Ideen für den Handel

Ideen für den Handel: die Ware muss ins Netz

„Die Ware muss ins Netz!“ Das ist die wichtigste Erkenntnis, die Kerstin ­Schuler 2015 als frischgebackene Modehaus-­Chefin von ihrer ersten Euroshop-Messe mitbrachte. In all den Fachartikeln, die sie seither über „online to offline“ gelesen hat, fand die Geschäftsfrau diesen Satz bestätigt. Und natürlich im Erfolg ihres eigenen Modehauses Hertlein in Plüderhausen.
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Firma und Artikelnummer reichen

Ihre gesamte Ware stellt Schuler deshalb online. „Entgegen allen Empfehlungen beschreibe ich die Sachen aber nicht, zum Beispiel eine romantische Bluse, sondern ich nenne nur Firma und Artikelnummer“, erzählt sie. So wird sie von Kunden aus ganz Deutschland gefunden, die genau dieses Stück in ihrer Größe suchen.
Die Online-Strategie ist allerdings „furchtbar zeitaufwendig“, erzählt die Mutter von zwei Söhnen und zeigt auf die ­„Patienten“, die sie noch fotografieren muss. Dies obwohl sie die meisten Fotos aus einer ­Fashion-Cloud übernehmen kann.
Die Leute gucken eben gern online, bevor sie in den Laden kommen
Der Beitrag des Onlinegeschäftes am ­Gesamtumsatz ist zudem überschaubar. Sein eigentlicher Zweck ist auch ein anderer: „Die Leute gucken eben gern online, bevor sie in den Laden kommen.“ Einfach mal zum Stöbern vorbeizukommen, das sei vielen Menschen peinlich. Sie fühlten sich dann genötigt, etwas zu kaufen. Schuler findet das schade. Für sie muss ein Laden auch eine Art Treffpunkt sein: „Wenn sich die Kundinnen hier festquatschen, das ist für mich der Himmel auf Erden“, strahlt sie.

Hosen sind die Königsdisziplin

Überhaupt sind ihre Zielgruppe die Menschen, die überschaubare Einheiten bevorzugen und bei denen ein Riesenregal mit Dutzenden von Jeans Fluchtreflexe auslöst. Bei Hertlein sind Hosen hingegen die „Königsdisziplin“. Schuler, ihre Mutter und die vier Mitarbeiterinnen haben einen geschulten Blick dafür, wem was passt.
Das zieht vor allem Männer an, die, ­Klischee hin oder her, am liebsten „zack zack“ einkaufen wollen und froh sind, wenn sie gleich mehrere Hosen und sogar die passenden Schuhe mitnehmen können. Deswegen hat Schuler im Gegensatz zu vielen Kollegen die Herrenabteilung ­beibehalten und sogar um einen kleinen Whisky-Verkauf erweitert.  
Neben Casual bietet sie dort Hochzeitsanzüge an. Die Fotos dankbarer Kunden zeigen, wie gut das ankommt. Besonders stolz ist die 45-Jährige auf das Mini-Me-Bild von Bräutigam mit Sohn. „Den Anzugstoff für den Jungen habe ich beim Hersteller in Nagold bestellt und dann nähen lassen. So was machen auch nur kleine ­Geschäfte“, erzählt sie. Bei dem Service ist es kein Wunder, dass die meisten Kunden auf Empfehlung kommen. Hertlein ist aber auch auf Hochzeitsmessen präsent.

Der Ideal Client Avatar war früher die Stammkundin Frau Müller

Auch auf Social Media ist Kerstin Schuler aktiv. „In Fachartikeln liest man immer, dass man einen „Ideal Client Avatar“ ­kreieren soll“, also einen Zielkunden. „Aber das machen wir doch schon immer so,  nur ist das eben die Stammkundin Frau Müller oder Meier“, schmunzelt sie.
Großvater Fritz Hertlein hatte das Geschäft 1947 als Herrenschneiderei gegründet und 1982 an seine Tochter Irmtraud Käser übergeben, Schulers Mutter. Es folgten goldene Jahre in den 1980er und 90ern. Doch als 2015 der nächste Generationenwechsel anstand, war das kein Selbstläufer mehr. Viele Umbaumaßnahmen waren nötig, um den Kunden ein modernes Einkaufserlebnis zu bieten. Nachhaltig sollte es zudem sein -  nicht nur Gebäude und Einrichtung, sondern auch die Ware - Stichwort „Slow Fashion“. „Wir haben fast ausschließlich Kleidung, die in Europa gefertigt wird und wo ich die Leute persönlich kenne, die dahinterstehen“, erzählt die gelernte Schauwerbegestalterin, Werbegestalterin und Textilfachwirtin.
Wo Strukturen zerstört sind, ist es schwer, sie wieder aufzubauen
Die Übernahme des Geschäfts war keine einsame Entscheidung. Kerstin Schuler diskutierte die Entscheidung ausführlich mit ihrem Mann. Ein Satz von ihm hat dann mit den Ausschlag gegeben: „Wo Strukturen zerstört sind, ist es schwer, sie wieder aufzubauen“. Er muss es wissen, denn er ist bei der Freiwilligen Feuerwehr – da ist es genauso.
Die Politik, aber auch die Bürger müssten achtgeben auf ihre Innenstädte, und zwar nicht nur auf die großen, ist Kerstin Schuler überzeugt. Sie jedenfalls tut alles, damit die Menschen in Plüderhausen ihr Zentrum behalten.
 Dr. Annja Maga für Magazin Wirtschaft 3-4.2023, Rubrik “Menschen und Ideen”