IHK im Gespräch mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Marie-Agnes Strack-Zimmermann war Gast bei der jüngsten Ausgabe von „Im Gespräch mit…“ in der IHK Region Stuttgart. Trotz ungewöhnlicher Uhrzeit war der größte Saal im Haus in der Jägerstraße bis auf den letzten Platz gefüllt. So viele wollten die Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung im Europäischen Parlament hören, die auch dem Vorstand der liberalen Renew-Fraktion und dem FDP-Präsidium angehört.
In ihrer Begrüßung nannte IHK-Hauptgeschäftsführerin Dr. Susanne Herre einen Grund dafür: den 28-Punkte-Plans für einen Frieden in der Ukraine. Den zweiten Grund nannte Strack-Zimmermann selbst, indem sie Ex-Kanzler Olaf Scholz zitierte: „Die Alte nervt“. Genau das sieht sie aber als ihre Aufgabe, denn Frieden und Freiheit lägen ihr so sehr am Herzen, dass sie sich immer wieder einmischen müsse. Dass die 67-Jährige kein Blatt vor den Mund nimmt, zeigte sie gleich einmal bei der Bewertung des 28-Punkte-Plans: „inakzeptabel, unsäglich, ein Diktatfriede!“ Das Ende des freien Europa drohe, denn Putin würde in drei bei vier Jahren wieder angreifen.
„Die Alte nervt“.

Olaf Scholz über Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Putin zu stoppen sei in unserem ureigensten Interesse: „Wenn nur zwanzig Prozent der 36 Millionen Ukrainer zu uns fliehen oder die Menschen, die hungern, weil Putin den Getreideexport verhindert, von dem 400 Millionen Afrikaner und Asiaten abhängig sind, dann wird unsere Gesellschaft das nicht aushalten“.
Dass es so weit gekommen ist, dafür sieht sie die Verantwortung auch bei den Europäern, die sich zu lange in der bequemen Nachwendezeit eingerichtet hätten, „mit den USA, die uns beschützen, mit billiger Energie aus Russland und mit China als Riesenmarkt“.
Gebot der Stunde sei es nun, dass sich das freie Europa verteidigungsfähig aufstellt. Zum Glück tue sich in Sachen Zusammenarbeit für mehr Sicherheit zur Zeit sehr viel in Europa, „das ist die gute Nachricht!“
Jedes Land habe dabei seine eigenen Aufgaben. Für Deutschland sei eine Modernisierung der Strukturen nötig: „Im Verteidigungsministerium wird noch mit Rauchzeichen kommuniziert“, meinte sie überspitzt. Aber auch die Gesellschaft müsse umdenken, denn seit der Aufhebung der Wehrpflicht hätten sich die Bürger von der Bundeswehr entfremdet.
Wir sind einer 360-Grad-Bedrohung ausgesetzt

Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Die Wehrpflicht müsse zurückkommen, allerdings anders als früher, weil die geforderten Kompetenzen dazu zu speziell seien: „Wir sind einer 360-Grad-Bedrohung ausgesetzt“, sagte Strack-Zimmermann und nannte als Beispiel die Pipelines und Kabel in Atlantik, Nord- und Ostsee und die Satelliten im All, die mit wenig Aufwand zerstört werden können. Weil „nicht jeder im Dreck liegen müsse“, man aber die verschiedensten Fähigkeiten brauche, könne man nicht auf die Hälfte eines Jahrgangs verzichten und müsse auch die Frauen mustern: „Wir brauchen 100 000 gut ausgebildete Männer und Frauen.“
Insgesamt müsse die Gesellschaft unbedingt wieder resilienter werden, um den Bedrohungen standzuhalten. Als positives Beispiel nannte sie Schweden, wo jeder Bürger genau wisse, was er in einem Katastrophenfall zu tun habe und dies auch zwei Wochen im Jahr übe. Auch bei uns müsse die Resilienz zunehmen, um Bedrohungen abzuwehren: „Ohne Abschreckung gibt es keine Freiheit!“
Damit meint Strack-Zimmermann nicht nur militärische Resilienz, sondern auch zivile. Auch die Wirtschaft sieht sie diesbezüglich in der Pflicht: „Können die Unternehmen damit umgehen, wenn die Azubis zum Wehrdienst müssen, wenn Militärtransporte Straßensperren erfordern?“ fragte sie IHK-Präsident Paal, der das zu seinem Bedauern verneinen musste: „Wir sind hart gelandet!"Allerdings habe die Wirtschaft verstanden, wie ernst die Lage ist.
Lieben Sie Europa, denn es ist wirklich liebenswert!

Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Deshalb sei die Wirtschaft doppelt gefordert, als Entwickler und Zulieferer für Verteidigungsgerät und mit einem Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft: „Reden Sie mit Ihren Mitarbeitenden, damit die sich nicht von der hybriden Kriegsführung Russlands manipulieren lassen.“
Auf die Bemerkung von Claus Paal, Brüssel bremse mit seiner Bürokratie die Wirtschaft aus, beruhigte sie, die Botschaft sei bei der EU angekommen. Das Problem seien die „Lehmschichten“, die sich in guten Jahren in allen Behörden von der Gemeinde bis nach Brüssel gebildete hätten, und die neue Ideen auf allen Ebenen ausbremsten.
Zum Schluss wünschte sich Strack-Zimmermann weniger Larmoyanz und forderte das Publikum auf, bei allen Problemen, die es gebe, sich immer vor Augen zu führen, dass die EU das größte und erfolgreichste Friedensprojekt der Welt sei: „Lieben Sie Europa, denn es ist wirklich liebenswert!“