Wirtschaftspolitische Position der IHK Region Stuttgart

Taximarkt reformieren

Positionen:
  • Die IHK plädiert für eine Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens des deutschen Personenbeförderungsgewerbes mit PKW. Aus IHK-Sicht sollte dabei jedoch bedacht werden, dass aus ordnungspolitischer Perspektive spezielle Marktregulierungen nur dann erfolgen sollten, wenn ein Wettbewerbsversagen vorliegt. Zudem sind bei einer Regulierung die Instrumente mit der geringsten Eingriffsintensität zu bevorzugen, um ein Maximum an wettbewerblicher Selbststeuerung zu ermöglichen. Deshalb erscheint weder die staatliche Begrenzung der Anbieterzahl noch die Vorgabe eines festen Tarifs verkehrspolitisch geboten.
  • Eine Deregulierung des Marktes sollte nur unter der Bedingung erfolgen, dass die Sicherheit für den Fahrgast und die Öffentlichkeit nicht beeinträchtigt werden und die Funktionsfähigkeit des Marktes insgesamt erhalten bleibt. Das Ziel einer sicheren Beförderung ließe sich dabei auch durch staatliche Vorgaben für die sicherheitsrelevanten Angebotsmerkmale verwirklichen. Soweit jedoch eine Konzessionsfreigabe angestrebt wird, haben sowohl theoretische Analysen als auch Erfahrungen in Hamburg sowie auf ausländischen Märkten gezeigt, dass dies nur dann nicht zu Störungen der Funktionsfähigkeit des Taxigewerbes führt, wenn sie von einer wirkungsvollen Kontrolle und Durchsetzung eines rechtskonformen Angebots (insbesondere Einhaltung der Bestimmungen des Steuer-, Sozialabgaben- und
    Arbeitsrechts) begleitet wird. Darüber hinaus böte eine Abschaffung des Festtarifs den Beförderungsanbietern zusätzliche Möglichkeiten, auf sich wandelnde Marktsituationen zu reagieren. Dazu könnten beispielsweise Angebote unterschiedlicher Preis-/Qualitätskombinationen oder Sonderaktionen in nachfrageschwachen Zeiten gehören. Smartphone-Applikationen könnten dabei unter anderem die Informationskosten senken. Eine zwingende Voraussetzung für eine solche Deregulierung dürften jedoch erweiterte Informationspflichten darstellen. Zudem wäre zumindest für eine Übergangszeit eine Höchstpreisvorgabe zu befürworten.
  • Die Legalisierung eines auf Einkommenserzielung ausgerichteten Beförderungsangebots durch „Privatpersonen“ mit ihren privaten PKW, also durch Anbieter, die weder über eine Genehmigung nach dem Personenbeförderungsrecht noch über die entsprechenden Fahrerqualifikationen verfügen, würde auf dem Markt erhebliche Verwerfungen mit sich bringen, sodass die Legalisierung eines solchen Angebotsmodells insgesamt keine gesamtwirtschaftlichen Vorteile verspricht und bereits aus Gründen des Verbraucherschutzes in Deutschland nicht realisierbar erscheint. Im Übrigen würde es sich nach dem Dafürhalten der IHK nach dem steuerlichen Gewerbebetrieb auch bei solchen Anbietern um Gewerbetriebe handeln - und gerade nicht mehr um Privatpersonen. Es wäre aus IHK-Sicht nicht akzeptabel, dass es im Ergebnis Gewerbetreibende geben würde, die das Personenbeförderungsrecht - also besonderes Gewerberecht - einhalten müssen und solche, die es nicht müssen.
  • In Fragen der Verkehrssicherheit sollte es keine Kompromisse und damit auch keine Sonderregelungen für einzelne Anbieter geben. Alle Anbieter von gewerblichem Personenverkehr - auch bei neuen Angeboten der „Share-economy“ - sollten daher den Grundanforderungen ab der ersten Beförderung genügen. Dies sind aus Sicht der IHK ein Versicherungsschutz für gewerbliche Verkehre, eine jährliche Hauptuntersuchung des Fahrzeugs, der Personenbeförderungsschein, ein augenärztliches Attest, ein Führungszeugnis sowie ein mindestens zweijähriger Besitz der Fahrerlaubnis der Klasse B. Nicht zwingend erforderlich zur Erreichung dieses Zweckes ist eine Ortskundeprüfung. Sie ist nicht sicherheitsrelevant.
  • Zulässig ist bereits im geltenden Rechtsrahmen eine Vermittlung von Mietwagen über mobile Applikationen. Allerdings führt hier insbesondere die Rückkehrpflicht in Verbindung mit der Vorgabe, dass Aufträge nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürfen, dazu, dass die Vorteile eines solchen Angebotsmodells nur teilweise genutzt werden können. Folglich sollten diese neuen Angebotskonzepte zum Anlass genommen werden, die allgemeine rechtliche Rahmensetzung für Taxen und Mietwagen kritisch zu hinterfragen. Während eine isolierte Lockerung der Vorschriften zur Rückkehrpflicht und zur Auftragsannahme bei Mietwagen eine asymmetrische Veränderung der Rahmenbedingungen zulasten der Taxianbieter darstellen würde, böte eine gleichzeitige Deregulierung des Taxi- und des Mietwagenmarktes sowohl den etablierten Taxianbietern als auch den neuen Anbietern im Bereich der Mietwagenvermittlung neue Chancen, aber auch unternehmerische Herausforderungen. Zu beachten wäre, dass ein Unterlaufen der gesetzlichen Anforderungen über virtuelle Plattformen vermieden werden sollte.
  • Generell lassen technische Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung den Ordnungsrahmen für die Personenbeförderung mit PKW aus Sicht der IHK reformbedürftig erscheinen. So sollten die Begrifflichkeiten und die qualifikatorischen Anforderungen an das Fahrpersonal angepasst werden. Konkret böte es sich an, nicht mehr zeitgemäß erscheinende Formulierungen („fernmündlich“) an die technische Entwicklung anzupassen und beispielsweise die Bestimmungen zur Ortskenntnis des Fahrpersonals unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts im Bereich der Navigationssysteme zu modernisieren. Im Zusammenhang mit einer solchen Fortschreibung sollten auch andere technische Bestimmungen, deren Effektivität immer wieder kritisch hinterfragt wird, auf den Prüfstand gestellt werden. So beispielsweise die Pflicht zum Einbau von Alarmanlagen in Fahrzeuge zur Personenbeförderung.
  • Künftig sind alle Taxifahrten lückenlos in digitaler Form aufzuzeichnen. Für den Mietwagenbereich sollte dann aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit eine vergleichbare Pflicht gelten.
  • Vom Taxi- und Mietwagenverkehr abzugrenzen sind Mitfahrzentralen oder die die Vermittlung von Fahrten über Mitfahr-Apps („digitalisierter Daumen“). Hierüber vermittelte Fahrten werden ohnehin durchgeführt. Es werden lediglich Mitfahrer gesucht, um Betriebskosten zu teilen. Es besteht keine Gewinnerzielungsabsicht. Daher besteht aus Sicht der IHK keine Notwendigkeit für eine wie auch immer geartete Reglementierung.


Hintergrund:

Während auf der einen Seite technische Innovationen im Bereich der Digitalisierung sowohl neue Geschäftskonzepte als auch erweiterte Informations- und Auswahlmöglichkeiten der Nachfrager eröffnen, ist der rechtliche Rahmen in weiten Teilen seit Jahrzehnten unverändert, was nicht zuletzt an den verwendeten Begrifflichkeiten (z. B. „fernmündlich“) erkennbar ist. Dabei ist der Taxiverkehr Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, der einer umfassenden Marktregulierung unterliegen soll, damit die spezifischen verkehrspolitischen Ziele erfüllt werden können. Es sind die staatlichen Genehmigungsbehörden, die den Markt durch die Festlegung der Zahl von Konzessionen und die Höhe und Struktur der Taxitarife regeln. Dazu müssen sie die Funktionsfähigkeit des Marktes beurteilen. Eckdaten wie die tatsächliche Ertragslage bei den Unternehmen sind oftmals unbekannt. Ohne deren Kenntnis ist eine Beschränkung der Gewerbefreiheit, wie sie die Kontingentierung der Taxigenehmigungen darstellt, aber nicht zulässig. In Stuttgart sah sich die Landeshauptstadt und der Landkreis Esslingen veranlasst, aufgrund von Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht und vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion über die Anzahl der Taxikonzessionen im Jahr 2013 eine Untersuchung zur Funktionsfähigkeit des Taxigewerbes in Auftrag zu geben. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass das Stuttgarter Gewerbe auf vielfache Weise in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt sei und zu den betriebswirtschaftlich problematischsten in ganz Deutschland gehöre. Rahmenbedingungen, die zu einer positiven Entwicklung der Strukturen des Personenbeförderungsgewerbes führen, verbessern die betriebswirtschaftliche Situation der Betriebe in der Region Stuttgart und speziell in der Landeshauptstadt.
Mögliche Lösungsansätze hatte der baden-württembergische Industrie und Handelskammer-tag (BWIHK) bereits 2008/2009 in einem Gutachten zum Thema „Zukünftiger Ordnungsrahmen für die Personenbeförderung mit PKW“ erarbeiten lassen. Im Rahmen einer Workshopreihe wurden mit Marktakteuren, Interessenverbänden, Entscheidungsträgern und Experten Vorschläge zur Änderung des Ordnungsrahmens erarbeitet. Die Ergebnisse wurden als Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens formuliert.
Erneut aufgegriffen wurde das Thema im Jahr 2015, als die Monopolkommission der Bundesregierung Wettbewerbsdefizite auf den Taximärkten anmahnte und zeitgleich neue Anbieter den Markt mit Angeboten sondierten, die auf dem Gedanken des Teilens beruhen. Bestandteil solcher Share-economy-Geschäftsmodelle ist vielfach die Option, die Arbeitskraft einer Vielzahl von Privatpersonen zu nutzen. Auch in Stuttgart wollte einer dieser Anbieter Fuß fassen, gab im Rahmen eines vom örtlichen Taxigewerbe angestrengten Rechtsstreits jedoch nach. Die gesellschaftliche und politische Diskussion darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen solche Wettbewerber zugelassen werden sollten, geht jedoch weiter. Als Gebot der Stunde wurde daraufhin vom BWIHK eine Aktualisierung des Gutachtens in Auf-trag gegeben. Basis war erneut ein Workshop. Wieder gelang es, die verschiedenen Akteure unter wissenschaftlicher Moderation und Begleitung an einen Tisch zu bekommen. Damit wollten die IHKs nicht zuletzt den unterschiedlichen Meinungen im Gewerbe insbesondere zur Frage der Marktliberalisierung gerecht werden. Es wurden drei unterschiedliche Szenarien für eine Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens für das deutsche Personenbeförderungsgewerbe mit PKW entwickelt. Nach Auffassung der IHK stellt jedes für sich einen schlüssigen Weg für eine mögliche Neuordnung dar. Die Wahl, welches Szenario das richtige Modell für die Zukunft des deutschen Personenbeförderungsgewerbes mit PKW wäre, liegt nun bei den Entscheidungsträgern - insbesondere in der Politik.