Die Besondere Geschichte

Die Viertagewoche - hier funktioniert sie

Um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten, hat Gramm Medical in Weinstadt die Viertagewoche eingeführt. Die Erfahrungen sind gut.
Seit Einführung der 4-Tage-Woche ist das Gramm-Team weniger krank und kommt dafür erholter zur Arbeit.
Es war Anfang 2022, als Marc Sauer erstmals darüber nachdachte zu unkonventionellen Mitteln zu greifen – bei der Suche nach Mitarbeitern für seine Gramm Medical Healthcare GmbH. Goodies und Incentives wie das Jobrad hatte er längs ausprobiert, mit mäßigem Erfolg. „Das ist mittlerweile
Standard, jeder bietet soetwas an.“ Natürlich auch die Konzerne und großen Mittelständler
im Rems-Murr-Kreis und der gesamten Region, die überdies noch mit einem Salär locken, das sich Sauer mit seinem Familienbetrieb nicht leisten kann.

Kleine Betriebe setzen Neues schneller um

Gramm Medical vertreibt unter der Marke Actinomedic vor allem Pflaster, Verbandsstoffe, Hygiene- und Erste-Hilfe- Artikel, die bei Lohnfertigern hergestellt werden. In Lager, Vertrieb und Marketing beschäftigt das Unternehmen 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Unsere geringe Größe hat auch Vorteile“, sagt Sauer. „Kleine Betriebe sind fl exibler und können Neuerungen schneller und effektiver
umsetzen.“
Und noch etwas anderes kann ein kleines Unternehmen bieten. „Für immer mehr Menschen ist freie Zeit eine genauso wertvolle Ressource wie das Gehalt.“ Die Vier-Tage-Woche, von gewerkschaftlicher Seite immer wieder ins Spiel gebracht, von den meisten Unternehmen stets abgelehnt, schien ein möglicher Weg.

Freitags bleibt die Firma zu

Warum nicht einmal ausprobieren, dachte sich Marc Sauer. Erwartungsgemäß fand er bei den meisten seiner Beschäftigten offene Ohren. Allerdings tauchten auch unerwartete Schwierigkeiten auf, etwa bei Teilzeit-Mitarbeiterinnen, die auf die Abholzeiten im Kindergarten angewiesen waren.
Dennoch entschied sich Sauer, von Februar 2023 an ein neues Arbeitszeitmodell zu testen. Die Mitarbeiter arbeiten seither von Montag bis Donnerstag je neun Stunden, am Freitag bleibt die Firma geschlossen. Die Arbeit ist also nicht nur auf vier statt fünf Arbeitstage konzentriert, die  Beschäftigten arbeiten außerdem nur noch 36 statt 40 Stunden wie bisher.

Ausgeruhte Mitarbeiter sind produktiver

Warum das? „Für uns ist wichtig, wie produktiv die Mitarbeiter sind, weniger, wie viele Stunden sie mit der Arbeit verbringen“, sagt Sauer. Zehn Stunden am Tag seien einfach zuviel, zumal die  Verdichtung und die Schlagzahl bei der Arbeit in den letzten Jahren auch wegen der elektronischen Kommunikationsmittel stark zugenommen habe. „Und es ist einfach eine Tatsache, dass  ausgeruhte, zufriedene Mitarbeiter produktiver sind.“
Seit der  Einführung des neuen Arbeitszeitmodells haben wir keinen Mitarbeiter mehr verloren
Und, das ist dem Firmenchef besonders wichtig, sie bleiben dem Unternehmen treu. „Seit der  Einführung des neuen Arbeitszeitmodells haben wir keinen Mitarbeiter mehr verloren“, sagt Sauer.  Und bei Neuausschreibungen habe die Zahl qualifizierter Bewerber spürbar zugenommen. Da sich auch noch ein sinkender Krankenstand abzeichnet, steht für Sauer fest: „Die Ergebnisse der sechsmonatigen Testphase sind durchweg positiv und wir bleiben dabei!“

Wochenende ganz für die Familie

Ist das Modell ein  Zugeständnis an die gechillte, freizeitorientierte Generation Z? So mag es Marc Sauer nicht sehen. „Die neuen Freiräume werden von Beschäftigten jeden Alters geschätzt,  insbesondere wenn sie Kinder haben.“ Die Mitarbeiter können Behördengänge, Arztbesuche und  andere persönliche Dinge am Freitag erledigen und sind am Wochenende ganz für ihre Familien da. „An den Arbeitstagen haben sie den Kopf frei und sind motiviert bei der Sache.“
An den Arbeitstagen haben die Leute den Kopf frei und sind motiviert bei der Sache.
Und was sagen die Kunden dazu? Das habe ihm anfangs am meisten Sorgen gemacht, gibt Sauer zu. „Könnt ihr euch das denn leisten, am Freitag nichts zu schaffen? – auf diesen Vorwurf wäre ich durchaus gefasst gewesen, vor allem bei uns in Schwaben.“ Doch die Kunden nehmen es entspannt, wenn es auf dem Anrufbeantworter heißt: Wir sind am Montag wieder für sie da. „Manch einer ist ja ohnehin am Freitagmittag gedanklich im Wochenende“, weiß Sauer. „Bisher gibt es bei uns überhaupt keine Anzeichen, dass sich dies auf den Donnerstag verlagern würde.“