Bürokratieabbau sieht anders aus

Geplantes Gesetz zur Reduktion bürokratischer Vorschriften würde Wirtschaft um drei Prozent entlasten

BWIHK-Vize Claus Paal: „Von dieser Entlastung kommt bei den Betrieben fast nichts an“

Trotz vieler Ankündigungen und zahlreicher konkreter Vorschläge aus der Wirtschaft tritt die Politik beim Bürokratieabbau auf der Stelle. Mit dem geplanten Regelungsbereinigungsgesetz sollen einzelne Verwaltungsverfahren effizienter gestaltet und überflüssige Regelungen abgeschafft werden. Der Gesetzentwurf der Landesregierung wird an diesem Mittwoch im Landtag diskutiert. Ein großer Wurf für die Wirtschaft ist das allerdings nicht.
„Die Landesregierung redet seit Jahren vom Bürokratieabbau, doch in der Praxis kommt bei den Unternehmen fast nichts an“, kritisiert Claus Paal, Vize-Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages und Präsident der IHK Region Stuttgart. „Statt mutiger Schritte sehen wir nur kleine Korrekturen – so entlastet man die Wirtschaft nicht. Unsere Betriebe brauchen echte Freiräume, keine kosmetischen Eingriffe. Wer Wettbewerbsfähigkeit und Innovation sichern will, muss den Mut haben, Vorschriften konsequent zu streichen und Verfahren radikal zu vereinfachen.“
„Ich bin mir mittlerweile sicher, dass der eingeschlagene Weg falsch ist, die Verwaltung selbst zu beauftragen, sich zu reformieren“, so Paal. „Weder Motivation noch Tempo sind ausreichend. Und bisher hat die Politik es noch nicht einmal geschafft, neu hinzukommende Belastungen über ein Moratorium zu stoppen.“

Regelungsbereinigungsgesetz mit ernüchternder Bilanz

Das jetzt vorliegende Regelungsbereinigungsgesetz soll in 17 Artikeln Änderungen an 17 Gesetzen regeln – darunter Anpassungen im Bildungszeitgesetz, bei der Ladenöffnung und im Arbeitsrecht. Doch die Bilanz bleibt ernüchternd: Selbst wenn in jedem der 17 Artikel drei Berichts- oder Dokumentationspflichten entfallen würden – was bei weitem nicht der Fall ist – käme man auf 51 von insgesamt 1.608 gemeldeten Pflichten. Das entspricht gerade einmal drei rozent.
Zum Hintergrund: Begleitend zur Entlastungsallianz hatte die IHK Region Stuttgart mithilfe künstlicher Intelligenz insgesamt 6.256 Normen aus dem Wirtschaftsrecht des Landes auf überflüssige Bürokratie hin geprüft. Das Ergebnis: 526 Berichtspflichten, 692 Dokumentationspflichten und 390 Schriftformerfordernisse wurden identifiziert und dem Wirtschaftsministerium übermittelt – verbunden mit konkreten Vorschlägen zum Abbau. „Die Wirtschaft hat geliefert: Wir haben tausende Normen durchleuchtet und konkrete Abbauvorschläge auf den Tisch gelegt. Doch trotz dieser Vorarbeit ist bislang kaum etwas passiert“, kritisiert Paal.

Einzelne Erleichterungen, aber kein Durchbruch

Einige kleinere Verbesserungen wurden mit dem Entlastungspaket III umgesetzt – etwa die Zusammenführung zweier Formulare in der Schuldnerberatung, der Wegfall bestimmter artenschutzbezogener Dokumentationspflichten bei Genehmigungen von Windenergieanlagen oder eine Vereinfachung im Vergaberecht. Auch eine Novelle des Gaststättenrechts wurde angestoßen.
„Ja, es gibt sinnvolle Schritte – aber sie reichen bei Weitem nicht aus, um die Wirtschaft wirklich zu entlasten“, betont Paal. „Gleichzeitig werden immer neue Vorschriften erlassen, die Betriebe zusätzlich belasten. Unterm Strich ist das kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt.“

Zweiter Anlauf beim Abbau von Schriftformerfordernissen

Immerhin zeigt sich beim „Zweiten Gesetz zum Abbau verzichtbarer Schriftformerfordernisse“ ein weiterer Ansatz, Bürokratie tatsächlich abzubauen. Der Entwurf, der sich derzeit in der öffentlichen Anhörung befindet, sieht vor, in über 200 Landesvorschriften die bisherige Schriftform abzuschaffen oder durch eine einfache elektronische Erklärung – etwa per E-Mail – zu ersetzen. Damit werden Verfahren zumindest in Teilbereichen digitaler und einfacher
„Entscheidend ist, dass das Gesetz nun zügig und ohne Verwässerung durch den Landtag kommt – und dass es kein Einzelfall bleibt“, fordert Paal. „Wenn das Land den Bürokratieabbau ernst meint, darf es bei diesen punktuellen Maßnahmen nicht stehenbleiben.“

Forderung der Wirtschaft: Echte Wende statt Stückwerk

Der BWIHK-Vize fordert, die Vorschläge der Wirtschaft endlich ernsthaft aufzugreifen und in deutlich größerem Umfang umzusetzen. „Wir brauchen eine echte Wende im Bürokratieabbau. Die Wirtschaft hat geliefert – jetzt muss die Politik handeln. Unsere Unternehmen haben keine Zeit für immer neue Formulare und Nachweise.“
Das Angebot der Wirtschaft, aktiv am Abbau überflüssiger Vorschriften und einem Nachfolgeformat der Entlastungsallianz mitzuwirken, stehe weiterhin – „vorausgesetzt, der Landesregierung ist es auch wirklich ernst damit“, so Paal.

Hintergrund: Geänderte Gesetze des Regelungsbereinigungsgesetzes

  • Änderung des E-Government-Gesetzes Baden-Württemberg
  • Änderung des Umweltverwaltungsgesetzes: Zuständigkeitsregelungen
  • Änderung des Wassergesetzes für Baden-Württemberg
  • Änderung der Verordnung des Umweltministeriums über die dezentrale Beseitigung von Niederschlagswasser
  • Änderung des Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz
  • Änderung des Naturschutzgesetzes
  • Änderung des IHKG: Anpassung an Bundesgesetz
  • Änderung des Gesetzes über die Ladenöffnung: Verpflichtung des Inhabers einer Verkaufsstelle, ein Verzeichnis über Namen, Tag, Beschäftigungsart und Beschäftigungszeiten der an Sonn- und Feiertagen tätigen Arbeitnehmer zu führen entfällt; Auslegungspflicht entfällt.
  • Änderung des Bildungszeitgesetzes: Klarstellung, dass die Schiedsstelle nur dann angerufen werden kann, wenn der Anbieter einer Weiterbildungsmaßnahme als Bildungseinrichtung anerkannt ist; Wegfall der Bedarfsdarlegung einer Weiterbildung
  • Aufhebung des Kontrollratsgesetzes Nr. 35 sowie der Badischen Landesschlichtungsordnung
  • Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes: Pauschalierung der Leistungsaufwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz soll die bisherige Spitzabrechnung ersetzen
  • Erlass einer Flüchtlingsaufnahmegesetz-Erstattungsverordnung
  • Rückkehr zum einheitlichen Verordnungsrang
  • Änderung des Jagd- und Wildtiermanagementgesetzes
  • Änderung des Landeswaldgesetzes: Entfallen mehrerer Antrags- bzw. Genehmigungsverfahren
  • Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Flurbereinigungsgesetzes

Hintergrundinformation:

Der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) ist eine Vereinigung der zwölf baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern (IHKs). In Baden-Württemberg vertreten die zwölf IHKs die Interessen von mehr als 650.000 Mitgliedsunternehmen. Zweck des BWIHK ist es, in allen die baden-württembergische Wirtschaft und die Mitgliedskammern insgesamt betreffenden Belangen gemeinsame Auffassungen zu erzielen und diese gegenüber der Landes-, Bundes- und Europapolitik sowie der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) und anderen Institutionen zu vertreten.