Insolvenzrecht und Unternehmenskrisen

Der Insolvenzantrag

Stand: Juni 2023
Die IHK-Information gibt nachfolgend einen Überblick über Grundsatzfragen, die sich im Zusammenhang mit einer Insolvenzantragstellung ergeben. Bei bestimmten Rechtsformen, wie z.B. Unternehmergesellschaft (UG) oder GmbH, ist auch eine Insolvenzantragspflicht nach
§ 15a Insolvenzordnung (InsO) zu prüfen.

1. Insolvenzgericht

Der Insolvenzantrag ist bei einem Insolvenzgericht zu stellen.
Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner bzw. das Schuldnerunternehmen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Im Bezirk der IHK Region Stuttgart sind Insolvenzgerichte die Amtsgerichte Stuttgart, Esslingen, Göppingen, Heilbronn und Ludwigsburg.
Alle Insolvenzgerichte in Baden-Württemberg sind über das Internetportal des Bundes und der Länder abrufbar.

2. Insolvenzfähige Personen

Ein Insolvenzverfahren kann über das Vermögen jeder natürlichen und jeder juristischen Person (insbesondere Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), GmbH, AG etc) eröffnet werden. Diesen stehen insofern gleich:
  • Offene Handelsgesellschaften
  • Kommanditgesellschaften
  • BGB-Gesellschaften
  • Partnerschaften
  • Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigungen
  • nicht rechtsfähige Vereine

3. Antragsteller

Das Insolvenzverfahren wird nur auf schriftlichen Antrag eröffnet, § 13 InsO. Antragsberechtigt sind sowohl die Gläubiger als auch der Schuldner. Entsprechende Antragsformulare sind in der Regel auf den Seiten des jeweils zuständigen Amtsgerichts zu finden. Das Amtsgericht Stuttgart verweist dazu auf die Formulare und Merkblätter der Justiz in Nordrhein- Westfalen.

3.1 Gläubigerantrag


Der Fremdantrag eines Gläubigers ist nur dann zulässig, wenn er bestimmte Anforderungen erfüllt, vgl. § 14 InsO. Der Gläubiger muss
  • die ladungsfähige Adresse, ggf. die Rechtsform und den/die Vertreter des Schuldners benennen,
  • ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens darlegen,
  • eine fällige Forderung glaubhaft machen; dabei ist zu beachten: Die Forderung darf nicht völlig unbedeutend sein (rückständige Zinsen und Mahnkosten reichen nicht aus, soweit die Hauptforderung beglichen ist). Der Antrag darf nicht als unlauteres Druckmittel missbraucht werden (z.B. Schädigung des Antragsgegners als Wettbewerber) und
  • einen Eröffnungsgrund (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) glaubhaft machen.
Erforderliche Unterlagen:

Der Antragsteller muss Unterlagen zum Nachweis der Forderung vorlegen. Außerdem ist darzulegen, dass der Schuldner außerstande ist, diese Verbindlichkeit zu erfüllen. Ausreichend dafür ist beispielsweise das Protokoll eines Gerichtsvollziehers über einen erfolglosen Pfändungsversuch (Fruchtlosigkeitsbescheinigung) oder eine Vermögensauskunft des Schuldners über seine Vermögenssituation. Um missbräuchliche Insolvenzanträge zu verhindern, hat das Insolvenzgericht den Schuldner bei einem Gläubigerantrag grundsätzlich anzuhören. Im Rahmen der Anhörung kann der Schuldner die Erklärungen des Gläubigers bestreiten, eine Gegenglaubhaftmachung oder Gegenbeweise vorlegen.

3.2 Schuldnerantrag

Bei juristischen Personen und Handelsgesellschaften ist zum Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens jedes Mitglied des Vertretungsorgans bzw. jeder persönlich haftende Gesellschafter berechtigt. Wird der Antrag nicht von allen Mitgliedern des Vertretungsorgans bzw. allen persönlich haftenden Gesellschaftern gestellt, muss der Eröffnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Der Schuldner bzw. seine Vertretungsorgane sind dem Insolvenzgericht gegenüber unbeschränkt auskunftspflichtig.
Wird insbesondere eine juristische Person, etwa eine GmbH oder Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), zahlungsunfähig oder überschuldet, hat das geschäftsführende Organ ohne schuldhaftes Zögern, spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, vgl. § 15a Abs. 1 InsO. Gleiches gilt für vergleichbare Auslandsgesellschaften, die ihren Sitz im Inland haben. Bei einer schuldhaften Verzögerung des Antrags machen sich die Antragspflichtigen unter Umständen schadensersatzpflichtig, eventuell auch strafbar. Die Überwachung der Insolvenzantragspflicht gehört zu den zentralen Pflichten der Vertretungsorgane von juristischen Personen oder Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit.
§ 15b InsO normiert darüber hinaus ein Zahlungsverbot mit Ausnahmen.
Ist eine GmbH führungslos (d.h. ohne Geschäftsführer), ist auch jeder Gesellschafter, ist eine AG oder Genossenschaft führungslos, auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit, der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis.

Die Anforderungen an den Insolvenzantrag des Schuldners sind streng, vgl. § 13 InsO. Wie bisher schon, muss der Schuldner muss den Insolvenzgrund (Zahlungsunfähigkeit und/ oder Überschuldung) schlüssig und nachvollziehbar darlegen. Überdies ist dem Insolvenzantrag des Schuldners zwingend ein Verzeichnis der Gläubiger und ihrer Forderungen (Gläubigerverzeichnis) beizufügen. Dem Gläubigerverzeichnis und den ggf. erforderlichen weiteren Angaben ist eine Erklärung beizufügen, dass die enthaltenen Angaben richtig und vollständig sind. Ist der Geschäftsbetrieb des Schuldners nicht eingestellt, gelten folgende besondere Anforderungen an dieses Gläubigerverzeichnis:
Bei kleinen Unternehmen sollen grundsätzlich und bei größeren Unternehmen (vgl. unten) müssen in dem Gläubigerverzeichnis verpflichtend bestimmte Forderungen besonders kenntlich gemacht werden. Auch für kleine Unternehmen ist dies verpflichtend, sofern eine Eigenverwaltung oder ein vorläufiger Gläubigerausschuss beantragt ist. Folgende Forderungen sollen/ müssen besonders kenntlich gemacht werden:
  • die höchsten Forderungen,
  • die höchsten gesicherten Forderungen,
  • die Forderungen der Finanzverwaltung,
  • die Forderungen der Sozialversicherungsträger sowie
  • die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung.
Der Hintergrund für diese besonderen Anforderungen ist, dass das Gericht bei einem laufenden Geschäftsbetrieb des Schuldnerunternehmens allein schon durch die Angaben im Insolvenzantrag in der Lage sein soll, einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzuberufen. Dazu ist erforderlich, dass das Gericht die Angaben über die Struktur der Gläubiger erhält. Ist der Geschäftsbetrieb des Schuldners nicht eingestellt, müssen außerdem bei allen Unternehmen – und zwar unabhängig von der Größe – verpflichtend folgende weitere Angaben gemacht werden:
  • zur Bilanzsumme,
  • zu den Umsatzerlösen und
  • zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres.
Damit das Gericht den Insolvenzgrund prüfen kann, sollten dem Antrag in der Regel sinnvollerweise folgende Unterlagen/ Angaben beigefügt werden:
  • ein Vermögensverzeichnis, aus dem durch Gegenüberstellung der Aktiva und Passiva unter Berücksichtigung von Liquidationswerten ein vollständiger Überblick über die
    Vermögenslage gewonnen werden kann,
  • ein Schuldnerverzeichnis mit genauer Bezeichnung der Schuldner sowie deren Anschriften; bei jeder Forderung sind Betrag und Schuldgrund anzugeben,
  • Angaben zur Fortführung des Geschäftsbetriebes,
  • Angaben zum Tätigkeitsbereich des Unternehmens,
  • Angaben zur Anzahl der Arbeitnehmer,
  • Angaben zum Bestehen von Sanierungsaussichten.
Um ein größeres Unternehmen handelt es sich gem. § 22 a Abs. 1 InsO, wenn der Schuldner im vorangegangenen Geschäftsjahr mindestens zwei der drei nachstehenden Merkmale erfüllt hat:
1. mindestens 6.000.000 Euro Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrags im Sinne des § 268 Absatz 3 des Handelsgesetzbuchs;
2. mindestens 12.000.000 Euro Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag;
3. im Jahresdurchschnitt mindestens 50 Arbeitnehmer.
Erforderliche Unterlagen:
  • Dem Antrag ist ein Vermögensverzeichnis beizufügen, das so beschaffen sein muss, dass es durch Gegenüberstellung der Aktiva und Passiva unter Berücksichtigung von Liquidationswerten einen vollständigen Überblick über die Vermögenslage gewährt.
  • Weiterhin muss ersichtlich sein, ob seitens Dritter Ansprüche auf Herausgabe oder abgesonderte Befriedigung bestehen. Das Gläubiger- und Schuldnerverzeichnis muss die genaue Bezeichnung der Gläubiger und Schuldner sowie deren ladungsfähige Anschriften enthalten.
  • Bei jeder Forderung und Verbindlichkeit sind der Betrag und der Schuldgrund anzugeben.

4. Insolvenzgründe

Die Eröffnung des Insolvenzverfahren setzt voraus, dass ein Eröffnungsgrund gegeben ist. Insolvenzgründe sind:
  • Zahlungsunfähigkeit (s. u. 4.1)
  • Drohende Zahlungsunfähigkeit (s. u. 4.2)
  • Überschuldung (bei juristischen Personen bzw. bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit ohne natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter) (s. u. 4.3)
Bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung kann eine Insolvenzantragspflicht gem. § 15a InsO bestehen (s.o.). Eine strafbewehrte Antragspflicht gilt insbesondere für die Organe aller juristischen Personen. 

4.1 Zahlungsunfähigkeit

Zahlungsunfähigkeit ist allgemeiner Eröffnungsgrund. In der Insolvenzordnung ist die Zahlungsunfähigkeit ausdrücklich definiert (§ 17 Abs. 2 InsO). Der Wortlaut ist wie folgt: "Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat." Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit muss die Liquiditätslage ermittelt werden. 
Von der Zahlungsunfähigkeit abzugrenzen ist die bloße Zahlungsstockung. Geringfügige Liquiditätslücken führen grundsätzlich noch nicht zur Zahlungsunfähigkeit, hier ist aber im konkreten Fall Vorsicht geboten! Zahlungsstockung ist die vorübergehende Unfähigkeit, die fälligen Verbindlichkeiten vollständig zu begleichen. Eine bloße Zahlungsstockung liegt vor, wenn der Schuldner die berechtigte Erwartung hat, er werde die Forderungen der Gläubiger innerhalb eines Zeitraums erfüllen können, der üblicherweise als nur vorübergehend anzusehen ist. Dabei darf der Zeitraum nicht überschritten werden, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu beschaffen. Der Schuldner muss also kurzfristig, d.h. innerhalb von drei Wochen, imstande sein, die Liquiditätslücke vollständig zu schließen. Beträgt die Liquiditätslücke am Ende des Dreiwochenzeitraums dagegen weniger als 10 Prozent, ist regelmäßig zunächst von Zahlungsstockung auszugehen. Gleichwohl ist dann ein Finanzplan zu erstellen, aus dem sich die Weiterentwicklung der Liquiditätslücke ergibt. Die Abgrenzung kann im Einzelfall sehr schwierig sein. 
In jedem Falle wird unbedingt zur Einschaltung eines Fachmanns geraten. Es sollte ein Liquiditätsstatus und eine Zeitraumbetrachtung aufgestellt werden. Zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit hat das Institut der Wirtschaftsprüfer einen Prüfungsstandard herausgegeben (IDW S 11). Hiernach ist zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit ein Finanzstatus und ein darauf aufbauender Finanzplan nach betriebswirtschaftlichen Methoden zu erstellen. Ergibt der Finanzstatus, dass die fälligen Verbindlichkeiten nicht beglichen werden können, liegt gleichwohl keine Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Finanzplan ergibt, dass innerhalb von drei Wochen ein Großteil der fälligen Verbindlichkeiten beglichen werden kann. Im Finanzstatus sind die freien Finanzmittel und die fälligen Verbindlichkeiten aufzustellen. Den Nachweis, dass eine Forderung nicht fällig ist, hat der Schuldner zu führen. Ergibt sich eine Liquiditätslücke, ist ein Finanzplan anhand der künftigen Geschäftstätigkeit aufzustellen. Darin sind Einzahlungen und Auszahlungen sowie Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen aufzuführen.

Typische Indizien für eine Zahlungsunfähigkeit sind:
  • Nichtzahlung von Lieferanten
  • Nichtzahlung von Löhnen, Gehältern und Sozialversicherungsbeiträgen 
  • Zwangsvollstreckungen / Vorliegen von Vollstreckungsanträgen
  • Anträge zur Abgabe der Vermögensauskunft

4.2 Drohende Zahlungsunfähigkeit


Wegen drohender Zahlungsunfähigkeit kann allein der Schuldner die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen, nicht aber die Gläubiger. Der Schuldner droht nach § 18 InsO zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.
Auch die Beurteilung der künftigen Zahlungs(un)fähigkeit hat auf der Grundlage eines Finanz- bzw. Liquiditätsplanes zu erfolgen, der die Bestände an flüssigen Mitteln sowie Planeinzahlungen und Planauszahlungen verdeutlicht. Aussagekräftig ist die Differenz zwischen dem Anfangsbestand an Zahlungsmitteln und den geplanten Einnahmen einerseits und den geplanten Auszahlungen andererseits. Künftige Kreditaufnahmen fließen in den Plan ein, ebenso wie künftig entstehende Verbindlichkeiten, die zwar noch nicht begründet sind, die jedoch in Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit begründet werden müssen, etwa um einen Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Lt Gesetz ist in der Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen.
Kann anhand eines solchen Finanzplans festgestellt werden, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit überwiegend wahrscheinlich ist, liegt der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit vor. Als zukünftige Verbindlichkeiten scheiden nur solche aus, die noch derart ungewiss sind, dass der Eintritt als offen angesehen werden kann (z. B. Produkthaftungsansprüche).
Von der Möglichkeit des Eigenantrags des Schuldners wegen drohender Zahlungsunfähigkeit sollte besonders dann Gebrauch gemacht werden, wenn Sanierungschancen für das angeschlagene Unternehmen bestehen, da diese umso höher sind, je früher ein Insolvenzantrag gestellt wird. Der Schuldner hat die Möglichkeit, schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen.
Bei drohender Zahlungsunfähigkeit können sich Unternehmen auch ohne Insolvenzverfahren mit gerichtlicher Unterstützung stabilisieren und restrukturieren. Diese Möglichkeit wurde mit dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) geschaffen. Weitere Einzelheiten mit einer Checkliste sind auf der Seite des Bundesministeriums der Justiz veröffentlicht.

4.3 Überschuldung


Die Überschuldung gem. § 19 InsO ist lediglich bei juristischen Personen Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren. Nach § 19 Abs. 2 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Neben der Frage der rechnerischen Überschuldung - wenn also das auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesene Vermögen kleiner ist als die auf der Passivseite ausgewiesenen Verbindlichkeiten – ist die Fortführungsprognose für die Beurteilung des Insolvenzgrundes der Überschuldung maßgeblich. Durch diese Regelung können rechnerisch überschuldete Unternehmen der Insolvenzantragspflicht entgehen, sofern sie eine positive Fortführungsprognose aufstellen und diese belegen können.
Die positive Fortführungsprognose setzt voraus, dass der Wille besteht, das Unternehmen fortzuführen (subjektives Element) und dass die Fortführung objektiv erfolgsversprechend erscheint. Maßgeblich ist, ob ein ordentlicher Geschäftsleiter sich auf der Grundlage einer gewissenhaften, sachkundigen Prüfung aller am Stichtag erkennbaren wesentlichen Umstände für eine Fortführung des Unternehmens entscheiden würde. Objektiv erfolgsversprechend ist die Fortführungsprognose, wenn das Unternehmen im laufenden sowie im nächsten Geschäftsjahr voraussichtlich nicht zahlungsunfähig wird. Dies wiederum ist anhand eines konkreten Unternehmenskonzeptes zu prüfen und zu belegen. Grundsätzlich wird es als unumgänglich angesehen, die Fortführungsprognose durch einen Finanzplan sowie eine Liquiditätsrechnung zu belegen, da nur so ermittelt werden kann, ob die zukünftige Zahlungsfähigkeit gewährleistet ist. Die wesentlichen Prämissen und Bestandteile der Überschuldungsprüfung, insbesondere die der Fortführungsprognose zugrunde gelegten Tatsachen, Annahmen und Schlussfolgerungen, sollten dokumentiert und erläutert werden. Die Auswirkungen des Unternehmenskonzeptes sind darzulegen. Die ordnungsgemäße Dokumentation ist auch zur Minderung der Haftungsrisiken bedeutsam.

4.4 Schutzschirmverfahren


Durch das sog. ESUG wurde ein Schutzschirmverfahren als besonderes Verfahren eingeführt. Das Schutzschirmverfahren gem. § 270d InsO ist ein Spezialfall der Eigenverwaltung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Es soll dem Schuldner durch frühzeitiges Handeln die Sanierung seines Unternehmens erleichtern. Es handelt sich dabei um ein Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung durch Insolvenzplan in Kombination mit Eigenverwaltung. Eigenverwaltung bedeutet die Fortführung des Unternehmens durch den Schuldner selbst unter Aufsicht eines Sachwalters. Hiermit ist die Möglichkeit eröffnet, innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten in dem so genannten Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters und ohne Vollstreckungsmaßnahmen einen Sanierungsplan zu erarbeiten. Dieser kann im Anschluss als Insolvenzplan umgesetzt werden. Die Zahlungsunfähigkeit darf aber noch nicht eingetreten sein, wenn das Schutzschirmverfahren beantragt wird. Zudem darf die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos sein.
Voraussetzung für das Schutzschirmverfahren ist, dass mit dem Antrag eine mit Gründen versehene Bescheinigung eines Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorgelegt wird. Diese Bescheinigung muss den Inhalt haben, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.
Dies läuft in der Praxis auf eine Art Gutachten über Ist-Zustand und über die Sanierungsprognose hinaus. Der Aussteller dieser Bescheinigung muss eine andere Person als der einzusetzende Sachwalter sein. Der Schuldner kann einen vorläufigen Sachwalter vorschlagen, der nur abgelehnt werden darf, wenn die Person offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Auch dies soll als Anreiz für eine frühzeitige Beantragung des Schutzschirmverfahrens dienen.
Auf Antrag des Schuldners sind Maßnahmen der Zwangsvollstreckung zu untersagen oder einstweilen einzustellen. Es kann auch angeordnet werden, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründen darf, die im Insolvenzverfahren vorrangig befriedigt werden. Dies kann die Fortführung des Betriebes erleichtern. Das Gericht darf während des Schutzschirmverfahrens keinen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen und dem Schuldner auch die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen nicht entziehen. Dem Schuldner wird eine Frist von max. drei Monaten zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans gesetzt. Nach Ablauf der Frist oder nach gerichtlicher Aufhebung der Anordnung des Schutzschirmverfahrens entscheidet das Insolvenzgericht über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In der Schutzschirmphase ist es typischerweise entscheidend, ob der Schuldner das Vertrauen der Vertragspartner und Gläubiger in die Möglichkeit einer Sanierung gewinnt oder nicht. Eine spätere Aufhebung des Schutzschirmverfahrens ist möglich, wenn der vorläufige Gläubigerausschuss dies mit Kopfmehrheit beantragt.

5. Folgen des Insolvenzantrags

Bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag hat das Insolvenzgericht alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Das Gericht kann insbesondere
  • einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen
  • dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen und dabei anordnen, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind
  • Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagen oder einstweilen einstellen.
Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt, so hat dieser
  • das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten
  • ein Unternehmen, das der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden
  • zu prüfen, ob das Vermögen des Schuldners die Kosten des Verfahrens decken wird.
Wenn das Gericht seine Ermittlungen abgeschlossen hat, kann es
  • den Insolvenzantrag mangels Vorliegens eines Eröffnungstatbestandes zurückweisen
  • den Insolvenzantrag mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Vermögensmasse zurückweisen
  • das Insolvenzverfahren eröffnen.
Die Antragsabweisung mangels Masse führt bei juristischen Personen zu deren Auflösung. Natürliche Personen werden im Schuldnerverzeichnis eingetragen.
Liegen die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vor, erlässt das Gericht einen Insolvenzeröffnungsbeschluss. Dort wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgesprochen und eine Person zum Insolvenzverwalter ernannt. Der Eröffnungsbeschluss enthält weiter den Namen und die Anschrift des Schuldners sowie den Tag und die Stunde der Eröffnung. Gleichzeitig werden dort die Gläubiger aufgefordert, ihre Forderungen innerhalb einer bestimmten Frist beim Insolvenzverwalter anzumelden und diesem ihre Sicherungsrechte mitzuteilen. Den Schuldnern wird aufgegeben, nur noch an den Verwalter zu leisten. Es werden der so genannte Berichtstermin und der Prüfungstermin bestimmt. Im Berichtstermin wird insbesondere darüber entschieden, ob das Vermögen des Schuldners liquidiert wird oder ob Aussichten bestehen, das Unternehmen im Ganzen oder in Teilen zu erhalten, ob Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und welche Auswirkungen jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten würden. Im Prüfungstermin werden die von den Gläubigern angemeldeten Forderungen ihrem Rang und Betrag nach geprüft.

6. Restschuldbefreiung

Handelt es sich bei dem Schuldner um eine natürliche Person kann unter bestimmen Voraussetzungen die sog. Restschuldbefreiung erteilt werden, vgl. § 286 InsO.
Die Restschuldbefreiung ist vor allem dann für den Schuldner wichtig, wenn zu erwarten ist, dass er auch nach dem Insolvenzverfahren auf einem Schuldenberg sitzen bleiben wird. Nach der sog. Wohlverhaltensperiode kann einem redlichen Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt werden. Die Restschuldbefreiung bewirkt, dass der Schuldner von den restlichen (Alt-)Verbindlichkeiten gegenüber seinen Gläubigern befreit wird. Forderungen aufgrund einer unerlaubten Handlung (sowie bestimmte Unterhaltsschulden und Forderungen anlässlich einer Verurteilung des Schuldners wegen einer Steuerstraftat) können nicht erlassen werden.
Seit 1. Oktober 2020 kann die Restschuldbefreiung grundsätzlich nach drei Jahren erteilt werden, § 287 Abs. 2 InsO. Während dieses Zeitraums müssen alle pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis (z.B. Arbeitseinkommen) oder auf laufende Bezüge, die an deren Stelle treten (z.B. Renten), an einen Treuhänder abgetreten werden. Er muss sich bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens um eine Erwerbstätigkeit bemühen. Soweit der Schuldner einer selbständigen Tätigkeit nachgeht, obliegt es ihm, die Gläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, als wenn er ein angemessenes Arbeitsverhältnis eingegangen wäre. Zwangs- und Vollstreckungsmaßnahmen einzelner Gläubiger sind während der Wohlverhaltensperiode unzulässig.
Ist schon einmal eine Restschuldbefreiung vorausgegangen, verlängert sich die Abtretungsfrist und für die Erteilung einer erneuten Restschuldbefreiung tritt eine Sperrfrist ein. Das Restschuldbefreiungsverfahren steht allen natürlichen Personen zur Verfügung, das heißt sowohl Verbraucherinnen und Verbrauchern als auch Personen, die unternehmerisch tätig sind oder waren.
Eine Restschuldbefreiung kann unter den Voraussetzungen des § 290 InsO versagt werden, z.B. wenn der Schuldner seine Auskunfts-, Mitwirkungs- und Erwerbsobliegenheiten verletzt oder wegen Insolvenzstraftaten verurteilt wird.