Leitartikel

Kleine Unternehmen – große Ideen

Von einer „aus der Rolle der Mutter heraus“ geborenen Idee zu einem der größten Sockenhändler Süddeutschlands: Sonja Beutel übernahm als Führungskraft für bis zu 600 Mitarbeiter die Verantwortung, bis sie zwei Kinder bekam. Es schlich sich das Gefühl ein, „in der Teilzeitfalle gelandet zu sein“.
Zeit für eine berufliche Neuorientierung. Anders als in den USA und Schweden sei das Thema Produkt-Fundraising vor zehn Jahren in Deutschland noch neu gewesen, sagt Sonja Beutel. Beim Produkt-Fundraising sammeln Schüler oder Vereine Bestellungen von Familienmitgliedern, Freunden und Nachbarn. Sie erhalten einen Teil des Verkaufspreises als Spende für ihre Schullandheimkasse oder Vereinsausfahrt. „Die Idee dazu kam mir, als ich um 22 Uhr noch Kuchen für den Schulbasar meiner Tochter gebacken hatte“, erzählt die Diplom-Betriebswirtin.

Arbeit, die glücklich macht

So gründete sie die Firma BUXandSOX, die Geschenkboxen mit Socken und anderen nützlichen Produkten anbietet. Dafür arbeitet ihr Unternehmen in Bad Saulgau mit vier regionalen Behinderten- und Sozialwerkstätten zusammen, in denen Boxen gefaltet werden und die ankommende Ware in diese Geschenkboxen verpackt wird. „Anders hätte ich es billiger und weniger aufwändig haben können, aber mir war dieser soziale Aspekt wichtig“, sagt Sonja Beutel. Nach großem Zuspruch machte sie BUXandSOX vom Neben- zum Hauptberuf. Bis Corona kam und ihr „fast das Genick gebrochen hätte“.
Zwei Jahre lang wurden Klassen- und Vereinsausfahrten gestrichen. Nun zahlte sich die Agilität eines kleinen Unternehmens aus. Die Inhaberin entwickelte eine App, installierte einen Internetshop, erweiterte ihre Produkt- und Zielgruppen. Heute können auch Privatpersonen und Unternehmen die schönen Boxen kaufen. Ein Gewinn für alle, der über materielle Werte hinausgeht: „Das Schöne an meiner selbstständigen Arbeit ist, dass ich es zu 99 Prozent mit Kunden zu tun habe, die vollkommen begeistert sind und dies zum Ausdruck bringen.“

Netzwerke statt Einzelkämpfer

Das Umsetzen persönlicher Werte, direktes Feedback, mehr Agilität und Flexibilität verbucht Beutel als Vorteile. Jedoch sollten sich alle Selbstständigen klar sein, dass ein Arbeitstag zwölf bis 14 Stunden dauern könne: „Sie vereinen alle Firmenabteilungen in einer Person und müssen in jedem Bereich fit sein, ob Buchhaltung, Social Media, Lieferketten- oder Müllentsorgungsgesetze“, so Sonja Beutel. Alleine sei das kaum zu stemmen, Netzwerke seien essenziell. Daher hat sie die Gründungsinitiative „GRiBS“ in Bad Saulgau mit initiiert. Hier werden junge Unternehmen zum Beispiel dabei unterstützt, Kontakte zu knüpfen und Abnehmer für ihre Produkte zu finden. „In solch niederschwelligen Netzwerken können sie Fragen stellen, ohne Angst zu haben, sich zu blamieren“, sagt Beutel. Welche Buchhaltungssysteme gibt es? Wo muss ich was anmelden? Mehr Einsatz für Gründer wünscht sie sich von den regionalen Wirtschaftsförderungen. Nach dem Erhalt des Gewerbescheins höre man im Normalfall nichts mehr von der Gemeinde. „Dabei könnte die Gemeinde kleine Unternehmen beispielsweise mit dem Angebot von Lagerflächen oder Pop-up Stores unterstützen“, findet sie. Zudem seien Gründer oft ängstlich und sehr auf Sicherheit bedacht. Häufig ohne Grund, denn: „Als Unternehmer bin ich mir selbst meine beste Sicherheit!“ Sich auf eigene Fähigkeiten zu besinnen und darauf, was im eigenen Leben bereits erreicht wurde, kann hilfreich sein. Mangelt es aber zum Beispiel an Deutschkenntnissen oder an kaufmännischem Wissen, rät Beutel zur Vorsicht. Ihr Tipp: „Eine kaufmännische Ausbildung ist sehr hilfreich als Basis.“

Unternehmensnachfolge als Chance

Selbstständig werden mit mehr Sicherheit – das Thema Unternehmensnachfolge ist hierfür eine gute Lösung. Davon weiß Melanie Dangel, Inhaberin des Second-Hand-Ladens Hosenmatz in Langenau, zu berichten.
Wenn ich den Laden morgens aufschließe, macht mich das glücklich. Denn ich weiß, das ist meins.
- Melanie Dangel
Ihre Ausbildung zur Floristin kam der Inhaberin zugute, da sie hier ein Gespür für farbliche Arrangements und passende Kombinationen entwickelte. Darüber hinaus bedarf es in ihrem Arbeitsalltag eines guten Überblicks über die knallbunte Vielfalt an gebrauchter Kinderund Damenkleidung und sonstigem Kinderbedarf von Spielen bis zur Babyschale. In ihre Rolle als Unternehmerin ist die dreifache Mutter unverhofft hineingerutscht. Die langjährige Stammkundin des Hosenmatz hatte um eine Stelle angefragt und stattdessen das Angebot zur Unternehmensnachfolge erhalten. „Mit einem eigenen Laden habe ich schon immer geliebäugelt, allerdings hat ein Blumenladen höhere Vorabausgaben als ein Second-Hand-Laden“, so Dangel. Bei Hosenmatz liefern Kunden ihre gebrauchten Waren an, unverkaufte Ware wird zum Wechsel der Saison von den Kunden wieder abgeholt oder an die Organisation „Der gute Hirte“ gespendet.
Das seit 22 Jahren in Langenau betriebene Geschäft hat bewiesen, dass sich sein Konzept trägt. Dennoch: „Ohne die Beratung der IHK hätte ich den Schritt ins Unternehmertum wohl nicht gewagt“, resümiert Melanie Dangel. „Die zuständigen Berater haben den Laden begutachtet, sich über zwei Stunden Zeit für unser Gespräch genommen und uns realistische Werteinschätzungen geliefert. Damit konnten wir gestärkt in die Verhandlungen gehen.“

Träumen, planen, hartnäckig bleiben

Vieles hat Melanie Dangel von der Vorbesitzerin übernommen, dem Hosenmatz aber schnell eine eigene Handschrift verpasst, um ihn an den Wandel der Zeit anzupassen. Dazu gehören ein bargeldloses Kartensystem, ein eigener Raum für Damenmode und die Erstellung eines niedlichen Logos für den professionellen Werbeauftritt. Unterstützung erhält sie von der Familie: Der Ehemann nimmt die Buchhaltung in die Hand, die Tochter Social Media. Der Umsatz läuft gut, zudem sollen Zielgruppen wie Jugendliche verstärkt angesprochen werden. „Jedes Mal, wenn ich den Laden morgens aufschließe, macht mich das glücklich. Denn ich weiß, das ist meins!“, schwärmt die Unternehmerin mit den fröhlichen Locken. Selbst die Vorbesitzerin schaue ab und zu vorbei und freue sich, dass ihr Geschäft nun in guten Händen liegt.
Doch es gibt auch Herausforderungen. Die wichtigste Lektion: Hartnäckig bleiben! Wenn es darum geht, Kunden zu erklären, warum man selbst teure Designermarken nicht mehr verkaufen kann, wenn diese Flecken und Löcher haben. Oder als es um die Beantragung der Kundenparkplätze ging, für die weder Stadt noch Verwaltungsverband zuständig sein wollten. An dieser Stelle wünscht sich Dangel mehr Wertschätzung: „Kleine Unternehmen und Einzelhändler bereichern Gemeinden wie Langenau ungemein, indem sie die Kaufkraft und Kunden im Ort halten.“ Zumal es bereits Überlegungen zur Hosenmatz-Expansion gebe. Ein Umzug in größere, zentral gelegene Räumlichkeiten wäre allerdings mit weiteren Investitionen und Zusatzpersonal verbunden. Doch so könnte die gelernte Floristin eine angegliederte Abteilung mit Blumen verwirklichen. Wenn sie davon spricht, glänzen Melanie Dangels Augen: „Sie würde Rosenmatz heißen!“
Man hat als kleine Firma die Möglichkeit, Dinge schnell und kreativ umzusetzen.
- Henrike Weihs

Ehrliche Werte, die schmecken

Der Traum etwas zu bewegen, kreativ zu sein, treibt viele kleine Unternehmen an. Dabei lohnt es sich, mal vom Weg abzubiegen, was Henrike Weihs sprichwörtlich tat: „Ich habe über 20 Jahre als Hoteldirektorin gearbeitet, und während dieser Zeit hatte ich an einem Wochenende spontan ein Cabrio gemietet und bin zu einer Freundin nach Italien gefahren.“ Vielleicht lag es am Dolce-Vita-Feeling und dem Besuch einer schlichten, aber bezaubernden Eisdiele. Denn dort entstand ad hoc der Gedanke, dass sie auch gerne Eis herstellen würde. „Meine Freundin fragte mich, warum ich es nicht einfach mache“, erinnert sich Weihs. Mit der Eisherstellung hatte sie keine Erfahrung, doch ihre Expertise in der Gastronomie sowie die Zusammenarbeit mit Köchen und Patissiers haben ihr gute Grundlagen mitgegeben. „Als Branchenfremde hätte ich es nicht gemacht“, sagt Weihs. Die Kenntnisse zur Eisherstellung eignete sie sich in der ersten Deutschen Eisfachschule in Werl an. „Dabei wurde mir klar, wie viel in unserem Eis steckt, das da nicht hineingehört.“ Ihre Mission: natürliches, ehrliches Eis ohne künstliche Instantpulver, Fertigprodukte, Zusatzstoffe und Aromen, gepaart mit laktosefreien und veganen Sorten, möglichst saisonal und regional. In Biberach wurde zufällig ein Laden frei, und Weihs eröffnete 2016 ihren ersten LIEBLINGSEIS Eissalon.

Kreativität frei entfalten

Dann ging alles ganz schnell: Der Hotellerie- und Gastronomieführer von Varta kürte LIEBLINGSEIS zu einer der 20 besten Eisdielen Deutschlands, gleich zwei Mal wurde Weihs auf der Gelato World Tour ausgezeichnet, unter anderem für ihre innovative Eiskreation Sikarni. Dabei handelt es sich um ein Joghurteis mit Pistazien und Gewürzen wie Kurkuma und Kardamom, angelehnt an ein nepalesisches Dessert. Die schöpferische Handwerkskunst mache Spaß, sagt Weihs, ebenso positives Feedback, „wenn Kunden mir sagen, dass sie als Allergiker endlich Eis ohne Bauchschmerzen essen können“. All dies entschädigt für lange Arbeitszeiten, wenn LIEBLINGSEIS im Sommer sieben Tage die Woche geöffnet hat. Erfolg und Selbstwirksamkeit setzen augenscheinlich viele Energien frei.
2022 eröffnet die Unternehmerin eine LIEBLINGSEIS-Filiale in der Ulmer Innenstadt, sie erweitert ihr Angebot um Catering, Eistorten und Workshops, beliefert nun auch Gastronomie und Einzelhandel. Jüngst hat sie in ihrer Biberacher Eisdiele über den Winter erfolgreich das Konzept „Little Pasta“ etabliert. „Man hat als kleine Firma die Möglichkeit, Dinge schnell und kreativ umzusetzen“, so Weihs. Doch sie habe ebenso lernen müssen, sich Freiräume zu geben und nicht alles auf einmal zu wollen.

Wissenstransfer und Engagement bei der IHK

Auch Rückschläge blieben nicht aus. „Selbstständige und Einzelunternehmer haben weniger Polster, um Themen wie Inflation, Corona und Änderungen zum Mindestlohn stemmen zu können“, konstatiert Weihs. Sie berichtet auch von persönlichen „Greenhorn- Fehlern“, wie der Entscheidung, eine Eisdiele im September – gegen Saisonende – zu eröffnen. Ebenso sei die Versiegelung der ersten Eisbecher nicht sicher genug gewesen: „Kleine Unternehmen tasten sich oft nach dem Trial-and-Error-Prinzip voran. Das muss nicht sein, denn man kann von den Kenntnissen anderer Unternehmen profitieren.“ Dies ist einer der Gründe, warum sich Weihs in der Vollversammlung der IHK Ulm einbringt. Hier werde jede Stimme gehört, die Größe des Betriebs spiele dabei keine Rolle. „Die IHK ist ein Netzwerk, das Ihnen das bieten kann, was Sie gerade benötigen, zum Beispiel Beratung zu finanziellen Fördermitteln oder Weiterbildung“, sagt Weihs. Netzwerke wie den IHKGastronomiekreis findet sie spannend, weil vom Imbiss bis zum Sternerestaurant alle an einem Tisch sitzen und verschiedene Perspektiven zu den gleichen Herausforderungen einbringen. „Wer Augen und Ohren offenhält, kann hier viele wertvolle Informationen für diese schwierigen Zeiten mitnehmen“, so die LIEBLINGSEIS-Inhaberin.
Mir ging es nicht ums schnelle Geld, sondern darum, meine Idee haptisch zu machen.
- Carola Dambach

Ausgezeichnete Tüftlerin

Wer immer im gleichen Hamsterrad bleibt, kommt nicht weiter. So lautet ein Motto von Carola Dambach. Sie ist viel unterwegs, meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln, das Laptop ist stets dabei. Auf einer Busfahrt durchs Höllental nach Freiburg fielen den Fahrgästen in einer besonders scharfen Kurve sämtliche Handys, Brillen, Flaschen und Laptops von kleinen Klapptischen herunter. „Das muss besser gehen!“, dachte sich die umtriebige Tüftlerin. Ihre Idee: Ein durchdachter Laptop-Rucksack mit Sitz- und Arbeitsfläche für unterwegs. Durch ihre langjährige Tätigkeit in einem Outdoor- Unternehmen kannte sie sich mit Rucksäcken bereits gut aus. Mit Hilfe des dortigen Firmengründers war der erste Prototyp bald entwickelt. Ende 2019 bewarb sie sich mit ihrer Idee beim Start-up BW Elevator-Pitch, gewann prompt den Regional Cup Bodensee- Oberschwaben und rückte mit ihrem Rucksack CAROSMART ins Licht der Öffentlichkeit. „Ich erhielt Anfragen für Messen und Presseartikel, die Bestellungen trudelten rein, alles sah sehr gut aus“, erinnert sich Dambach. „Dabei ging es mir nicht mal ums schnelle Geld. Sondern darum, meine Idee haptisch zu machen.“

Flexibel auf den Markt reagieren

Dann kam das Leben mit seinen Umwegen. Aufgrund der Corona-Pandemie Anfang 2020 wurde erst einmal alles gestoppt. „Es gab keine überfüllten Plätze mehr, und damit brach auch die Zielgruppe für meinen mobilen Arbeitsplatz weg. Homeoffice wurde die Regel“, so Dambach im Rückblick. Als sie ihren Multifunktionsrucksack bei stationären Händlern vorstellte, kam die nächste Hürde. Ein Produkt müsse sofort gefallen und sollte nicht erklärungsbedürftig sein, sonst verkaufe es sich nicht, hieß es. Carola Dambach entwickelte ihren Rucksack optisch weiter, mit einer individuell gestaltbaren Deckeltasche, die mit Manschettenknöpfen einfach an- und abgemacht werden kann. Die Rucksack-Regenhülle trägt anstelle eines Logos die charmante Aufschrift „You made my day“ samt Smiley.
„Als Selbstständige nehme ich mir die Freiheit, Neues auszuprobieren“, sagt Dambach. 2021 kündigte sie ihren Job, um sich ganz selbstständig zu machen. „Wer diesen Schritt mit Mitte 50 noch wagt, stößt oft auf Unverständnis im Familien- und Freundeskreis“, lacht sie. Dabei sei die Solidarität gerade unter selbstständigen Frauen enorm. Mittlerweile wird ihr Rucksack von Zielgruppen gekauft, die sie gar nicht auf dem Schirm hatte: „Urban Sketcher lieben den Klapphocker und die Platte, um schnelle Skizzen auf ihren Stadtreisen zu machen. Best Ager schätzen smarte Zusatzfunktionen wie Geheimfächer und Trolleyhalterung. Und sogar Drohnenpiloten funktionieren die Arbeitsplatte als Landeplatz im unwegsamen Gelände um“, zählt sie auf. Auch ein renommierter Online-Händler hat den Rucksack CAROSMART für sich entdeckt und wird diesen in Kürze in fünf Ländern zum Kauf anbieten.

Marke ist gleich Person

„Eine Marke aufzubauen ist ein Marathon, kein Sprint. Heute wird die Marke oft eng mit der Person verknüpft, die das Unternehmen führt,“ so Dambach. Sicheres Auftreten sei wichtig. Daher hat die Frau mit den langen roten Haaren einen ungewöhnlichen Tipp parat: Improvisationstheater helfe, die eigenen Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern und sich auf charmante Art in der Geschäftswelt durchzusetzen. Den Schritt in die Selbstständigkeit hat sie nie bereut. „Als kleines Unternehmen ist man wie ein Segelboot, das im Sturm umhergeschleudert wird“, sagt sie. „Gleichzeitig ist man aber so flexibel und beweglich, dass man nicht wie die Titanic sehenden Auges mit dem Eisberg kollidiert!“
Diana Wieser, Inhaberin von adWORDising Journalismus & Werbetext, Ulm