Fachkräftesicherung II: Beschäftigung und Integration

Eine hohe Erwerbsbeteiligung ist eine wichtige Voraussetzung zur Fachkräftesicherung in den Unternehmen. Die Mitgliedstaaten müssen dafür die passenden Rahmenbedingungen schaffen und dabei nationale Besonderheiten berücksichtigen können. Hierbei sollte das Subsidiaritätsprinzip gewahrt werden. Die demografische Entwicklung, Digitalisierung, der Weg hin zur Klimaneutralität und Internationalisierung stellen Unternehmen – gerade kleine und mittlere Unternehmen – vor Herausforderungen. Um diesen erfolgreich begegnen zu können, brauchen die Unternehmen neben passenden Fachkräften ausreichend Flexibilität und dürfen nicht durch Bürokratielasten beeinträchtigt werden.
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen:
  • Beschäftigungspotenziale heben
  • Beschäftigung von Frauen erhöhen
  • Anpassungsfähigkeit der Unternehmen sichern, Bürokratiebelastung auf den Prüfstand stellen
  • Für die Integration von Geflüchteten gemeinsam Verantwortung übernehmen
  • Zuwanderung sinnvoll steuern

Beschäftigungspotenziale heben

Viele deutsche Unternehmen finden keine Fachkräfte. Mehr als die Hälfte der Unternehmen sieht lt. aktueller DIHK-Konjunkturumfrage im Fachkräftemangel ein Risiko für ihre Geschäftsentwicklung. Gleichzeitig herrscht in anderen EU-Staaten hohe Arbeitslosigkeit. Zudem stellt der demografische Wandel viele EU-Staaten mittelfristig vor große Herausforderungen. Beschäftigungspolitische Leitlinien der EU müssen im Sinne der Betriebe auf eine hohe Erwerbsbeteiligung zielen und die betrieblichen Anstrengungen zur Fachkräftesicherung unterstützen.
Es ist notwendig, in den Mitgliedstaaten beschäftigungsfreundliche Rahmenbedingungen zu setzen und die Potenziale Arbeitsloser besser auszuschöpfen. Die konkrete Ausgestaltung – z. B. bei der Lebensarbeitszeit, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie bei flexiblen Beschäftigungsformen – sollte hier bei den Mitgliedstaaten liegen. Nur so können nationale Besonderheiten und unterschiedliche institutionelle Arrangements in den Mitgliedstaaten berücksichtigt werden, in denen sich die Unternehmen bewegen.

Beschäftigung insbesondere von Frauen erhöhen

Die Förderung der Erwerbstätigkeit von Eltern und Angehörigen mit Pflegeaufgaben ist mit Blick auf die Fachkräftesicherung in den Unternehmen essenziell. Insbesondere mit Blick auf Frauen liegen hier große Potenziale. Eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit ist zudem deshalb wichtiges Ziel, weil sie sich auch in einer stärkeren Präsenz von Frauen in Führungspositionen abbilden wird.
Allem voran sollten die notwendigen Rahmenbedingungen für umfangreichere Erwerbstätigkeit – für Frauen wie für Männer – geschaffen werden. Hier sollten gemäß dem Subsidiaritätsprinzip die jeweiligen Mitgliedstaaten ansetzen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. So gilt es mit Blick auf die Fachkräftesicherung in den Betrieben die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – und zwar sowohl mit Blick auf Kinderbetreuung wie auch auf pflegebedürftige Angehörige – weiter zu verbessern. Nicht zuletzt die Pandemie hat gezeigt, dass eine funktionierende Kinderbetreuung maßgeblich zur Fachkräftesicherung beiträgt. Wichtig ist insbesondere eine bedarfsgerechte Kinderbetreuungsinfrastruktur mit flexiblen Betreuungszeiten, auch an den Randzeiten, Möglichkeiten der Ferienbetreuung, eine ausreichende Anzahl auch an Tagespflegeplätzen etc.
Die Wirtschaft ist bereit, ihren Teil dazu beizutragen, dass insbesondere Frauen und Mädchen eine Ausbildung oder ein Studium in mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Feldern aufnehmen. Auch dies fördert eine breite Präsenz von Frauen in allen Branchen und damit auch in Führungspositionen. Gesetzliche EU-weite Quoten setzen dagegen nicht an den Ursachen an. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass sie Unternehmen mit zusätzlichem bürokratischem Aufwand belasten und passende betriebliche Lösungen verhindern können.

Anpassungsfähigkeit der Unternehmen sichern, Bürokratiebelastung auf den Prüfstand stellen

Die schnelle Veränderung von Märkten, der Umgang mit den Folgen der Corona-Krise und des Krieges in der Ukraine, die Präsenz auf Weltmärkten und mögliche Tendenzen einer De-Globalisierung, technischer Fortschritt, Digitalisierung und der Weg zur Klimaneutralität erfordern von den Unternehmen eine hohe Anpassungsfähigkeit. Europäische Regulierungen wie z. B. bei der Arbeitnehmerentsendung, Arbeitsbedingungen und Mindesteinkommen bergen die Gefahr von Rechtsunsicherheit, neuen Bürokratielasten und Kosten – gerade für kleine und mittlere Unternehmen. Sie sollten daher die Arbeitsmarktflexibilität nicht einschränken.
Flexibilität und Rechtssicherheit sind zentral für Unternehmen – gerade im Hinblick auf die geschilderten Herausforderungen. Hierauf sollte die EU bei ihren Entscheidungen nicht zuletzt bei der Umsetzung des Aktionsplans zur Säule sozialer Rechte achten und die zusätzlichen bürokratischen Lasten in den Unternehmen stärker bedenken sowie insbesondere den Subsidiaritätsgrundsatz und somit die nationalen Kompetenzen in diesem Bereich berücksichtigen. EU-Richtlinien sollten die Arbeitsmarktflexibilität in den Mitgliedstaaten nicht einschränken, um die nötige Anpassungsfähigkeit der Unternehmen nicht zu verringern – vielmehr zeigen Beschäftigungsprobleme in EU-Ländern, dass weitere Flexibilisierungen hilfreich sein können. Betriebliche Herausforderungen z. B. hinsichtlich der Organisation von orts- und zeitflexiblem Arbeiten gerade durch die Möglichkeiten der Digitalisierung lassen sich zumeist im Betrieb am leichtesten regeln, nicht durch nationalstaatliche oder EU-weite Regelungen.
Insbesondere für Unternehmen in Grenzregionen ist eine grenzüberschreitende Beschäftigung üblich. Die notwendige Mobilität sollte hierbei auch in Krisenzeiten gesichert und bürokratiearm gewährleistet sein.

Für die Integration von Geflüchteten gemeinsam Verantwortung übernehmen

Die Zuwanderung von Geflüchteten aus Drittstaatländern stellt die EU-Mitgliedstaaten vor große Herausforderungen und erfordert hohe Ausgaben und gezielte Maßnahmen, um ihre Integration in gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben zu ermöglichen. Gleichzeitig kann sie bei gelungener Integration einen Beitrag zur Fachkräftesicherung in den Unternehmen leisten. Nach der großen Fluchtbewegung 2015/2016 haben Mitgliedstaaten zahlreiche Maßnahmen umgesetzt sowie die nötige Infrastruktur in den zuständigen Behörden und Institutionen ausgebaut, um die Integration der Geflüchteten zu erleichtern und zu beschleunigen.
Die jüngsten Erfahrungen mit dem Krieg in der Ukraine und die Aktivierung der Massenzustromrichtlinie haben verdeutlicht, dass eine stärkere Koordination der Zuwanderung von Geflüchteten auf EU-Ebene zu einer besseren Verteilung des Aufwands und zu Erleichterungen insb. für nationalen Behörden und Institutionen führen kann. Dies ermöglicht es den jeweiligen Mitgliedstaaten, den Fokus auf die nötigen Integrationsmaßnahmen zu legen um die Geflüchteten möglichst schnell in Ausbildung und Beschäftigung zu bringen, den Spracherwerb zu fördern und die fachliche Qualifizierung zu unterstützen. Davon profitieren Unternehmen in Deutschland sowie in den anderen Mitgliedsstaaten. Besonders bedeutend ist hierfür auch die finanzielle Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung einer effizienten Integrations- und Migrationspolitik mit Mitteln Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) oder des Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus).

Zuwanderung sinnvoll steuern

Arbeitnehmerfreizügigkeit und arbeitsmarktorientierte Zuwanderung aus Drittstaaten haben eine hohe Bedeutung für Unternehmen bei der Fachkräftesicherung. Deutschland, aber auch viele weitere EU-Staaten, stehen vor der Herausforderung, dass künftig mehr ältere Beschäftigte aus dem Erwerbsleben ausscheiden, als junge hinzukommen.
Die arbeitsmarktorientierte Zuwanderung muss durch die Mitgliedstaaten ausgestaltet werden, um spezifischen Anforderungen gerecht zu werden. Gleichzeitig sollte die EU als Ganzes ein attraktiver Standort für internationale Fachkräfte sein, um die hiesigen Unternehmen im weltweiten Wettbewerb um Personal zu unterstützen.
Deutschland hat seine Zuwanderungsregelungen in den letzten Jahren deutlich vereinfacht und damit ein wichtiges Signal gesetzt, auch wenn gerade für beruflich Qualifizierte noch Verbesserungspotenziale bestehen. Dies gilt zum einen für die Umsetzung der bestehenden Regelungen z. B. durch schnellere und digitale Verfahren im Visumprozess. Zum anderen sind Erleichterungen der Regelungen möglich z. B. um einfacher mit einer nur teilweisen Gleichwertigkeit der ausländischen Berufsqualifikation in Deutschland zu arbeiten. Zudem gilt es, die Möglichkeiten und Perspektiven des Arbeits- und Studienorts Deutschland, aber auch der EU, gezielt bekannt zu machen. Unternehmen sollten bei der Suche und Rekrutierung ausländischer Fachkräfte besser unterstützt werden. Der administrative Prozess der Zuwanderung sollte insgesamt effizienter werden. Da gute Sprachkenntnisse eine wichtige Chance für die erfolgreiche Zuwanderung und Integration sind, könnte die EU verstärkt den Spracherwerb des Ziellandes bereits in den Herkunftsländern unterstützen. Um die grenzüberschreitende Arbeitskräftemobilität insgesamt zu stärken, sollte die Berufsanerkennung in den Mitgliedstaaten vereinfacht und beschleunigt werden. Ein zentrales Verfahren, wie es die IHK FOSA praktiziert, kann dabei hilfreich sein.
Grundsätzlich sollten die Chancen der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Sicht der Unternehmen noch stärker genutzt und bestehende Hürden abgebaut werden. Die EU-Arbeitsbehörde kann hierzu einen Beitrag leisten. Sie muss dafür z.B. effizient und unbürokratisch Unternehmen und Beschäftigte hinsichtlich der Arbeitskräftemobilität informieren und unterstützen, bestehende Angebote bekannter machen, die Zusammenarbeit der nationalen Behörden effizient flankieren und, wo nötig, Mitgliedsstaaten dabei unterstützen, Informationsangebote und Handlungskompetenzen der Behörden bei der Rechtsdurchsetzung zu stärken.
Auch ist zu prüfen, ob mit Mitteln des ESF Plus die Zuwanderung zur Fachkräftesicherung flankiert werden kann. Neben der Zuwanderung kommt der Abwanderung insb. ausländischer Fachkräfte eine entscheidende Rolle zu. Je geringer die Abwanderung ist, desto geringer kann die Neuzuwanderung rein rechnerisch ausfallen und damit wären Kosten und Aufwand der Fachkräftegewinnung und Integration für Unternehmen und Gesellschaft geringer. Daher ist es sinnvoll, dass die EU-Kommission im Arbeitsprogramm 2022 eine Initiative gegen Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte ankündigt, bei der auch mögliche Lösungen zur Eindämmung oder Umkehr dieser Abwanderung Gegenstand sein sollen. Hierbei sollte es darum gehen, den Wirtschaftsstandort zum Leben und Arbeiten für Fachkräfte und deren Familien attraktiv auszugestalten und so Anreize zum Bleiben zu setzen.