Mittelstandspolitik

Der Mittelstand ist eine starke Säule der europäischen Wirtschaft. Legt man die Definition von kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) der EU-Kommission zugrunde (u. a. weniger als 250 Mitarbeiter), dann stellen diese 23 Millionen Unternehmen rund zwei Drittel aller Beschäftigten in der Privatwirtschaft. Die aktuellen großen Herausforderungen wie die Auswirkungen des russischen Krieges in der Ukraine, die Corona-Pandemie und der energie- und klimapolitische Transformationsprozess schaffen für den Mittelstand ein Umfeld mit sehr großen Unsicherheiten. Richtigerweise unterstützt die EU den Mittelstand u. a. durch vereinfachte EU-Förderungen und -Regeln. Doch bereits ab 251 Mitarbeitern werden Betriebe wie Großunternehmen behandelt, obwohl auch diese Unternehmen oft typische Eigenschaften von Mittelständlern und Familienunternehmen aufweisen, wie Langfristorientierung, Einheit von Eigentum und Management und das Erledigen vieler Aufgaben aus einer Hand. Die künftige europäische Mittelstandspolitik sollte stärker auch die Wachstumschancen in den Blick nehmen, die dieser größere Mittelstand für die EU-Wirtschaft bietet. Um die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstandes insgesamt zu stärken, ist insbesondere ein effizienter und unbürokratischer Rechtsrahmen zu gewährleisten.
Folgende Leitlinien müssen das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen:
  • Mittelstandspolitik muss wieder hohe Priorität eingeräumt werden
  • Wachstumschancen und Mid Caps stärker in den Blick nehmen
  • Keine Mehrbelastungen für den Mittelstand
  • KMU beim Auslandsgeschäft unterstützen

Mittelstandspolitik muss wieder hohe Priorität eingeräumt werden


Die Unternehmen wünschen sich unisono ein sicht- und spürbares mittelstandspolitisches Bekenntnis der EU-Kommission – als selbstverpflichtendes Prinzip, bei ihren Initiativen von Anfang an die Vermeidung von Bürokratie für den Mittelstand mitzudenken und grundsätzlich negative Konsequenzen zu vermeiden. Mittelstandspolitik bedeutet auch ressortübergreifend abgestimmte Maßnahmen, denn der europäische Mittelstand in seiner Vielfalt spürt nahezu sämtliche Regularien und Unterstützungen im Tagegeschäft der Unternehmen. Ein wichtiger Schritt wäre die baldige Ernennung eines/einer Beauftragten der EU-Kommission für die Mittelstandspolitik sowie eine Governance-Struktur, die rasche Maßnahmen mit dem Fokus auf eine Stärkung des europäischen Mittelstandes über die verschiedenen Generaldirektionen der EU-Kommission erleichtert. Die Unternehmensinteressen brauchen einen Ansprechpartner. Zu einer dem Prinzip „Think small first“ verpflichteten EU-Mittelstandspolitik gehört auch, den „KMU-Test“ in sämtlichen Folgenabschätzungen der Europäischen Kommission zu EU-Regularien sorgfältig anzuwenden. Denn ein effizienter, innovationsfreundlicher und zukunftssicherer Regulierungsrahmen ist gerade für KMU ohne spezialisierte Abteilungen zur Abarbeitung administrativer Pflichten ein wichtiger Hebel für mehr Wachstum, Beschäftigung und Innovationen.


Wachstumschancen und Mid Caps stärker in den Blick nehmen


Die EU-Mittelstandspolitik sollte weniger auf den Status-quo von Unternehmen, sondern vielmehr auf deren Wachstumschancen gerichtet sein. Wachsen KMU in die Kategorie ab 250 Mitarbeitern herein, haben sie eine gute Chance, weitere Wachstumspotenziale zu realisieren. Die EU-Kommission sollte daher die aus dem Jahr 2003 stammenden Schwellenwerte, bis zu denen ein Unternehmen als „KMU“ gilt, deutlich anheben. Die Grenzen für den Jahresumsatz (derzeit 50 Mio. Euro) und für die Jahresbilanzsumme (43 Mio. Euro) sollten gemäß der seit 2003 eingetretenen Preis- und Produktivitätssteigerung deutlich erhöht werden. Die Grenze für die Mitarbeiterzahl sollte die Kommission auf mindestens 500 nach Einschätzung der Mehrheit der Unternehmen anheben. Zumindest sollte für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten eine „Mid Cap“-Kategorie geschaffen werden, insbesondere mit vereinfachtem Zugang zu Innovations-Programmen der Europäischen Union. Zudem sollte die EU-Kommission die Schwellenwerte in der EU-Rechnungslegungsrichtlinie 2013/34/EU für Kapitalgesellschaften überprüfen und diese ebenfalls anheben.
Ihre Programme insbesondere zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation sollte die EU weiter mittelstandsfreundlich entwickeln, wie etwa beim EIC Accelerator. Verbundene Unternehmen sollten nur dann in die Berechnung des KMU-Status einbezogen werden, wenn sie tatsächlich auch von der konkreten Sonderregelung profitieren; es sollte ein klares Regel-Ausnahme-Verhältnis geschaffen werden.

Keine Mehrbelastungen für den Mittelstand


Gerade KMU stellt das derzeitige wirtschaftliche Umfeld vor besondere Herausforderungen. Das gilt v. a. für die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und zusätzlich der Verwerfungen auf vielen Märkten infolge des russischen Krieges in der Ukraine, wie auch für die Aufgabe, die Transformation ihrer Wertschöpfungsprozesse so zu beschleunigen, dass das EU-Ziel der Klimaneutralität in der EU spätestens 2050 erreicht wird. Vor allem bei EU-Maßnahmen, die hohe Belastungen für die Wirtschaft mit sich bringen würden, sollte viel stärker als bislang auf die Umsetzungsmöglichkeiten durch KMU geachtet werden. Gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Unwägbarkeiten sollten EU-Vorhaben auf Mittelstandstauglichkeit und unter Einbeziehung des Mittelstands überprüft werden. Das gilt nach Ansicht vielen Unternehmen insbesondere für die Ausweitung der Offenlegungspflicht in der Taxonomie-Verordnung und beim EU-Lieferketten-Gesetz auch auf KMU. Generell sollte stärker berücksichtigt werden, dass aktuell bereits berichtspflichtige Unternehmen die an sie gestellten Anforderungen auch an ihre Zulieferer aus dem Mittelstand weiterreichen (müssen). Auch die Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, die Ausweitung ertragsteuerlicher Berichtspflichten für Online-Plattformen, der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) sowie die diskutierte Energiesteuer-Richtlinie mit der geplanten Anhebung von Mindeststeuersätzen sollten vor dem Hintergrund der erheblich gestiegenen Unsicherheiten für den Mitteltand dringend auf Notwendigkeit überprüft werden. Nach Umfragen der IHK-Organisation fordert ein Großteil der Unternehmen Entlastungen von administrativen Pflichten ein. So sehen 79 Prozent der neu gegründeten und jungen Unternehmen Bürokratieabbau als eine Hauptaufgabe der Politik an.

KMU beim Auslandsgeschäft unterstützen


Gerade KMU benötigen oftmals Unterstützung bei ihrer Auslandstätigkeit, z. B. bei der Suche nach geeigneten Geschäftspartnern, bei der Mitarbeiterentsendung oder bei Zollverfahren. Das gilt vor allem in dem derzeit von Unsicherheit und Protektionismus geprägtem internationalen wirtschaftlichen Umfeld. Die EU sollte protektionistischen Tendenzen entschlossen entgegentreten und das „Think Small First“-Prinzip in der Handelspolitik durch mittelstandsfreundliche Abkommen konsequent umsetzen. Dazu gehören etwa Handelsabkommen mit KMU-Kapiteln, einfachen Ursprungsregeln samt EU-Ursprungsrechner sowie Vereinbarungen zu Erleichterungen von Geschäftsreisen und der Anerkennung von Berufsqualifikationen. In der WTO sollte die EU aufbauend auf der KMU-Initiative eine WTO-Mittelstandsagenda vorantreiben, um KMU besser in globale Wertschöpfungsketten zu integrieren. Zudem gilt es, Doppelstrukturen in der Außenwirtschaftsförderung zu vermeiden. Neue EU-Strukturen und Instrumente zur Unterstützung von KMU bei der Internationalisierung müssen eine sinnvolle Ergänzung zu den erprobten und gut etablierten Instrumenten und Institutionen der nationalen Außenwirtschaftsförderung wie der deutschen Auslandshandelskammern (AHKs) sein. Insbesondere dürfen bereits auf dem Markt etablierte Anbieter nicht durch mit EU-Fördergeldern finanzierte Konkurrenz vom Markt verdrängt werden.