Wirtschaftspolitische Position der IHK Region Stuttgart

Keine Gefährdung der Angebotsvielfalt durch überzogenen Verbraucherschutz

Positionen
  • Die Wirtschaft empfiehlt, dringend die Zahl der Informationspflichten zu Lasten der Wirtschaft im Namen des Verbraucherschutzes insgesamt zu reduzieren.

  • Dazu müssen alle neu geplanten Informationspflichten streng auf Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit, bereits bestehende Informationspflichten auf Zielerreichung, Effizienz, Verhältnismäßigkeit und Negativeffekte überprüft werden.

  • Als Grundlage für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Verbraucherschutznormen ist eine verlässliche Ermittlung der voraussichtlichen Kosten der Unternehmen durch Verbraucherschutzbestimmungen unabdingbar. Eine Rolle bei der Beurteilung sollte aus Sicht der Wirtschaft auch spielen, ob für die Wirtschaft kostenintensive Reglementierungen nicht dem Gros, sondern nur einem kleinen Anteil von Verbrauchern Vorteile bringen, insbesondere wenn die Lasten über höhere Preise alle Verbraucher tragen müssten.

  • Informationspflichten, die keinen echten Informationsmehrwert bieten, wie bspw. Belehrungen über die aktuelle Gesetzeslage, sollten keinen Bestand haben. Entsprechendes gilt für Informationspflichten, die lediglich der Umerziehung des Verbrauchers dienen sollen oder eher verwirren als informieren.

  • Auch außerhalb reiner Informationspflichten sollte der Erlass von Verbraucherschutznormen zu Lasten der Wirtschaft einer strengen Überprüfung auf Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit standhalten.

  • Gerade im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz mahnt die Wirtschaft an, Doppelregelungen zum selben Sachverhalt zu vermeiden und für die Unternehmerinnen und Unternehmer Normen widerspruchsfreie, verständliche und nachvollziehbare Normen zu gestalten.

  • Bei den Anforderungen im Namen des Verbraucherschutzes sollte aus Sicht der Wirtschaft auch in Betracht gezogen werden, ob kleine und mittlere Unternehmen überfordert und ihnen so Marktchancen genommen werden können.

  • Bei Verbraucherschutzbestimmungen, die den vorgenannten Anforderungen nicht entsprechen und auf einer EU-rechtlichen Vorgabe beruhen, sollten sich die deutschen Vertreter auf europäischer Ebene für eine Korrektur einsetzen und gegen die Neueinführung solcher Pflichten zu Lasten der Wirtschaft aussprechen.

  • Im Interesse einer verbesserten Öffnung des Binnenmarkts auch für kleine und mittlere Unternehmen empfiehlt die Wirtschaft, in Europa im Bereich des Verbraucherschutzes vorrangig eine Vollharmonisierung statt ein System von Richtlinien anzustreben, aber nicht auf dem Niveau des Mitgliedsstaats mit größter Bürokratie und Reglementierungsdichte.

  • Die Wirtschaft setzt sich für eine Begrenzung des Widerrufsrechts bei Online-Shops insbesondere für Produktgruppen mit hohem Wertverlust bei Vorbenutzung und bei hoher Missbrauchsgefahr ein. Durch eine Ausweitung des Begriffs des „Haustürgeschäfts“ sollten keine zusätzlichen Tatbestände für den Widerruf abgeschlossener Verträge zugunsten von Verbrauchern geschaffen werden.

  • Widerrufsrechte wegen (angeblich) nicht vollständig oder inhaltlich unrichtiger Verbraucherinformationen sollten stets zeitlich begrenzt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich Verbraucher auch noch viele Jahre nach Vertragsschluss wegen formaler Mängel auf ihr Widerrufsrecht berufen, nur um ein Dauerschuldverhältnis (zum Beispiel Darlehensvertrag) wegen günstiger Bedingungen bei einem Wettbewerber zu widerrufen.

  • Die Wirtschaft spricht sich gegen jede weitere Verschärfung des Verbrauchsgüterkaufrechts zu Lasten der Unternehmen aus.

  • Im Lebensmittelbereich setzt sich die Wirtschaft für eine Deregulierung ein, ohne einen angemessenen Gesundheitsschutz zu gefährden. Auch hier gilt es, sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu bewegen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen dürfen nicht durch Überforderung mit ihren vielleicht aus Verbrauchersicht besonders wertvollen und gesunden Produkten vom Markt ausgeschlossen werden, nur weil sie die bürokratisch überfrachteten Anforderungen nicht erfüllen können.

  • Aus Sicht der Wirtschaft ist gerade im Lebensmittelbereich für weitere Kennzeichnungsvorgaben (etwa „Ampeln“) und behördliche Informationen (etwa durch Internet-„Pranger“) mit Blick auch auf die berechtigten Interessen der betroffenen Unternehmen und unter Berücksichtigung milderer Mittel, genau abzuwägen, ob und inwieweit so vernünftige Interessen mündiger Verbraucher an insbesondere gesundheitsrelevanten Informationen in unmissverständlicher Weise und objektiv nachvollziehbar bedient werden können.


Hintergrund:

Im Zusammenhang mit Verbrauchern fällt auf, dass Fortschritte im Verbraucherschutz nicht selten mit einer Erhöhung der Zahl der Informationspflichten zu Lasten der Unternehmen gleichgesetzt werden, ohne angemessen Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft der Verbraucher zu berücksichtigen. Nicht jede gesetzlich verpflichtende Information besitzt auch einen belegbaren Informationswert.
Deregulierung und Bürokratievermeidung sind im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz untrennbar mit der Frage verknüpft, welches Bild der Staat bzw. der Gesetzgeber von den Verbrauchern hat. Leitbild muss nach Meinung der Wirtschaft der mündige und informierte Verbraucher sein, der nicht über einfachste, für den Großteil der Bevölkerung selbstverständliche Teilaspekte eines Geschäftsabschlusses informiert werden muss und der in der Lage ist, sich über gängige Informationsquellen ggfls. Detailinformationen zu beschaffen.
Wirtschaftliche Entwicklung und Angebotsvielfalt kann nur aus der Beachtung von Kundenwünschen entstehen, nicht aus staatlichen Vorgaben. Die Vertragsfreiheit muss höher bewertet werden. Ein lebendiger Wettbewerb statt umfangreicher Regelwerke sollte nicht nur aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sinnvoll, sondern auch aus Verbrauchersicht wünschenswert sein. Die Umsetzung unnötiger Schutzbestimmungen zahlt der Verbraucher über den Preis.
Überzogene Anforderungen an Unternehmen im Namen des Verbraucherschutzes gefährden die Marktchancen insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen. Die Einstellung zusätzlichen Personals oder der Einsatz externer Beratungsunternehmen zur Erfüllung immer neuer gesetzlicher Vorgaben ist für solche Unternehmen nur in engen Grenzen finanzierbar.
Angebotschancen werden durch Rechtszersplitterung beeinträchtigt. Gerade KMUs können keine 28 verschiedenen Verbraucherschutzrechte für ein EU-weites Angebot umsetzen – allein die gesetzeskonforme Handhabung des extrem komplizierten und unübersichtlichen deutschen Rechts ist Herausforderung genug. Die europaweit einheitliche Musterwiderrufsbelehrung für Onlinegeschäfte ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Wegen der offensichtlichen Existenzbedrohung sieht die Wirtschaft einhellig – auch unter verfassungsrechtlichen Erwägungen – die Idee besonders kritisch, Unternehmen zu zwingen, sich selbst wegen amtlich festgestellter Rechtsverstöße anzuprangern, bspw. durch negative „Smileys“ am Geschäftseingang einer Gaststätte. Nach einhelliger Meinung der IHK stehen die Vorteile für Verbraucher nicht in einem (von einigen Stimmen in der Wirtschaft in jedem Fall anzustrebenden) angemessenen Verhältnis zu den Nachteilen für die betroffenen Unternehmerinnen und Unternehmer, da evtl. Rechtsverstöße auch ohne solche Systeme abgestellt werden.
Besonderen rechtlichen Bedenken begegnet es, wenn Anlass für so einschneidende Maßnahmen formale Vorschriften bieten, von deren Verletzung keinerlei unmittelbare Gefahren für die Gesundheit von Verbrauchern ausgehen. Soweit auf staatlichen oder staatlich geförderten Verbraucherinformationsplattformen konkrete Rechtsverstöße angeprangert werden, erwartet die Wirtschaft wegen der hohen Risiken für erheblichen wirtschaftlichen Schaden bei den betroffenen Unternehmen eine sensible Abwägung bei den Behörden, bspw. ob konkrete gesundheitliche Gefahren für Verbraucher einen so schwerwiegenden Eingriff rechtfertigen.