Wirtschaftspolitische Position der IHK Region Stuttgart

ÖPNV leistungsfähiger und attraktiver machen

Positionen:
  • Die Betreibervielfalt im Busgewerbe als Voraussetzung für einen dauerhaften Wettbewerb im ÖPNV soll erhalten bleiben.
  • Ein leistungsfähiger ÖPNV ist Teil der Daseinsvorsorge und ohne öffentliche Zuschüsse oftmals nicht attraktiv zu gewährleisten. Dennoch sieht die Wirtschaft in einem unternehmerisch initiierten und verantworteten ÖPNV die Basis für einen kundenfreundlichen, effizienten und zukunftsfähigen ÖPNV in der Region Stuttgart.
  • Die von den Verkehrsunternehmen auf Basis von beantragten Genehmigungen erbrachten kommerziellen Linienverkehre müssen nach Meinung der Wirtschaft gegenüber anderen Anforderungen Vorrang haben. Die EU-Verordnung 1370/2007 steht diesem Grundsatz nicht entgegen, da sich diese nur auf Verkehrsleistungen bezieht, die nicht kommerziell erbracht werden. Ausgleichsmittel für die Schüler- und Schwerbehindertenbeförderung widersprechen nicht diesem Prinzip der Eigenwirtschaftlichkeit. Dies wurde bei der Novellierung des PBefG klargestellt. Auch wurde im neuen PBefG eine Ermächtigung zugunsten der Aufgabenträger vorgesehen, so genannte allgemeine Vorschriften im Sinne der EU-Verordnung 1370/2007 zu erlassen, deren Ausgleich dann nicht der Kommerzialität eines Verkehrs widerspricht. Dies sollte auch für Verbundtarife in der Region Stuttgart genutzt werden.
  • Aus IHK Sicht ermöglicht es der vom Land, dem VRS, der Landeshauptstadt Stuttgart und den Landkreisen im VVS-Verbundgebiet geschlossene „ÖPNV-Pakt“ unter anderem, dass auch in Zukunft durch den einvernehmlichen Erlass einer Allgemeinen Vorschrift durch VRS und die Kreise weiterhin Busverkehrsleistungen in nennenswertem Umfang eigenwirtschaftlich erbracht werden können.
  • Nicht nur, weil es rechtlich vorgesehen ist, sondern insbesondere weil Erfahrung und profunde Ortskenntnisse der ÖPNV-Unternehmer zur Gestaltung und Abstimmung der Linien und der Fahrpläne eine wichtige Quelle für Anregungen und hilfreiche Expertise für die Machbarkeit diskutierter Maßnahmen und die Fahrgastbedürfnisse sind, sollten die Busunternehmen beider Weiterentwicklung des Nahverkehrs eng eingebunden werden.
  • In den Nahverkehrsplänen sollten sowohl verbindliche Ziele als auch weitere Grundsätze festgeschrieben werden, um die Aussagekraft der Nahverkehrspläne zu stärken und ihre Wirkung zu konkretisieren und so für die Unternehmen eine verlässliche Planungsgrundlage zu schaffen.
  • Werden öffentliche Mittel für eine Ausweitung des ÖPNV-Angebots aufgewendet, sollten die Leistungen im Wettbewerb vergeben werden. Soweit es zu Ausschreibungen von Nahverkehrsleistungen kommt, fordert die Wirtschaft, diese hinsichtlich ihres zeitlichen Vorlaufs, der Losgrößen und der Laufzeit so zu gestalten, dass diese interessierten mittelständischen Unternehmen reelle Chancen bieten. Das novellierte Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) greift dies auf, indem es die angemessene Berücksichtigung mittelständischer Interessen fordert. Die erleichterten Vergabemöglichkeiten unterhalb der Schwellenwerte laut EU-Verordnung sollten daher genutzt werden.
  • Bei der Gestaltung von Linienbündeln sollte der Aufgabenträger auch die Kompetenzen und Interessenlage mittelständischer Verkehrsunternehmen mit einbeziehen. Falsch zugeschnittene Linienbündel können schnell zur Existenzbedrohung für mittelständische
    Unternehmen werden.
  • Inhouse-Vergaben an kommunale Eigenbetriebe sollten in Anlehnung an die EuGH-Rechtsprechung auch in der Region Stuttgart auf ein Mindestmaß beschränkt werden.
  • Speziell in den ländlichen Bereichen der Region sollten alternative Bedienformen wie Rufbusse oder Rufautos berücksichtigt werden.
  • Zurückhaltung geboten ist aus Sicht der IHK bei der Einrichtung von Bürgerbussen. Dabei bedarf es einer Bewertung im Einzelfall, in deren Rahmen insbesondere berücksichtigt werden sollte, dass Bürgerbusse in Konkurrenz zu gewerblichen Angeboten stehen können (z. B. Gelegenheitsverkehr mit Pkw), dass der Betrieb von Bürgerbussen im ÖPNV (Linienverkehr) einer Genehmigung bedarf und dass die Fahrer von Bürgerbussen im ÖPNV aus Gründen der Verkehrs- und Fahrgastsicherheit besonders qualifiziert werden müssen. Es darf erwartet werden, dass die von der Einführung eines Bürgerbusprojekts betroffenen Bus- und Personenbeförderungsunternehmen frühzeitig eingebunden werden. Zusammen mit diesen sollte ermittelt werden, ob nicht einem gewerblichen Angebot (z. B. Ruftaxi) der Vorzug einzuräumen ist bzw., ob eine Abgrenzung erfolgen kann (Festlegung Bedienungsgebiet etc.). Entscheidendes Kriterium dabei sollte immer die Erfüllung des Mobilitätsbedürfnisses sein.


Hintergrund:

Für die Wirtschaft in der Region Stuttgart geht es bei der Entwicklung des ÖPNV vor allem um die Attraktivität von Unternehmensstandorten. Orte ohne einen leistungsfähigen ÖPNV haben vielfach Schwierigkeiten in der Wahrnehmung von außen und auch bei der Suche nach Fachkräften. Das wiederum kann bei der Entscheidung für oder gegen einen Gewerbestandort den Ausschlag geben. Die flexibel gestaltbaren Busverkehre sind wichtige Ergänzungen zum schienengebundenen Personennahverkehr und in der Fläche bzw. im ländlichen Raum der wichtigste öffentliche Verkehrsträger. In der Region Stuttgart außerhalb der Landeshauptstadt werden die Busverkehrsleistungen nach wie vor zu einem großen Teil durch kleinere und mittelständische Busunternehmen erbracht.
Ein leistungsfähiger ÖPNV ist kostenintensiv. Am 1. Januar 2013 trat mit der Novelle des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) der nationale Rechtsrahmen für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Kraft, der den Vorrang unternehmerisch und auf den Wettbewerb ausgerichteter Verkehre erhalten soll. Dadurch sollen auch ÖPNV-Oligopole verhindert werden, damit es nicht zu einer Schwächung des Wettbewerbs und damit zu Mehrkosten für Aufgabenträger und Fahrgäste kommt.
Zunehmend Verbreitung - nicht zuletzt in der Region Stuttgart - finden Bürgerbusse. Dabei handelt es sich um Verkehrsangebote, die aus bürgerschaftlichem Engagement betrieben werden. Ihr Ziel ist es, Lücken im öffentlichen Nahverkehrsnetz einer Kommune zu schließen, insbesondere in ländlichen Regionen und Stadtrandlagen. Der Generalverkehrsplan des Landes macht deutlich, dass das Land diese „kreative Beteiligung ehrenamtlich Tätiger im Bereich des Öffentlichen Verkehrs“ - auch durch anteilige Finanzierungsbeihilfen bei der Fahrzeugbeschaffung - weiter unterstützen will. Bürgerbusse dienen grundsätzlich dazu, kleinteilige Mobilitätsbedürfnisse zu bedienen, die durch den herkömmlichen ÖPNV nicht erschlossen werden können. Insofern besteht theoretisch keine Konkurrenz zwischen ÖPNV und Bürgerbus. Tatsächlich kann dennoch eine Wettbewerbssituation zu anderen gewerblichen Verkehrskonzepten (z. B. Rufbus oder Sammeltaxi) und somit zu IHK-Mitgliedsbetrieben bestehen.