.
Die digitale Transformation stellt die gesamte Wirtschaft vor unternehmerische Herausforderungen. Branchenübergreifend stehen dabei die hohen Kosten beziehungsweise der hohe Investitionsaufwand an der Spitze. Es schließt sich an zweiter Position die Komplexität bei der Umstellung vorhandener Systeme und Prozesse an. Mit gut 35 Prozent werden auch die fehlenden zeitlichen Ressourcen als wichtige Herausforderung identifiziert. An vierter Position schlagen die Sicherheitsrisiken mit 30 Prozent zu Buche. Darüber hinaus beklagen sich drei von zehn Berliner Unternehmen über eine unzureichende Verfügbarkeit von schnellem Internet am Unternehmensstandort.
Die digitale Transformation beginnt im Maschinenraum jedes Unternehmens mit dem Einsatz und der Planung von neuen Technologien. Technologien der früheren Phasen der Transformation wie Cloud-Anwendungen gehören bereits bei sieben von zehn Unternehmen (66 Prozent) zum Stand der Technik oder sollen in den nächsten drei Jahren den Weg ins Unternehmen finden (23 Prozent). Als New Kids on the Block sollen in den nächsten drei Jahren die VR/AR-Technologie (20 Prozent), die Blockchain-Technologie (23 Prozent) und künstliche Intelligenz (31 Prozent) die digitale Transformation in Berliner Unternehmen weiter voranbringen.

Politische Unterstützung gefordert

Für Berlin gilt als Fazit der Regierungszeit von Rot-Rot-Grün, dass die Digitalisierung nicht nur organisatorisch eingeleitet, sondern endlich politisch priorisiert werden muss. Für Unternehmen muss die Politik vordringlich die Schaffung einer leistungsfähigen und flächendeckenden Breitbandinfrastruktur (55 Prozent) vorantreiben. Gefolgt von der Erleichterung des Zugangs zu Fördermitteln sowie Unterstützungsangeboten für Digitalisierungsvorhaben (47 Prozent). Nahezu gleich wichtig sind digitale Verwaltungsangebote für Unternehmen, die in einem Verwaltungsportal zusammengefasst werden sollen.
Die IHK Berlin hat bereits 2020 mit der „Berliner Digitaloffensive“ den Dialog mit Politik und Verwaltung gesucht, um Rahmenbedingungen „zu fixen“, und setzt diesen Schritt auch im Wahljahr 2021 fort.
von Vanessa Grühser