Wirtschaftspolitische Position der IHK Region Stuttgart

Rahmenbedingungen für den Einsatz (hoch-)automatisiert oder autonom fahrender Fahrzeuge; Antriebstechnologien und Mobilität auf Basis alternativer bzw. erneuerbarer Energieträger schaffen

Positionen:
  • Die Wirtschaft regt an, einen primär supranational geprägten Ansatz zur Ausgestaltung des hoch- und vollautomatisierten Fahrens zu verfolgen, dessen Basis jedoch gegebenenfalls in vorgelagerten nationalen oder EU-weiten Initiativen, Positionierungen und (Grundlagen-) Entscheidungen besteht. Die Wirtschaft setzt sich für eine Verbesserung der Mobilfunkdaten-Infrastruktur ein. Automatisiert oder autonom agierende Fahrzeuge operieren grundsätzlich umso sicherer, je beständiger und leistungsfähiger der Datenaustausch zwischen derartigen Fahrzeugen sowie zwischen den Fahrzeugen und den Infrastruktureinrichtungen gelingt. Auch wenn diese Kommunikation keine zwingende Voraussetzung für den Einsatz der Fahrzeugtechnologie ist, könnten die Potenziale der Technologie mit einer flächendeckend entlang der Infrastruktur verfügbaren, sicheren, fehlerfreien, von niedriger Latenzzeit und hoher Datenübertragungsrate gekennzeichneten Mobilfunkdaten-Infrastruktur besser ausgeschöpft werden und dadurch das Sicherheitsniveau zusätzlich steigern. Für „Stufe-5-Fahrzeuge“ wird es aus heutiger Sicht wohl unabdingbar sein, dass das Fahrzeug in jeder Sekunde egal an welcher Position über eine leistungsfähige Datenverbindung erreichbar ist. Zur Verbesserung des Sicherheitsniveaus erscheint es erstrebenswert, technische Systeme redundant auszugestalten.
  • Die Wirtschaft spricht sich dafür aus, wo immer möglich, offene Schnittstellen vorzusehen und den Zugang und die Nutzung von Daten möglichst vielen Dritten zu ermöglichen (sofern der Schutz personenbezogener Daten sichergestellt werden kann). Insbesondere Zulieferer, Dienstleister und die Wissenschaft sollten gegenüber den Fahrzeugherstellern nicht benachteiligt werden. Um Innovationen nicht zu hemmen und einen möglichst freien Wettbewerb zu ermöglichen, spielt die Datenfreiheit eine besondere Rolle. Unter den vielen Rechtsbereichen wie dem Straßenverkehrs-, Zulassungs-, Straf- oder Versicherungsrecht, die auf dem Weg zum vollautonomen Fahren einer Überarbeitung oder Anpassung bedürfen, erscheinen insb. datenschutzrechtliche bzw. Fragen der Datensicherheit auch unter (global-) wettbewerblichen Gesichtspunkten von besonderer Relevanz. Es gilt als sicher, dass ähnlich wie heute bereits in Flugzeugen und anderen Massenverkehrsmitteln künftig alle neu zugelassenen Fahrzeuge auf einem gesonderten Speichermedium relevante Informationen hinterlegen werden („Black-Box“), die beispielsweise im Falle eines Unfalls bei der Rekonstruktion der Geschehnisse hilfreich sind. Auf diese Daten sollte von allen am Unfall Beteiligten sowie dem Hersteller des Fahrzeugs und seinen Systemlieferanten im Falle eines Unfalls zugegriffen werden dürfen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass gegenwärtig das Recht des Einzelnen an seinen Daten in Deutschland Verfassungsrang besitzt.
  • (Hoch-)Automatisiert oder autonom fahrende Fahrzeuge sind auf verlässliche Informationen angewiesen. Je zahlreicher / dichter und je genauer die Informationen zum Zustand der Straßen und den darauf befindlichen Beeinträchtigungen / Störungen (Schlaglöcher, verlorene Ladung, überfahrene Tiere, liegengebliebene Fahrzeuge, Unfälle, Baustellen etc.; kurzum zu allem, was sich darauf nicht befinden sollte) letztlich in (nahezu) Echt-Zeit vorhanden sind, umso besser und verlässlicher und somit sicherer funktionieren die technischen Systeme in den Fahrzeugen. Gegebenenfalls ist eine Komplettüberwachung sämtlicher Verkehrswege, auf denen autonom fahrende Fortbewegungsmittel eingesetzt werden (sollen), notwendig. Die flächendeckende Verfügbarkeit dieser Informationen kann als Voraussetzung für autonomes Fahren der „Stufe 5“ angesehen werden. Kommen zur Erfassung des Ist-Zustandes Technologien auf Basis Künstlicher Intelligenz und automatisierter Informationsauswertung zum Einsatz, drängen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit grundlegende Fragen des Datenschutzes auf, wobei aus Sicht der Wirtschaft insbesondere das Schutzniveau personenbezogener Daten nicht herabgesenkt werden sollte bzw. eine absolut anonymisierte Auswertung sichergestellt werden müsste.
  • In vielen technischen Aspekten sollten weit reichende Normierungen angestrebt werden, Beispielsweise wird es im Nutzfahrzeugbereich notwendig sein, dass Zugfahrzeug und Anhänger zumindest EU-, besser jedoch europa- oder weltweit auf gleicher Basis kommunizieren und die Verlässlichkeit der Daten sichergestellt werden kann.
  • Um alternativen Energieträgern bzw. den darauf basierenden Antriebstechnologien eine breite Marktakzeptanz zu ermöglichen, erscheint es angezeigt, die Betankungs- beziehungsweise Ladeinfrastruktur flächendeckend auszubauen.
  • Die Erzeugung der für Mobilitätszwecke verwendeten Energieträger sollte (möglichst ausschließlich) regenerativ erfolgen. Andernfalls werden die schädlichen Umweltwirkungen nur an einem anderen Ort verursacht und es besteht zudem die Möglichkeit, dass Fahrzeuge mit alternativen Antriebstechnologien in der Gesamtbetrachtung der Umweltwirkung keinen Vorteil gegenüber auf der Verbrennung fossiler Energieträger basierenden Antriebstechnologien mehr aufweisen.
  • Bevorrechtigungen oder gemeinhin Besserstellungen alternativ angetriebener Fahrzeuge (oder solcher, die andere spezifische Kriterien erfüllen) im fließenden Verkehr steht die Wirtschaft kritisch und grundsätzlich ablehnend gegenüber. Da binnen weniger Jahre / Jahrzehnte in vielen Marktsegmenten eine weitgehende Marktdurchdringung zu erwarten ist, kann es sich letztlich nur um temporäre Maßnahmen handeln, denen in manchen Fällen auch eine Diskriminierung anheim gestellt werden kann. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn sich ein ertragsschwächeres Unternehmen nicht die Anschaffung von Elektrofahrzeugen leisten kann und dadurch wettbewerblich benachteiligt wird. Darüber hinaus kann durch die Schlechterstellung konventionell angetriebener oder die anderweitig festgelegten Kriterien nicht erfüllenden Fahrzeuge deren negative Umweltwirkung erhöht werden, etwa wenn sich in Ballungsräumen durch die Privilegierung einer verhältnismäßig geringen Anzahl an Fahrzeugen zusätzliche Verkehrsflussstörungen ergeben.


Hintergrund:

Es ist abzusehen, dass die technologische Entwicklung in der straßengebundenen Personen- und Gütermobilität dazu führt, dass mittel- bis langfristig neu zugelassene Fahrzeuge über Systeme
verfügen werden, die es dem Fahrer erlauben, zumindest in der Mehrzahl der auftretenden Fahrsituationen nicht mehr selbst alle für das Führen des Fahrzeuges bislang notwendigen Funktionen selbst ausführen zu müssen. Diese Entwicklung kann so weit gehen, dass sich das Fahrzeug vollständig autonom im Straßenverkehr bewegen kann und ein Eingreifen des Fahrers bzw. der Fahrgäste nur noch in absoluten Ausnahmesituationen notwendig werden kann bzw. gar nicht möglich sein wird. Viele technologische, rechtliche, ethische und psychologische Aspekte dieses Wandels wurden und werden bereits diskutiert und / oder einer „Regelung“ zugeführt, vor allem in der Detailbetrachtung wird aber deutlich, dass für noch sehr viel mehr Fragen / Probleme eine Antwort / Lösung gefunden werden muss. Soweit man davon ausgehen muss, dass das vollständig autonom fahrende und dabei nicht durch einen Menschen beeinflussbare Fahrzeug die höchste Stufe (sogenannte „Stufe 5“) dessen darstellt, was gegenwärtig unter dem Begriff „autonomes Fahren“ subsummiert wird, ergeben sich mehrere Abstufungen im Grad der Autonomie des Fahrzeugs. Ausgehend von den Fahrer unterstützenden Assistenzsystemen, wie sie bereits in einigen Neufahrzeugen Anwendung finden, wachsen auf den verschiedenen Ausprägungsstufen der Fahr-Autonomie die Anforderungen an die sowohl „harten“ Faktoren wie Recht, Fahrzeug- und Kommunikationstechnologie, Informationsfülle und -verlässlichkeit sowie (Industrie-)Standards beziehungsweise Normen etc. ebenso an wie dies wohl bei den eher „weichen“ Faktoren im ethischen oder (verkehrs-)psychologischen Zusammenhang der Fall sein wird. Um diese Entwicklungsprozesse durchzuführen und einer sachdienlichen Ausgestaltung zuzuführen, erscheint aktuell ein breit angelegter interdisziplinärer Ansatz zielführend zu sein.
Im Frühjahr 2017 wurden grundlegende rechtliche Anpassungen im Straßenverkehrsgesetz zum hoch- und vollautomatisierten Fahren initiiert. Diese ordnen dem Fahrer Pflichten beim Betrieb derartiger Fahrzeuge zu. Außerdem sind Fragen der Datenverarbeitung und -nutzung sowie datenschutzrechtliche Grundsätze Gegenstand der Entwürfe; auch Haftungssummen sollen angepasst werden.
Im individuellen, öffentlichen und gewerblichen Straßenverkehr zeichnet sich eine weitgehende Abwendung von Antriebstechnologien, die auf fossilen Rohstoffen basieren, ab. Damit einher geht eine (noch zaghafte) Verschiebung der Mobilitätsbedürfnisse und somit des Mobilitätsverhaltens. Für die Versorgung der Nutzer mit den alternativ eingesetzten Energieträgern, namentlich im wesentlichen Wasserstoff und elektrische Energie, besteht bereits eine je nach Energieträger unterschiedlich weit verbreitete „Tankstellen“-Infrastruktur.
In der Automobilregion Stuttgart sind nicht nur bedeutende Fahrzeughersteller und Zulieferbetriebe bzw. für diese tätige Dienstleister ansässig, nahezu alle Unternehmen sind zudem Kunden dieser und anderer Fahrzeughersteller und haben aus unterschiedlichen Blickwinkeln ein Interesse an den sich aus diesen Technologien ergebenden Veränderungen, beispielsweise wenn, wie gemeinhin angenommen wird, das Sicherheitsniveau im Straßenverkehr durch diese Technologien stark ansteigen und somit das Risiko der Arbeitnehmer, im Straßenverkehr zu verunfallen oder anderweitig Schaden zu nehmen, deutlich reduziert werden kann. Ergänzend und zugleich unabhängig davon haben die Betriebe in der Region ein grundlegendes Interesse daran, ihre Mobilitätsbedürfnisse ressourcenschonend und unter maximaler Wirtschaftlichkeit zu befriedigen.