Fokus

Lernen im Lifecycle

Von frühkindlicher Sprachförderung bis zur Unterstützung für Auszubildende durch Senior Experten: So facettenreich sind die Bildungsangebote der Berliner Wirtschaft.
Bildung gehört zu den wichtigsten Begleitern für das ganze Leben. Damit möglichst viele Menschen in der Hauptstadt von einer guten Bildung im Lifecycle profitieren können, engagiert sich die Berliner Wirtschaft mit guten Ideen. Dazu gehört etwa Nano’s Kidsclub. „Über unsere Plattform können ukrainische Mütter für drei Stunden am Tag kostenlos Kinderbetreuung buchen, während sie im Elternbereich Hilfe in Sachen Job-, Wohnungssuche und Sprache bekommen oder auch einfach nur ein offenes Ohr für ihre Sorgen finden“, sagt die gebürtige Ukrainerin Alexandra ­Mendelez. „Auf 300 Quadratmetern bietet gleichzeitig ein Spielraum alles, was das Kinderherz begehrt“, ergänzt die russischstämmige Maria Köster. Beide Frauen leiten die gemeinnützige integrative Kinderbegegnungsstätte und die dahinterstehende Nano Nation gGmbH. Neben pädagogischen Förderangeboten runden wechselnde  Entertainmentauftritte das Spiel- und Spaßprogramm ab.
Doch nicht nur die Kleinsten gilt es in Berlin zu integrieren, sondern auch Schulkinder, Jugendliche und junge Erwachsene. „Daher werden wir 2024 unser Angebot auch für andere Zielgruppen ausbauen“, so die engagierten Leiterinnen. Aus der Ukraine stammende Schulkinder erhalten im Nano’s Kidsclub Nachhilfe in einer altersgerechten Lernecke, und für ukrainische junge Erwachsene bietet die Begegnungsstätte Praktikumsplätze an. „Wir haben im Laufe unserer Karrieren gelernt, dass Herausforderungen mutig anzunehmen und Krisen meistern zu wollen, auch den unabdingbaren Willen voraussetzt, lernen zu wollen“, betont Alexandra Mendelez. „Daher sind wir der festen Überzeugung, dass lebenslanges Lernen und die Weitergabe beziehungsweise der Austausch von Wissen zwischen Menschen eine große Rolle spielen und dadurch neue Ideen entstehen, die die Wirtschaft antreiben.

Sprache ist der Schlüssel

Die Basis für eine wirksame Bildung im Lifecyle beginnt bereits im Kindergarten. „Sprache ist der Schlüssel für Teilhabe und eine erfolgreiche Bildungskarriere“, sagt Stefan Spieker. Deswegen müsse sie – sowohl für Muttersprachler als auch für Kinder und Jugendliche, die Deutsch als Fremdsprache erlernen – systematisch von der Kita bis in die berufliche Ausbildung hinein gefördert werden. Fest steht dabei für den IHK-Vizepräsidenten: „Einzelmaßnahmen an bestimmten Stellen der Bildungskette werden nicht ausreichen, um die Bildungsqualität in Berlin effektiv und nachhaltig zu steigern.“ Es sei unerlässlich, die komplette Bildungskette in den Blick zu nehmen und unter anderem dafür Sorge zu tragen, dass nicht bereits in jungen Jahren Defizite entstehen, die sich später kaum beheben lassen. Verschiedene Bildungsangebote müssten in einer Gesamtstrategie verzahnt werden. „Die IHK sieht sich hier als Initiator, bereitet den Boden vor und bringt Politik, Wirtschaft und andere Stakeholder zusammen“, so Spieker. „2024 wird dies unter anderem in einem Festival der Berliner Wirtschaft mit dem Schwerpunkt im Bereich Bildung fortgeführt.“
Um die kontinuierliche Entwicklung von Fähigkeiten und Wissen in der Hauptstadt zu unterstützen, arbeitet die IHK Berlin bereits seit vielen Jahren mit ganz unterschiedlichen Angeboten gezielt an der Weichenstellung für eine attraktive Berufsbildung. Neu hinzugekommen sind im Werkzeugkasten für wirksame Bildung das Digital Education Lab und das Portal „weiterbildung.berlin“. Mit dem Lab hat die Kammer einen Raum geschaffen, in dem sich Partner aus der Bildungslandschaft im Netzwerk austauschen und digitale Innovationen für den künftigen Ausbildungsmarkt entwickeln können. Darunter finden sich Start-ups, aber auch andere Bildungsbegeisterte aus Wirtschaft, Praxis und Gesellschaft. Aktuell sind fast alle Büros vermietet. Auch im Jahr 2024 sind etliche Formate geplant, um Kooperationen zu fördern.
Im Rahmen des umfassenden Beratungsangebots weiterbildung.berlin arbeiten sämtliche wichtigen Akteure der Hauptstadt eng unter einem Dach zusammen, angefangen bei den Agenturen über den Senat bis zu IHK und Handwerkskammer. Das Portal ist seit September 2023 am Start. Unternehmen können mithilfe der zentralen Anlaufstelle alle Fragen rund um das Thema Weiterbildung klären. Dazu zählen auch Informationen darüber, welche Weiterbildungen grundsätzlich Sinn ergeben und gebraucht werden, welche Angebote qualitativ hochwertig sind oder wie sich eine Weiterbildung finanzieren lässt.
Viele weitere Formate stehen Interessierten zur Verfügung. Aber egal ob bei der Anpassungsqualifizierung inklusive Anerkennungsberatung, der betrieblichen Integration von Geflüchteten und Zugewanderten oder der Passgenauen Besetzung: Nur durch gemeinsame Anstrengungen unterschiedlichster Akteure lässt sich der Bedarf an Fachkräften auch in Zukunft sichern. Das zeigt eindrücklich ein Beispiel aus der Hotellerie und Gastronomie. In dieser Branche beginnen in der Hauptstadt zwar wieder mehr junge Menschen eine Ausbildung. Allerdings fehlen den vielen Azubis aus aller Welt ausreichende Deutschkenntnisse, um überhaupt die Chance auf eine erfolgreiche IHK-Abschlussprüfung und damit einen optimalen Karrierestart zu haben.
Hier setzt ein Pilotprojekt am Oberstufenzentrum (OSZ) Gastgewerbe an. Gemeinsam mit Partnern wie der IHK Berlin, dem Hotel- und Gastronomieverband sowie der Senatsschulverwaltung hat das OSZ einen fachspezifischen Sprachkurs ins Leben gerufen. „Für die Umsetzung eines solchen Projekts braucht es Mut zu neuen und pragmatischen Lösungen“, sagt Schulleiter ­Jürgen ­Dietrich. Der Berufssprachkurs für Gastronomie- und Hotelberufe findet seit Februar 2023 zwei Mal in der Woche am OSZ statt, um die Auszubildenden auf den Berufsschulunterricht vorzubereiten. „Das erste Fazit fällt vorsichtig positiv aus“, meint ­Dietrich.  „Wir haben 250 junge Menschen mit großen Sprachdefiziten identifiziert, von denen mittlerweile 60 in Sprachkursen gelandet sind.“  Warum die Quote trotz dieses wichtigen Fundaments für einen erfolgreichen Karrierestart nicht höher ist, darüber lasse sich nur spekulieren.

Ein Leben lang weiterbilden

Grundlagen schaffen, fundierte Berufswahlentscheidungen treffen, einen guten Einstieg in Beruf und Karriere schaffen und sich sein Leben lang weiterbilden: Insgesamt zählt die Bildungskette viele wichtige Glieder. Zu den unschätzbaren Werten für den Wirtschaftsstandort Berlin und die Bildung im Lifecycle gehört nicht zuletzt, Wissen an die nächsten Generationen weiterzugeben. Auch das lässt sich auf vielfältige Art und Weise tun.  Warum nicht das eigene Fachwissen in den Dienst der beruflichen Bildung stellen und ein Ehrenamt als Prüfer bei der IHK Berlin ausüben?
Oder nach dem Berufsleben im Rahmen von VerA Unterstützung bei der Ausbildung geben? VerA ist eine haupt- und ehrenamtliche Organisation unter dem Dach der Stiftung Senior Experten Service. Die Initiative bringt junge Menschen, denen die Ausbildung schwerfällt, mit ehrenamtlichen Fachleuten im Ruhestand zusammen: immer nach dem 1:1-Prinzip oder Tandem-Modell. Es ist sowohl für die Auszubildenden als auch für die Mentoren ein Erfolgsrezept. „Die persönliche Motivation für mein Engagement ist vielfältig“, erzählt Hans Strudthoff, Regionalkoordinator der Initiative im Berliner Raum und selbst Mentor bei VerA. „Ich habe genau wie andere Ausbildungsbegleiter einen persönlichen Mehrwert, der darin besteht, jungen Menschen zu helfen, Lebenserfahrung sowie berufliches Wissen weiterzugeben, Austausch über Generationengrenzen hinweg zu erleben und damit auch zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beizutragen.“ Besser kann man eine gute Idee nicht in die Tat umsetzen.
Von Jens Bartels