Industrie mitten in der Krise
Die exportorientierte baden-württembergische Industrie kann den Frühjahrsaufschwung nicht nutzen und rutscht im Herbst erneut ab. Sowohl konjunkturelle als auch strukturelle Herausforderungen setzen die Branche unter Druck. Die seit Langem schwächelnde Nachfrage aus dem In- und Ausland drückt die Auftragslage, besonders die Einbrüche in den großen Exportmärkten USA und China. Gleichzeitig wirken strukturelle Belastungen hemmend. Hinzu sorgen die für eine Mehrheit der Unternehmen Dauerrisikofaktoren Arbeits- und Energiekosten für ein Anhalten der Industriekrise. Die hohen Standortkosten bedingen verstärkt die geringe Wettbewerbsfähigkeit baden-württembergischer Betriebe. Der erratische Protektionismus der Trump-Regierung s mit Zöllen von 15 Prozent sowie zusätzlichen 50 Prozent auf Stahl und Aluminium verschärft die Lage. Die erhoffte industrielle Erholung bleibt aus – die Krise der Industrie setzt sich fort. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.
Im Angesicht dieser Probleme befinden sich Lage und Erwartung der Industrie nach leichtem Anstieg im Frühsommer erneut auf Talfahrt. Der Negativtrend hält im Stil einer Wellblechkonjunktur nun seit vier Jahren an. Nur jedes fünfte Unternehmen berichtet von einer guten wirtschaftlichen Situation – ähnlich wie im Frühsommer. Gleichzeitig bewerten inzwischen 32 Prozent ihre Lage als schlecht, vier Prozentpunkte mehr als zuvor.
Der seitens der Bundesregierung angekündigte „Herbst der Reformen“ lässt die Geschäftserwartungen nicht aufleben. Exzessive Bürokratie, wie etwa lange Genehmigungsprozesse oder das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, bleibt ein zentrales Wettbewerbshemmnis für die Industriewirtschaft. Die schwarz-rote Koalition erfüllt die Erwartungen der Industrie bislang nicht. 42 Prozent der Unternehmen sehen die aktuelle Wirtschaftspolitik als Risiko – lediglich ein Prozent weniger als im Frühsommer. Diese Einschätzung spiegelt sich auch in den konkreten Geschäftserwartungen der Industrie wider: Nur noch jeder fünfte Betrieb blickt optimistisch in die Zukunft - ein Rückgang um einen Prozentpunkt. Knapp 25 Prozent rechnen mit schlechteren Geschäften, drei Prozentpunkte mehr als zuvor. Der Erwartungsindikator liegt nun bei -4 Punkten und damit immerhin auf dem zweithöchsten Niveau seit Herbst 2023.
Die schwache Inlandsnachfrage ist ein Sorgenkind, welches fast drei Vierteln aller Unternehmen zusetzt. Doch auch die schwache Auslandsnachfrage stellt für 49 Prozent ein Risiko für die eigene wirtschaftliche Entwicklung dar. Beides zeigt sich in den Entwicklungen der Auftragseingänge. Der entsprechende Indikator fällt um 12 Punkte auf -21. Nach dem Anstieg im Frühsommer sinken Inlandsaufträge nun um 11 Punkte auf –26, Auslandsaufträge um 13 Punkte auf –19.
Bedingt wird diese Einschätzung sicherlich auch durch geopolitische Spannungen, wie dem Krieg in der Ukraine und Handelskonflikten mit den USA. In dieser Hinsicht hat sich die Lage im Vergleich zum Frühjahr zwar leicht entspannt, dennoch sehen 52 Prozent der Unternehmen darin weiterhin ein Risiko für ihr Geschäft
Die fallenden Aufträge schlagen sich dementsprechend auch in der Kapazitätsauslastung nieder. Sie bewegt sich seitwärts und bleibt nahezu unverändert bei rund 77 Prozent – acht Punkte unter dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Diese Stagnation bietet daher keinen Anlass für Optimismus.
Auch die Inlandsinvestitionen sind rückläufig. Keine Branche der Industrie erwartet im nächsten Jahr steigende Investitionen. Der Indikator liegt bei -20 Punkten – das sind 26 Punkte unter dem Mittel der letzten 10 Jahre. Dieses ist branchenübergreifend im positiven Bereich – ein Zeichen dafür, wie weit die Industrie von ihrer früheren Stärke entfernt ist. An Kapazitätserweiterung oder Expansion denken derzeit kaum Unternehmen; lediglich 17 Prozent nennen Expansion als Investitionsmotiv.
Arbeitskosten werden inzwischen noch kritischer bewertet als im Frühsommer. Für sechs von zehn Unternehmen stellen sie ein Risiko für die Entwicklung dar. Hohe Energiepreise belasten weiterhin knapp 48 Prozent der Industriebetriebe erheblich. Zusammen führen diese Faktoren zu hohen Standortkosten in Deutschland. Der Arbeitsmarkt spiegelt diese verhaltene Lage wider: 37 Prozent der Betriebe planen, ihre Beschäftigtenzahl in den kommenden zwölf Monaten zu reduzieren, während nur 9 Prozent einen Zuwachs erwarten. Diese Entwicklung deckt sich mit den jüngsten Meldungen über Werkschließungen und Personalabbau. Der Fachkräftemangel spielt kaum noch eine Rolle - wie im Frühsommer sehen ihn nur ein Drittel der Unternehmen als Hemmnis. Seit dem Hoch von 64 Prozent im Frühjahr 2023 verliert das Thema an Relevanz – nicht etwa, weil das Fachkräfteproblem gelöst wurde, sondern weil in Zeiten schwacher Konjunktur weniger Fachkräfte benötigt werden.
Der Fahrzeugbau steckt in der Krise. Die US-Zollpolitik trifft die Branche erheblich, da die zusätzlichen Abgaben die Wettbewerbsfähigkeit der Autopreise mindern. Gleichzeitig schrumpft der Marktanteil in China und bricht vor allem bei Elektrofahrzeugen deutlich ein. Hohe Lohnstück- und Energiekosten verteuern den Standort und stellen das aktuelle Geschäftsmodell infrage. Die daraus resultierende schwache Auslandsnachfrage sehen 66 Prozent der Unternehmen als Risiko. Das wirkt auch negativ auf die Auftragseingänge: Nur noch 8 Prozent melden steigende Aufträge, gegenüber 34 Prozent zuvor. Rückgänge verzeichnen 46 Prozent der Betriebe – im Frühsommer waren es lediglich 4 Prozent. Der Indikator fällt von guten 31 Punkten auf -38 Punkte. Auch die Beschäftigungsaussichten trüben sich: 62 Prozent rechnen mit sinkenden Mitarbeiterzahlen, der Indikator liegt bei –56 Punkten, eine Verschlechterung um 29 Punkte. Aktuell bewerten nur 12 Prozent ihre Geschäftslage als gut, 39 Prozent hingegen als schlecht. Für die kommenden zwölf Monate erwarten 29 Prozent eine weitere Verschlechterung, deutlich mehr als die 12 Prozent im Frühsommer. Nur 16 Prozent hoffen auf Besserung. Besonders besorgniserregend ist die Tendenz im Auftragseingang. Im Inland sinkt der Indikator um 38 Punkte auf -33,2. Eine schwache Inlandsnachfrage wird mit 68 Prozent nochmal kritischer als die Auslandsnachfrage gesehen. Im Frühsommer waren es hingegen etwas über die Hälfte der Betriebe. Der größte Risikofaktor ist mit 71 Prozent der Nennungen die geopolitischen Spannungen - ein Ende der Zollkriege wird demnach nicht erwartet.
Auch die Metallindustrie kämpft mit einer Lageverschlechterung und liegt bei -23 Punkten. Die angekündigte Strompreissenkung der Regierung ist ein leichter Stimmungsaufheller. Die Geschäftserwartung steigt um 6 Punkte, wenngleich sie mit -3 Punkten negativ bleibt. Allerdings gehen die Arbeitsaufträge ebenso wie die Exporterwartungen weiter zurück. Die US-Zölle auf Stahl und Aluminium in Höhe von 50 Prozent treffen die Branche insbesondere. Zusätzlich belastet die schwache Inlandsnachfrage, welche von 79 Prozent der Betriebe als Risiko für ihr Unternehmertum gesehen wird.
Einen Lichtblick in der krisengebeutelten Industrie bietet die Elektrotechnik. Zwar hat sich die Geschäftslage von +5 auf –2 Punkte verschlechtert, dennoch blickt die Branche optimistisch in die Zukunft. Als einzige weist sie weiterhin positive Geschäftserwartungen auf, die auf dem Niveau des Frühsommers liegen. 39 Prozent der Betriebe rechnen im kommenden Jahr mit steigenden Umsätzen, ebenso viele mit stabilen – eine erfreuliche Perspektive. Die Exporterwartungen sind trotz Rückgangs um 7 Punkte noch positiv (+7), was die Elektrotechnik von anderen Branchen unterscheidet. Allerdings deuten andere Indikatoren auf eine leichte Verschärfung hin: der Aufwind des Frühsommers verfliegt. Die Auftragseingänge liegen wieder bei –6 Punkten im Negativen und die Inlandsnachfrage wird mit 76 Prozent der Nennungen noch kritischer bewertet. Auch die Arbeitskosten gewinnen an Bedeutung; ihre Erwähnung stieg um zehn Punkte auf 56 Prozent.
Auch der Maschinenbau gerät zunehmend unter Druck. Wie andere Branchen leidet er unter den US-Zöllen, die den Export verteuern. Bestimmte Warengruppen sind aufgrund ihres Metallanteils zusätzlich von den 50-Prozent-Zusatzzöllen betroffen. Die Geschäftslage verschlechtert sich weiter und liegt nun bei -16 Punkten, da der Anteil der Unternehmen, die von einer schlechten Geschäftslage berichten, gestiegen ist. Von der positiven Geschäftserwartung im Frühsommer ist nichts mehr zu sehen. Bei -5 Punkten liegt der Indikator derzeit. Auch die Auftragseingänge gehen erneut zurück. Nur noch 13 Prozent der Betriebe rechnen mit einem Anstieg - sieben Prozentpunkte weniger als zuvor. Weit über ein Drittel meldet eine fallende Tendenz bei den Aufträgen. Hoffnung gibt allein der asiatische Markt, wo steigende Exporte erwartet werden.
In der Vergangenheit war es der Export, der die Wirtschaft Baden-Württembergs wie kaum eine andere Region in Deutschland ankurbelte. In Zeiten geopolitischer Unsicherheiten und Handelskriegen macht es sich bemerkbar, wenn dieser Motor nachlässt. Die Industrie ist unmittelbar betroffen und kommt aus ihrem Tal nicht heraus. Die Exporterwartungen nach Regionen verdeutlichen dies: Für China wird von deutlich weniger Exporten ausgegangen, ein Rückgang um 7 Punkte. Die Zahlen für die USA sind zwar noch stark negativ, erholen sich aber um 15 Punkte. 15 Prozent hohe Zölle sind einerseits deutlich mehr als die vor Trumps zweiter Amtszeit vorliegenden 2,5 Prozent, doch haben es viele Industriebetriebe im Frühsommer noch schlimmer befürchtet. Doch auch für die Eurozone und das übrige Europa wird von fallenden Exporten ausgegangen. Europa kann vorerst also nicht den Verlust in anderen Märkten kompensieren. Hoffnung gibt aber die Erschließung neuer Absatzmärkte in Asien sowie Süd- und Mittelamerika. Die Indikatoren liegen bei jeweils 5 und 4 Punkten im positiven Bereich. Insbesondere letzterer ist um 3 Punkte gestiegen. Diese könnten in Zukunft eine größere Rolle für die Zukunft der baden-württembergischen Industrie spielen.