Interview

„Sich über alles selbst schlau machen – das geht heute gar nicht mehr.“

Die erste Frage an Sie beide: Wo liegen Ihre Berührungspunkte mit kleinen Unternehmen?
Zürn: Als Steuerberater haben wir vor allem viel mit Gründern zu tun, die mit Fragen rund um die Themen Steuern und Wahl der Rechtsform zu uns kommen. Kleinstunternehmen sind nicht unser klassisches Klientel. Bei denen, die schon über die Gründungsphase hinaus sind, sind wir „die Auskunft“, wie ich immer sage. Da kommen die verschiedensten Fragen, bei denen wir uns oft auch selbst erstmal schlau machen müssen. Viele sagen uns, dass es sehr schwierig ist, einen Steuerberater zu finden – andere wissen gar nicht, wo sie Beratung und Förderung bekommen.
Torka: Ich habe in meiner beruflichen Tätigkeit Tausende von Unternehmen, darunter auch viele Kleinstunternehmen, beraten. Und auch jetzt möchte ich mein Wissen noch weitergeben, denn Kleinstunternehmen haben unendlich viele Fragen, und auch ich habe es erlebt, wie Frau Dr. Zürn bereits erzählte, dass es ihnen schwerfällt, jemanden zu finden, der sie an die Hand nimmt. Aber auch wenn sie einen Rechtsanwalt oder Steuerberater gefunden haben, sind sie oft nicht in der Lage, die Rechnungen zu bezahlten, die sie dann bekommen. Bei der IHK und bei mir im Ehrenamt finden diese Unternehmen Unterstützung.
Was unterscheidet Kleinstunternehmen aus Ihrer Sicht von mittleren und großen Unternehmen?
Torka: Der Unterschied zwischen kleinen und größeren Unternehmen ist aus meiner Sicht die Möglichkeit, eine Aufbauorganisation zu etablieren. Größere Unternehmen haben den CEO, Finanzrechnungswesen, Vertrieb und Marketing, die haben Operations Management, Personalmanagement und so weiter. In Kleinstunternehmen hat dagegen der Gründer alle Funktionen in Personalunion auszufüllen. Dafür haben kleine Unternehmen oft die Fähigkeit, sehr schnell auf Gegebenheiten zu reagieren. Natürlich spielen auch Kundennähe und Innovationsbereitschaft eine Rolle. Diese sind in dem Bereich, in dem ein Kleinstunternehmen tätig ist, sicher gegeben – während die Weiterentwicklung, wenn das Geschäft mal angelaufen ist, für kleine Unternehmen deutlich schwieriger ist.
Frau Zürn, sehen Sie auch Gemeinsamkeiten?
Zürn: Ich kann Herrn Torka hier nur zustimmen. Der Kleinstunternehmer ist für mich klassisch der Unternehmer, der vielleicht noch jemanden hat, der ein bisschen unterstützt. Kleinunternehmen haben hingegen schon eine gewisse Struktur und ein paar Mitarbeiter, an die der Unternehmer ein bisschen was abgeben kann. Das Geld dafür zu verdienen, ist bei der Inflation allerdings schwierig geworden,
alles ist sehr teuer, auch Mitarbeiterkapazitäten. Und das zieht sich durch alle Unternehmensgrößen, da sind Kleinst- und Kleinunternehmen gleichermaßen belastet. Dazu kommen dann noch die bürokratischen Pflichten, die besonders für kleine Unternehmen schwierig zu leisten sind. Ein gutes Beispiel dafür: Die Verwaltung von Arbeitszeit und Arbeitsverträgen sowie Dokumentationspflichten im Bereich der Mitarbeiter. Der Verwaltungsaufwand ist enorm. Hier stellt sich immer die Frage nach der kritischen Grundgröße: Welche Größe braucht ein Unternehmen, um die bürokratischen Grundanforderungen – seien sie steuerlich, datenschutz oder arbeitsrechtlich – erfüllen zu können?
Und was meinen Sie, wo liegt die kritische Grundgröße, um diesen fixen Aufwand für Bürokratie umzulegen?
Torka: Die optimale Betriebsgröße für ein Unternehmen liegt meiner Ansicht nach zwischen 50 und 250 Mitarbeitern. Da kann eine gute Organisation aufgebaut und Unternehmertum gelebt werden. Der CEO kann sich zurückziehen und überlegen, wofür sein Unternehmen da ist und wo die Reise hingehen soll. Als Kleinstunternehmer bin ich froh, wenn ich meine Mitarbeiter bezahlen kann – ab einer gewissen Größe kann ich strategische Überlegungen anstellen.
Zürn: Ich glaube, Herr Torka, Sie haben recht. Eines der Probleme heute ist eine unheimlich hohe Krankenquote. Das bedeutet, dass für jede wichtige Stelle immer eine Stellvertretung benannt sein sollte. Wir kennen das aus kleinen Unternehmen, da muss dann der Chef übernehmen. Ab 50 Mitarbeitern kann eine Stabilität gewährleistet werden – bis dahin ist ein Unternehmen davon abhängig, dass die Familie es mitträgt und dass der Unternehmer es gesundheitlich schafft, der Feuerlöscher für alles zu sein.
Dass einfach alle wachsen müssen, um diese Größe zu erreichen, kann ja nicht die Lösung sein. Was könnte es denn für kleine Unternehmen einfacher machen, am Markt zu bestehen?
Zürn: Ich bewundere kleine Unternehmen, die einfach machen. Doch sie verstoßen dabei oft gegen Gesetze, weil sie sie gar nicht kennen. Wir brauchen Macher, diese Menschen sind ungemein wichtig, aber ich habe die Sorge, dass sie wegen irgendeines Verstoßes große Probleme bekommen. Denn: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Der Unternehmer muss sich über alles schlau machen, das geht Bild: Uli Schlieper aber heute überhaupt nicht mehr. Und da würde ich mich freuen, wenn man Gründern einen gewissen Schutzraum gewähren könnte, damit sie nicht gleich wegen einem kleinen Versäumnis aus Unwissenheit strafrechtlich verfolgt werden.
Torka: Ihre Forderung, Frau Dr. Zürn, finde ich fantastisch. Man könnte vielleicht noch einen Schritt weitergehen, diesen Schutzraum erweitern und ein Schonpaket für kleine Unternehmen bauen, das die Steuerlast reduziert und dadurch das Gründen interessanter macht.
Herr Torka, könnte der Einsatz neuer Technologien es kleinen Unternehmen leichter machen?
Torka: Ich könnte mir ein KI-Tool als Sparring Partner gut vorstellen, das dem Gründer oder Unternehmer eine Fülle an Fragen stellt, die ihn nach und nach zu einem immer spezifischeren Plan führen. Das Tool könnte auch an wichtige steuerliche und rechtliche Dinge erinnern und auf Fördermöglichkeiten und Unterstützungsangebote wie beispielsweise das Digitalisierungszentrum hinweisen, die für diesen speziellen Fall relevant sein könnten. Ein solches Tool könnte ein zentrales Informationsangebot sein, das die One-on-One-Beratung ergänzt.
[Ein ähnliches Tool gibt es bereits: die Unternehmenswerkstatt Deutschland. Mehr dazu im Kasten auf der rechten Seite.]
Frau Zürn, haben Sie einen Tipp, den Sie kleinen Unternehmen mitgeben möchten?
Zürn: Den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern sich den Herausforderungen stellen – insbesondere mit Blick auf die bürokratischen Monster, die auf einen zukommen. Und der wichtigste Tipp: Unbedingt in den Dialog gehen, Sparring Partner suchen und mit anderen Unternehmern oder Gründern ins Gespräch kommen. In Gründer- oder Unternehmer- Netzwerken findet man garantiert engagierte Gegenüber. [Netzwerke in der Region finden Sie im Kasten auf der rechten Seite.] Und noch einen Tipp zur Beratersuche: Nicht abschrecken lassen! Es funktioniert oft, einfach ganz unbedarft anzurufen und die Situation kurz zu erläutern. Der ein oder andere Steuerberater sagt dann: Kommen Sie doch einfach mal vorbei.
Interview: Michael Reichert, Christin Krauß