„Bekleidungsherstellung“ von Anja Lippert, Museen der Stadt Aschaffenburg

Heimschneiderei und Textilindustrie

Die Bekleidungsindustrie war bis Ende der 1980er Jahre in der Region Aschaffenburg ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Sie geht auf die Initiative von Johann Desch (1848-1920) zurück, der als erster in der Region Herrenbekleidung nach Standardmaßen und auf Vorrat herstellte, als ausschließlich noch Maßanfertigungen üblich waren. Mehr dazu in unserem Jubiläumsporträt Johann Desch.
Johann Desch hatte sich 1865 in seinem Geburtsort Glattbach eine eigene Schneiderwerkstatt eingerichtet. Er konnte sein Geschäft rasch vergrößern und zusätzliche Hilfskräfte einstellen. Um die weiter steigende Nachfrage zu befriedigen, begann er ab 1873 Lohnaufträge an andere Schneider in der Umgebung zu vergeben.
Weitere Betriebe entstanden, und 1905 wurden in der Region bereits 830 Heimarbeiter-Werkstätten mit über 2.000 Beschäftigten gezählt. 1936 waren es 13.500 Personen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist im Jahr 1955 ein Höchststand von 400 Betrieben verzeichnet, für die fast 14.000 Mitarbeiter tätig waren.
Die Aschaffenburger Bekleidungsherstellung war bis in die 1950er Jahre überwiegend im Verlagssystem organisiert: D.h., der Unternehmer ging in Vorlage, indem er die Materialien besorgte und auf Lager hielt, den Modellentwurf und den Stoffzuschnitt übernahm und für den anschließenden Absatz und Versand zuständig war. Das Nähen und Bügeln der Bekleidungsteile wurde in Lohnarbeit an Heimschneider vergeben. Für den Wiederaufbau der Aschaffenburger Bekleidungsindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg war das System der Heimarbeit ein wesentlicher Vorteil, da die zahlreichen unzerstörten Werkstätten rund um Aschaffenburg einen raschen Einstieg in die Produktion ermöglichten.
Die Blüte der Textilindustrie in der Region Aschaffenburg wurde in den 1960/70er Jahren erreicht, als die Zahl der Betriebe zwar sank, aber die Beschäftigungszahlen auf eine Rekordhöhe von 19.500 Beschäftigte im Jahr 1972 stiegen. Trotz des hohen Leistungsstandards und steigender Exporte musste seit dieser Zeit ein ständiger Rückgang der betrieblichen und personellen Kapazitäten verzeichnet werden. Die Ursachen lagen in der Einfuhr kostengünstiger Kleidung aus Billiglohnländern.